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TerrorismusDeutschland

Fünfeinhalb Jahre Haft für Soldat Franco A.

15. Juli 2022

Franco A. plante "eine schwere staatsgefährdende Gewalttat", sagen die Richter. Mit dem Urteil gegen den Bundeswehroffizier mit dem Doppelleben als angeblicher Flüchtling geht ein aufsehenerregender Prozess zu Ende.

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Urteilsverkündung im Fall Franco A.
Franco A. vor der Urteilsverkündung im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Frankfurt am MainBild: Boris Roesller/picture alliance/dpa

Im roten Hemd der Justizvollzugsanstalt und in Handschellen wird er in den Gerichtssaal in Frankfurt am Main geführt, Franco A. spricht entspannt mit seinen Verteidigern. Schon seit Februar sitzt der Soldat in Untersuchungshaft - und er wird in Haft bleiben.

Die fünf Richter sehen es als erwiesen an, dass der 33-Jährige Terroranschläge auf Politiker und prominente Persönlichkeiten verüben wollte und verurteilten ihn zu fünfeinhalb Jahren Haft - auch wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontroll-, Waffen- und Sprengstoffgesetz sowie wegen Betrugs. Als er das Urteil hört, zeigt der Angeklagte keine sichtbare Regung, doch er hält den Kopf gebeugt, als der Vorsitzende Richter die Begründung verliest.

Vor einer hölzernen Schranke steht ein Mann mit langen Haaren, Bart und rotem Hemd. Er wendet sich im Gespräch einem sitzenden Mann im weißen Hemd mit der dunklen Robe eines Anwalts zu, der lächelnd das Gesicht verzieht
Trotz Gefängnishemd: Franco A. (li.) wirkt gelöst, als er unmittelbar vor dem Urteil mit Moritz Schmitt-Fricke, einem seiner Verteidiger sprichtBild: Boris Roessler/picture alliance/dpa

Im Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Frankfurt am Main hatten er und seine Verteidiger den Vorwurf, er sei fest entschlossen, aufgrund einer "völkisch-nationalistischen, antisemitischen Gesinnung" Anschläge auf Politiker und Prominente verüben, bis zuletzt zurückgewiesen.

2017 wurde der Soldat gefasst, weil er auf der Flughafentoilette in Wien eine geladene Pistole abholen wollte, die er dort versteckt hatte. Seine Fingerabdrücke führten zu einem syrischen Flüchtling in Deutschland - er hatte ein Doppelleben geführt. Die österreichische Polizei fand bei ihm Dateien mit Anleitungen zum Bombenbau und rechtsextremen Thesen. Sie informierte die deutschen Behörden. Franco A. konnte gehen.

Blick auf die Rücken von Bundeswehrsoldaten mit verschränkten Armen in Tarnfleckuniform mit blauem Barett
Bundeswehr-Soldaten vom Jägerbataillon 291 in Frankreich, wo Franco A. bis zu seiner Verhaftung 2017 stationiert warBild: Getty Images/AFP/F. Florin

Nach Ermittlungen in Deutschland kam er zum ersten Mal in Untersuchungshaft. Aber die Richter sahen damals "keinen dringenden Tatverdacht" für die "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" - also Terrorplanungen. Sie ließen ihn frei. Erst nach juristischem Hin und Her und einem Einspruch der Bundesanwaltschaft begann der Prozess im Mai 2021 vor dem Staatsschutzsenat in Frankfurt.

Liebe für alle und "antisemitischer Blödsinn"

Franco A. hat im Gerichtssaal zwar über Frieden und "Liebe für alle Menschen" gesprochen, aber auch Verständnis für eine Holocaust-Leugnerin erkennen lassen oder zu argumentieren versucht, warum Juden keine Deutschen sein könnten. Der Vorsitzende Richter Christoph Koller entzog ihm das Wort für "antisemitischen Blödsinn". Im Prozess wurden einige der zahlreichen Sprachmemos des Angeklagten abgespielt. Franco A. spricht darin über politische Gegner als "Schweine": "Ich weiß, du wirst mich ermorden, ich ermorde dich vorher."

Ein Mann mit Glatze und Brille mit nachdendlichem Gesicht in der dunklen Robe eines Richters greift stehend nach der Rückenlehne eines Stuhls
"Antisemitischer Blödsinn" - Christoph Koller, der Vorsitzende Richter im Prozess gegen Franco A., warnte den Angeklagten vor strafbaren Äußerungen Bild: Thomas Lohnes/Getty Images/dpa/picture alliance

"Eine Summe von Merkwürdigkeiten macht noch keinen Terroristen", sagte sein Anwalt Moritz Schmitt-Fricke am letzten Prozesstag vor dem Urteil. Franco A. wollte nur Missstände aufzeigen und sich vor Bedrohungen schützen, argumentierte er. Mehr als 15 Monate hatte der Sohn eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter neben seinem Vollzeitjob als Offizier in der deutsch-französischen Brigade in Frankreich ein Doppelleben als angeblicher syrischer Flüchtling geführt.

Franco A.s Behauptung, die Pistole in Wien habe er beim Pinkeln im Gebüsch gefunden und schnell versteckt, hat eine Gutachterin widerlegt: Seine DNA-Spuren fanden sich auch im Inneren der Waffe.

Nazi-Abzeichen und Macheten

Nur Merkwürdigkeiten? Mitten im Prozess reiste Franco A. ins französische Straßburg und kehrte mit einer Tüte voller Tagebücher, verbotenen Nazi-Orden und Hakenkreuzen zurück. Er wehrte sich heftig gegen eine Polizeikontrolle. Bei einer Hausdurchsuchung wurden bei dem Vater von drei kleinen Kindern Hieb- und Stichwaffen wie Macheten gefunden. Er kam wieder in Untersuchungshaft.

Blick auf Hände in dunklen Handschuhen von einer Person in einer Weste mit der Aufschrift "Justiz", die einer anderen Person im roten Hemd die Handschellen löst
Seit seiner Verhaftung im Februar wurde Franco A. in Handschellen in den Gerichtssaal geführt - jetzt sollen mehr als fünf Jahre im Gefängnis folgenBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Er wollte sich "nur verteidigen" - vor einem Bürgerkrieg, Islamisten oder einem russischen Vormarsch bis an den Rhein. Das sagten er und sein Verteidiger vor Gericht auch zu den illegalen Schusswaffen, die er besaß, dazu mehr als 1000 Schuss Munition und Sprengkörper, teils von der Bundeswehr gestohlen. Er deponierte sie unter dem Bett, bei einem Kameraden oder in seinem "Krisen-Keller" mit Lebensmitteln und Benzin für einen "Zusammenbruch der staatlichen Ordnung". Wie kam er an die Waffen und wo sind sie geblieben? Diese Fragen hat er nicht beantwortet. 

Staatsanwältin: Wichtiger Erfolg gegen Rechtsextremismus

Die Bundesanwaltschaft als Ankläger hatte sechs Jahre und drei Monate Haft gefordert. Ursprünglich ging sie davon aus, dass Franco A. die Anschläge dem falschen Flüchtling unterschieben wollte, dann hieß es, das spiele für den Tatvorwurf keine Rolle. Das Gericht fand keine Hinweise darauf.

Nach dem Urteil sagte Staatsanwältin Karin Weingast, der lange Atem der Ermittlungsbehörden habe sich ausgezahlt. Sie sei mit dem Urteil zufrieden und sehe es "als wichtigen Erfolg in der Bekämpfung des Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland".

In ihrem Plädoyer hatte sie Franco A. einen "rechtsradikalen Terroristen" genannt, der fähig sei, Menschen zu ermorden, die sich für Geflüchtete einsetzen. Er habe konkret mit der Planung begonnen.

Man fand Namenslisten, die die Ermittler für Feindeslisten halten: darauf unter anderem der damalige Justizminister Heiko Maas, die Grünen-Politikerin Claudia Roth und Anetta Kahane, Gründerin der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus einsetzt.

Franco A. hatte im Juli 2016 in der Tiefgarage unter der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin Fahrzeuge fotografiert und besaß eine Skizze der Umgebung. Seine Begründung: Er habe mit Kahane sprechen wollen. Wenige Tage später bemühte er sich um Zubehör für Schusswaffen und machte Schießübungen.

Verteidiger spricht von "hochpolitischem Verfahren"

Die "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" ist in Paragraph 89a im deutschen Strafgesetzbuch beschrieben. Den gibt es seit 2009, um auch terroristische Einzeltäter erfassen zu können. Dieser schwerste Vorwurf ist "ein sehr komplexer und schwieriger Tatbestand", sagt OLG-Sprecherin Gundula Fehns-Böer der DW, er setze einerseits eine Vorbereitungshandlung voraus wie die Anschaffung einer Waffe. Das ist bei Franco A. unstrittig.

Wichtig sei aber "der subjektive Tatbestand". Was heißt das? "Es muss festgestellt werden, dass tatsächlich ein fester Tatentschluss vorhanden war. Das setzt nicht unbedingt voraus, dass man Tatzeit, Tatort und Opfer in der Beweisaufnahme ganz konkret umfassen kann."

Rechts und links zwei Männer in weißen Hemden und dem schwarzen Umhang von Anwälten, in ihrer Mitte steht ein Mann im roten Hemd mit Vollbart, sein Gesicht ist verpixelt
Letzter Prozesstag vor dem Urteil: Franco A. (Mi.) spricht mit seinen Anwälten Johannes Hock (li.) und Moritz Schmitt-Fricke (aufgrund des Pressekodex werden Aufnahmen von Angeklagten vor dem Urteil unkenntlich gemacht)Bild: picture alliance/dpa

Verteidiger Johannes Hock nannte den Prozess ein "hochpolitisches Verfahren". Im Schlussplädoyer hatte er gesagt, sein Mandant habe "unübersehbare Schwächen", aber "keine Mordpläne" gehabt. Er warnte vor "Gesinnungsstrafrecht", "wie wir das in anderen Ländern in Europa kritisieren". In Deutschland soll - in Abgrenzung zum Nationalsozialismus - niemand nur aufgrund seiner Einstellung verurteilt werden. Der Vorsitzende Richter Koller sagte, der Senat habe kein "Gesinnungsstrafrecht" angewendet.

Beim Vorwurf nach Paragraph 89a gehe es auch um die Einstellung zum Staat, erklärt die OLG-Sprecherin. Um von einer staatsgefährdenden Gewalttat auszugehen, müsse man auch die Motivation ergründen. Die Richter sprechen im Urteilsbeschluss von einer "seit Jahren verfestigten rechtsextremen, völkisch-nationalistischen und rassistischen Gesinnung".

Franco A.: "Das war dumm von mir"

Bei seinem Schlusswort am letzten Prozesstag vor dem Urteil lag ein dicker Aktenordner vor dem Angeklagten. Erst zitierte ihn Anwalt Hock: "Ich habe verstanden, dass der Gerichtssaal nicht der Ort ist, um meine Überzeugungen vorzutragen."

Franco A. selbst beschränkte sich auf wenige Sätze. Zum Thema Waffen sagte er: "Das war dumm von mir." Seine Reise nach Straßburg nannte Anwalt Hock einen "blödsinnigen Trip".

Doch es ging um mehr als Dummheiten. Den deutschen Staat zu schützen, das ist nicht nur Aufgabe der Richter und Staatsanwälte, dazu hat sich auch Franco A. als Soldat verpflichtet.

Rechtsextremismus in der Bundeswehr

Weckruf für Bundeswehr und Flüchtlingsbehörde BAMF

Als der Fall Franco A. 2017 erstmals Schlagzeilen machte, erschütterte das die Bundeswehr und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Beim BAMF halfen seit 2015, als hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, viele Mitarbeiter anderer Behörden aus.

Franco A. wollte Missstände aufzeigen, sagte er. Tatsächlich gelang es ihm, bei einer Anhörung auf Französisch mit einer erfundenen Geschichte subsidiären Schutz als christlicher syrischer Kriegsflüchtling zu erhalten. Das BAMF hat seitdem viele Entscheidungen überprüft und die Kontrollen verschärft.

Heftiger noch das Beben bei der Bundeswehr: Franco A.s Fall löste Untersuchungen zu Rechtsextremisten in der deutschen Armee aus. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach von einem "falsch verstandenen Korpsgeist" in der Bundeswehr und ließ alle Kasernen auf Erinnerungsstücke an die nationalsozialistische Wehrmacht durchsuchen. Seitdem werden immer mehr Verdachtsfälle auf Extremismus untersucht, etwa beim Militärischen Abschirmdienst (MAD), einem der drei deutschen Nachrichtendienste auf Bundesebene.

Infografik zu Neuen Extremismus-Verdachtsfälle beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) von 2016 bis 2020

"Radikalnationalistischer, rassistischer Appell"

Schon bevor er Berufssoldat wurde, hatte Franco A. 2013 an einer französischen Militärakademie eine Masterarbeit mit rechtsextremem Gedankengut vorgelegt, er schrieb über die "Durchmischung der Rassen" und "Auflösung eines Volkes".

Die Franzosen warnten die Bundeswehr vor seiner Einstellung, ein Gutachter nannte die Arbeit einen "radikalnationalistischen, rassistischen Appell". Die Bundeswehr-Vorgesetzten ermahnten ihn nur, er schrieb eine neue Arbeit. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) wurde nicht informiert. Erst seit 2017 überprüft er alle Bewerber.

Blick auf eine weiße Wand, an der eine Maschinenpistole der Wehrmacht hängt, daneben ist die Zeichnung eines Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg mit Gewehr und Stahlhelm zu sehen
2017: Eine Waffe der Wehrmacht und ein Wehrmachtssoldat im Aufenthaltsraum des Jägerbataillons 291 in Illkirch, wo Soldat Franco A. stationiert warBild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

"Extremisten haben in der Bundeswehr nichts zu suchen"

Die Bundeswehr ist mehrfach wegen des Vorwurfs von Rechtsextremen in ihren Reihen in die Schlagzeilen geraten. Im Juli 2020 löste das Verteidigungsministerium eine ganze Kompanie der Elitetruppe "Kommando Spezialkräfte" (KSK) auf, nachdem rechtsextreme Vorfälle bekannt wurden.

Franco A. war mit vielen anderen vernetzt, persönlich und über Chatgruppen auf Telegram. "Extremisten haben in der Bundeswehr nichts zu suchen", betonte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht Anfang 2022. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion nennt die Bundesregierung für 2021 (Stand 30.09.) 57 Entlassungen wegen Rechtsextremismus, 2016 waren es nur 5 gewesen. 

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, begrüßte das Urteil. Er sagte: "Vom Rechtsextremismus geht eine große Gefahr aus, für unsere Gesellschaft, unsere Demokratie und den Staat." Schuster fordert: "Rechtsextreme Netzwerke müssen aufgedeckt werden."

Verteidiger wollen in Revision gehen

Über dem Presse- und Besuchereingang zum Gerichtssaal 165 C, wo das Urteil gegen Franco A. fiel, hängt der erste Satz der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, dem Soldaten ebenso verpflichtet sind wie Richter und Staatsanwälte: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Ein rotes Schriftrelief prangt auf einer grauen Gebäudefront: "Die Würde des Menschen ist unantastbar"
Mahnung über dem Besucher-Eingang zum Gerichtssaal, in dem das Urteil gegen Franco A. gesprochen wirdBild: Andrea Grunau/DW

Zu Beginn des Prozesses hatte Franco A. gesagt, er wäre gerne wieder als Soldat im Dienst. Nach seiner Verurteilung muss er mit seiner Entlassung rechnen. Eine Woche zuvor hatte er noch gesagt, er wolle bei seinen Kindern sein: "Wenn Sie fragen, was ich in Zukunft vorhabe: Hausmann und Vater."

Der Staatsschutzsenat hat anders entschieden. Die Verteidiger von Franco A. wollen in Revision gehen.

Mit Informationen von Benjamin Knight. Dieser Artikel wurde aktualisiert.