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Urteil im Fall Oury Jalloh

Martin Koch13. Dezember 2012

Vor sieben Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Zelle eines Dessauer Polizeireviers. Beamte sollen die Hilfeschreie ignoriert haben. Nun ist das Urteil gefallen - in einem Prozess voller Widersprüche.

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Weiß-rote Kreuze bei der Mahnwache für Oury Jalloh erinnern an Opfer von Polizeigewalt (Foto: dapd)
Bild: dapd

Weiß-rote Kreuze auf den Stufen des Landgerichts Magdeburg und ein Plakat mit der Aufschrift "Oury Jalloh - das war Mord!" - Freunde und Angehörige des verstorbenen Asylbewerbers erinnerten mit einer Mahnwache an das Schicksal des Mannes aus Sierra Leone, dessen Tod nach wie vor viele Fragen offen lässt. Von Mord war allerdings im Verhandlungssaal keine Rede. Die Richter verurteilten den angeklagten Dienstgruppenführer der Polizeiwache in Dessau wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

"Rechststaatliches Desaster"

Mit dem Urteil ging das Gericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, die eine Geldstrafe von 6.800 Euro gefordert hatte. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Angeklagte den alkoholisierten und unter Drogeneinfluss stehenden Mann nicht nur akustisch, sondern auch mit Kameras oder durch Beamte hätte überwachen lassen müssen, erläutert Pressesprecher Christian Löffler im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Eine derartige Anordnung hat der Angeklagte unterlassen. Der Angeklagte wusste auch, dass er in seinem Dienstraum relativ weit von der Gewahrsamszelle Nr. 5 entfernt ist. Demzufolge konnte der Angeklagte dem Opfer auch nicht rechtzeitig zu Hilfe kommen." Darüber hinaus müsse der verurteilte Beamte die Prozesskosten tragen, die höher ausfallen als die Geldstrafe. Die Nebenklage wollte den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Freiheitsberaubung verurteilt sehen.

Pro Asyl bezeichnete das Urteil als ein "rechtsstaatliches Desaster". Während des Verfahrens zutage getretene Widersprüche hätten gezeigt, "dass die These von der Selbstentzündung nicht haltbar ist", erklärte die Flüchtlingsorganisation.

Polizisten sichern den Verhandlungssaal im Landgericht Magdeburg (Foto: dapd)
Polizisten sichern Verhandlungssaal im Landgericht MagdeburgBild: dapd

Die Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Fanny-Michaela Reisin, kritisierte, Gericht und Staatsanwaltschaft hätten nur ein halbherziges Aufklärungsinteresse gezeigt. Vielmehr hätten sie sich auf die These der Selbstentzündung durch Jalloh beschränkt. In dem Prozess seien dennoch viele neue Indizien zutage gefördert worden, die zu einer Abkehr von der Selbstentzündungstheorie hätten veranlassen können. Dazu sei das Gericht aber nicht bereit gewesen, kritisierte Reisin.

Widersprüchliche Darstellungen

Es ist bis heute nicht eindeutig geklärt, was am 7. Januar 2005 in der Polizeiwache Dessau passierte. Unstrittig ist, dass der damals 37-jährige Jalloh von Polizisten in Gewahrsam genommen wurde, weil er unter Drogen- und Alkoholeinfluss zwei Frauen belästigt haben soll. Da er sich der Feststellung seiner Personalien widersetzte und auf der Wache mit dem Kopf wiederholt gegen die Wand schlug, wurde er, so die Darstellung der Polizei, auf einer Matratze auf dem Boden einer Zelle fixiert.

Wie es dann zum Ausbruch des Feuers kam, bei dem Oury Jalloh ums Leben kam, darüber gibt es stark unterschiedliche Meinungen. Die offizielle Darstellung besagt, Jalloh habe mittels eines Feuerzeugs die Matratze, auf der er lag, in Brand gesteckt und sei dann in den Flammen gestorben. Der diensthabende Beamte hätte wegen eines Telefonats die Anlage zur Raumüberwachung leise gestellt und den ausgelösten Rauchmelder zweimal als vermeintlichen Fehlalarm ignoriert. Danach sei es nicht mehr möglich gewesen, den an den Zellenboden gefesselten Mann zu retten.

Die Angehörigen von Oury Jalloh, die als Nebenkläger auftreten, wiesen dagegen auf eine Reihe von Ungereimtheiten hin. So fehle in der unmittelbar nach dem Feuer aufgestellten Asservaten-Liste das Feuerzeug, mit dem Jalloh das Feuer entzündet haben soll. Erst einen Tag später sei es auf der Liste aufgetaucht. Außerdem weise es keine DNA-Spuren des Toten und keine Faserspuren von dessen Kleidung auf. Auch Menge und Zustand der Kleidungsreste sowie Art und Schwere der Verbrennungen lassen sich nach Ansicht der Nebenkläger nicht mit der offiziellen Darstellung erklären.

Schließtechnik der Zelle Nr. 5 in der Polizeiwache Dessau (Foto: picture alliance/dpa)
In dieser Zelle starb Oury Jalloh - die genauen Umstände bleiben ungeklärtBild: picture alliance/dpa

Über das Leben des Oury Jalloh ist wenig bekannt. Vier Jahre vor seinem Tod war er aus Sierra Leone nach Deutschland gekommen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er durfte jedoch als "geduldet" vorerst in Dessau bleiben. Mit einer Deutschen hatte er ein Kind, das von dieser allerdings zur Adoption freigegeben wurde. Wenige Wochen vor seinem Tod war Jalloh wegen gewerbsmäßigen Drogenhandels zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Der zweite Prozess

Es war bereits der zweite Prozess um den Tod des Mannes aus Sierra Leone. Im Dezember 2008 waren ein Dienstgruppenleiter und ein weiterer Beamter vom Verdacht der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen worden. Vertreter der Anklage und die als Nebenkläger auftretende Mutter von Oury Jalloh waren geschockt. Sie hatten angesichts der zahlreichen Widersprüche zwischen den Aussagen der Polizisten und den Indizien ein anderes Urteil erhofft.

Prozess um Feuertod - Der Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh muss neu verhandelt werden

Doch auch der Vorsitzende Richter hatte sein eigenes Urteil angesichts des Prozessverlaufes damals stark relativiert. Es sei kein Urteil, "das auf Erkenntnissen beruhe", sondern einfach "ein Ende, das aus formalen Gründen sein muss." Polizeibeamte hätten im Zeugenstand "bedenkenlos und grottendämlich" falsch und unvollständig ausgesagt. Die Freisprüche seien erfolgt, weil stichhaltige Beweise für ein Fehlverhalten nicht gefunden werden konnten.

Gegen das Urteil legten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Nebenklage Revision ein. Der Bundesgerichtshof hob den Freispruch für den Dienstgruppenleiter im Januar 2010 auf und bescheinigte der Polizei in Dessau "mangelnde Aufklärungsbereitschaft."

Gegen das jetzt ergangene Urteil können sowohl Verteidigung als auch Nebenklage innerhalb einer Woche Revision einlegen. Käme es dazu, müsste erneut der Bundesgerichtshof über den Fall beraten.