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Politik

Urteil gegen LRA-Führer Ongwen erwartet

Silja Fröhlich
12. März 2020

Er war Kommandant einer der berüchtigtsten Rebellenmilizen Afrikas. Dominic Ongwen war erst Kindersoldat, und wartet nun auf das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs. Doch kann ein Opfer selber Täter sein?

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Niederlande: Dominic Ongwen vor dem  Internationalen Strafgerichtshof
Deminic Ongwen vor dem Internationalen StrafgerichtshofBild: picture-alliance/AP Photo/P. Dejong

Mord, Vergewaltigung, Folter, Verstümmelung, Sklaverei und der Einsatz von Kindersoldaten. Die Vorwürfe gegen Dominic Ongwen haben es in sich. 70 Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit werfen ihm die Ankläger des Internationalen Strafgerichtshof vor. Ongwen kommandierte eine Brigade der "Widerstandsarmee des Herrn" (LRA), der wohl brutalsten Rebellengruppe Afrikas. Über 20 Jahre wüteten ihre Kämpfer im Norden Ugandas mit äußerster Grausamkeit, bevor sie sich in die Nachbarländer Kongo und Südsudan zurückzogen.

Seit 2016 läuft der Prozess gegen Ongwen vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) in Den Haag. Der Prozess ging am Dienstag mit Abschlussstatements zu Ende, die Anklage forderte, Ongwen in allen Punkten zu verurteilen. Doch der Fall ist knifflig. Ongwen weist die Vorwürfe gegen sich zurück. Und: Er war einst selbst Opfer, bevor er zum Täter wurde.

Das Opfer, das zum Täter wurde

1988 wurde er im Alter von 14 Jahren auf dem Schulweg von LRA-Rebellen entführt - ein Schicksal, das zehntausende andere Kinder in Norduganda erleiden mussten. LRA-Anführer Joseph Kony behauptete stets, er kämpfe für ein christliches Uganda und die Rechte der marginalisierten Bevölkerung im Norden des Landes. In Wirklichkeit missbrauchten er und seine Kämpfer die Kinder als Kindersoldaten und Sexsklaven. Ihr erster Einsatz führte sie oft in ihr eigenes Dorf, wo sie ihre eigenen Verwandten misshandeln oder töten mussten.

Ein Fahndungsplakat mit dem Bild von Dominic Ongwen
Nach Ongwen wurde weltweit gesuchtBild: picture-alliance/dpa

Ongwens Vergangenheit als Kindersoldaten macht den Fall so besonders. "Er ist bedeutend, da die Rolle und die Verantwortung von entführten Kindern diskutiert wird, die in die Reihen von Rebellengruppen gezwungen wurden", sagt der ugandische Menschenrechtsanwalt Nicholas Opiyo der DW. Und es gibt noch einen anderen wichtigen Aspekt: "Joseph Kony hatte eine große spirituelle Kontrolle über die Kinder und machte sie glauben, dass er so etwas wie ein Gott sei. Dies ist der erste Fall des IStGH, bei dem Hexerei Grundlage für die Verteidigung eines Verbrechens ist."

Dominic Ongwen selbst wurde misshandelt, indoktriniert und gezwungen, mitanzusehen, wie die LRA wehrlose Menschen tötete. Doch er befolgte alle Befehle und wurde einer von Joseph Konys Stellvertretern. Im Jahr 2004 beispielsweise überfielen Ongwens Truppen das Vertriebenlager Lukodi in Norduganda und massakrierten mehr als 60 Menschen. Schätzungen zufolge hat die LRA seit 1987 100.000 Menschen hingerichtet.

Opfer haben alles verloren

"Es lässt sich leicht sagen, dass Dominic Ongwen als Kind entführt wurde und nicht wusste, was er tat", sagt Charles Tolit Atiya vom Zentrum für Frieden und Menschenrechte der ugandischen Makerere-Universität. "Auf der anderen Seite gibt es aber zahllose Menschen, die Opfer seiner Brutalität geworden sind. Sie wurden verstümmelt und haben ihre komplette Lebensgrundlage verloren."

Titelseite der Tageszeitung "Daily Monitor" nach der Verhaftung Ongwens 07.01.2015
In Uganda machte die Verhaftung Ongwens SchlagzeilenBild: I. Kasamani/AFP/Getty Images

2005 erließ der IStGH Haftbefehl gegen Joseph Kony und seine vier Stellvertreter, darunter Dominic Ongwen. Kony ist noch immer auf der Flucht. Die anderen drei Gesuchten sind bereits tot. Anfang 2015 geriet Ongwen in die Fänge  zentralafrikanischer Rebellen, die ihn an die US-Armee auslieferten. Wenige Tage später wurde er nach Den Haag überführt.

Uganda trägt Mitschuld

Lehrer Alexander Ochen hat Dominic Ongwen gekannt. Der heute 47-Jährige war einst ebenfalls LRA-Kommandeur. Wie Ongwen wurde er als Jugendlicher von der Rebellenmiliz entführt. "Einige von uns wurden gezwungen zu tun, was wir taten, um zu überleben. Viele Entführte wurden getötet", sagte Ochen kurz nach dem Prozessbeginn. Er zweifelte daran, dass der Strafprozesse vor dem 6000 Kilometer entfernten Weltgericht die beste Idee war. "Ich habe insgeheim gebetet, dass er Amnestie erhält und es ein System der Gemeinde-Gerichte geben wird, bei denen sich Opfer und Täter gegenüberstehen. Das würde den Heilungsprozess voranbringen."

Menschenrechtsanwalt Opiyo hofft, dass das Gericht die Mitschuld des ugandischen Staates und der internationalen Gemeinschaft berücksichtigt. Sie haben es seiner Meinung nach nicht geschafft, die Kinder vor der Entführung durch Rebellengruppen zu schützen. "Die Tatsache, dass Ongwen diese Dinge gegen seinen Willen tat, unter Zwang und Drohungen, sonst zu sterben, sollte ein stark strafmildernder Faktor sein."

Ein Kindersoldaten der Lord's Resistance Army LRA
Zahlreiche Kinder wurden von der LRA zum Kämpfen gezwungenBild: Getty Images/S.Price

Ugandas Regierung hat Alexander Ochen Amnestie gewährt - wie tausenden anderen LRA-Kämpfern. Sie sind in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt. Viele Menschen in Norduganda sind der Meinung, dass lokale Gerichtsverfahren ein besserer Weg zu Heilung und Vergebung seien.

"Die Opfer haben klar betont, dass es ihnen um Gerechtigkeit geht, um das Wiederaufbauen ihrer Gemeinden, Reparationszahlungen, und nicht um eine Gefängnisstrafe in Den Haag", betont Opiyo. Er bemängelt, dass die Verhandlungen nicht in Uganda stattgefunden haben, "im Epizentrum", wie er es nennt. 

"Unser Versagen als Gemeinschaft"

Am sinnvollsten sei es nun, Ongwen in die Gemeinschaft zurückzubringen, um sie um Vergebung zu bitten, glaubt Opiyo. Eine Gefängnisstrafe sei trotzdem angemessen. Das Urteil des IStGH wird zudem darüber entscheiden, welche Art von Entschädigungen die Opfer des Bürgerkrieges erwarten können.

Der Abschluss des Falls sei nicht nur für die Opfer der LRA wichtig, so der Anwalt. "Viele Kindersoldaten leben mit der Hoffnung, dass ihre Opferrolle eines Tages anerkannt wird. Dass unser Versagen als Gesellschaft, als internationale Gemeinschaft anerkannt wird und sie angemessen entschädigt werden." Der Abschluss des Ongwen-Falls könnte der Anfang dazu sein.

Mitarbeit: Hilke Fischer, Simone Schlindwein

Silja Fröhlich
Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin