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Die wahren Kosten von Fracking-Gas aus den USA

Stuart Braun
29. März 2022

In vielen Staaten Europas ist Fracking verboten. Doch nun will die EU russisches Gas durch Flüssiggas aus den USA ersetzen. Fracking-Gas könnte so durch die Hintertür in die EU gelangen - und Klimaziele zunichtemachen.

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Katar |  Gastankschiff in Ras Laffan
Künftig soll deutlich mehr Flüssiggas nach Europa verschifft werden - zulasten des Klimas?Bild: picture-alliance/dpa/Tim Brakemeier

"Wir denken, dass wir auf ein anderes Fahrzeug umsteigen können, aber wir fahren immer noch auf den Abgrund zu", kommentiert Andy Gheorghiu, ein deutscher Anti-Fracking-Aktivist, das geplante Gasabkommen zwischen den USA und der EU.

Dieses hatten US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen angekündigt, um die Abhängigkeit der Europäischen Union von russischer Energie zu verringern. Zusätzliche 15 Milliarden Kubikmeter verflüssigtes Erdgas (LNG) werden in diesem Jahr an Europas Küsten landen - gewonnen aus größtenteils hydraulischen Fracking-Anlagen, die in den Vereinigten Staaten wie Pilze aus dem Boden schießen.

Das ist nur rund ein Drittel des Gases, das allein Deutschland im Jahr 2022 aus Russland beziehen wird. Aktivisten befürchten dennoch, dass der Austausch von russischem Gas durch LNG-Gas die Klimaziele gefährdet, statt Europas Energiesicherheit zu sichern.

"Dieses Abkommen bringt die EU und die USA auf einen falschen und gefährlichen Weg, weil es neue Infrastrukturen für den Import von fossilem Gas nach Europa vorantreibt", warnt Murray Worthy, Leiter der Gaskampagne bei der Umweltorganisation Global Witness. "Der Bau neuer Landeterminals hieße, die Einfuhr von fossilem Gas auf Jahre hinaus festzulegen - also lange über den Zeitpunkt hinaus, zu dem die EU aus diesem klimaschädlichen Brennstoff endgültig aussteigen muss."

190424 Infografik Fracking in Europe DE

Auch die unmittelbaren Klimaauswirkungen von LNG, das durch Fracking aus tief unter der Erde liegenden Schiefervorkommen gewonnen wird, geben Anlass zur Besorgnis. Obwohl Fracking in weiten Teilen Europas wegen seiner Umweltauswirkungen verboten ist, etwa weil die verwendeten Chemikalien das Grundwasser verschmutzen, bezieht die EU gerne Fracking-Gas aus den USA.

Klimaschädliche Methanlecks

Nach Ansicht von Aktivisten hat der Vorstoß zur Förderung von Fracking-Gas vor allem aufgrund der hohen Methanemissionen von LNG schwerwiegende Auswirkungen auf das Klima.

Gheorghiu weist darauf hin, dass die Auswirkungen von Methan auf die globale Erwärmung über einen Zeitraum von 20 Jahren etwa 85-mal höher sind als die von CO2. Trotzdem werde auf beiden Seiten des Atlantiks bislang nur wenig getan, um Methan-Leckagen zu bekämpfen.

Das neue Gas-Abkommen zwischen der EU und den USA verknüpft zwar das Ziel der Versorgungsdiversifizierung mit "Klimazielen". Das Abkommen ziele darauf ab, "die Treibhausgasintensität aller neuen LNG-Infrastrukturen und der dazugehörigen Pipelines zu reduzieren, unter anderem durch die Nutzung sauberer Energie für den Betrieb vor Ort, die Verringerung von Methanlecks und den Aufbau einer sauberen und erneuerbaren wasserstofftauglichen Infrastruktur" - heißt es in der Ankündigung.

Doch wenn russisches Gas kurz- bis mittelfristig einfach ersetzt werden soll, wird Erdgas in der EU vermutlich auch weiterhin die zweitgrößte Quelle von CO2-Emissionen nach der Kohle bleiben.

Schmutziges Fracking-Gas aus Texas

Auf der anderen Seite des Atlantiks, so Gheorghiu, haben uneinheitliche Vorschriften einige US-Bundesstaaten zu einem "Wilden Westen" für die Fracking-Industrie gemacht. In Texas beispielsweise, wo sich im Permian Basin inzwischen Zehntausende von Bohrlöchern bis nach New Mexico erstrecken, wird das sogenannten Methanabfackeln kaum reguliert, bei dem hohe CO2-Emissionen entstehen. Gas aus Texas zählt deswegen zum "schmutzigsten Gas" der Welt.

Fracking-Felder im US-Bundesstaat Wyoming in einer Luftaufnahme (2009)
Die Fracking-Infrastruktur beeinträchtigt die Landschaft starkBild: CC-by-Simon Fraser University

Eine Studie aus dem Jahr 2019 führt den Anstieg der weltweiten Methanemissionen in der Atmosphäre auf den Fracking-Boom in den Vereinigten Staaten zurück. Sie kam zu dem Schluss, dass die Schiefergasförderung in Nordamerika für "mehr als die Hälfte aller weltweit gestiegenen Emissionen aus fossilen Brennstoffen" im vergangenen Jahrzehnt verantwortlich sein könnte.

Das von der Europäischen Union importierte LNG werde zudem auch als Ausgangsstoff für Kunststoffe und Düngemittel verwendet, ergänzt Gheorghi. Da Importverträge oft über Laufzeiten von bis zu 20 Jahren abgeschlossen würden, stelle die Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe auch eine große Hürde für die Dekarbonisierung dieser emissionsintensiven Industrie dar, so der Aktivist.

1,5-Grad-Ziel durch LNG-Exporte gefährdet

Aus Sicht der Forscherinnen Amanda Levin und Christina Swanson vom US-amerikanischen Natural Resources Defense Council könnten die Versuche der USA, ihre LNG-Produktion und -Exporte zu steigern, sogar jede Chance auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius (im Vergleich zur vorindustriellen Zeit) zunichtemachen.

Infografik Erdgasgewinnung durch Fracking

Durch den "schnell wachsenden" Export von LNG als "Brücke" zum Übergang zu sauberer Energie - die Gasemissionen sind etwa 50 Prozent niedriger als die von Kohle - "wird die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen festgeschrieben, was den Übergang zu kohlenstoffarmer Energie noch schwieriger macht", erklären Levin und Swanson in einer Studie.

Die Auswirkungen von LNG auf das Klima würden sich verdoppeln, wenn zu den Treibhausgasemissionen aus der Gasverbrennung noch Förderung, Transport, Verflüssigung und Wiedervergasung hinzukomme, so die Wissenschaftlerinnen.

Die 130 bis 213 Millionen Tonnen an neuen Treibhausgasemissionen in den USA, die durch eine Verdreifachung der Exporte zwischen 2020 und 2030 verursacht würden, entsprechen der Zahl von bis zu 45 Millionen zusätzlichen Autos, die jährlich mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, und machen den jährlichen Rückgang der Treibhausgasemissionen um ein Prozent im letzten Jahrzehnt rückgängig, so die Autoren.

LNG kann russisches Gas nicht voll ersetzen

Obwohl Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in diesem Monat auch in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten war, um Möglichkeiten von Gas-Importen aus diesen Staaten auszuloten, wird es aus Sicht von Analysten schwierig, LNG-Lieferungen nach Europa massiv zu erhöhen - angesichts der weltweit steigenden Nachfrage sei das Angebot stark begrenzt .

Zudem dürfte allein der Bau der erforderlichen Infrastruktur, wie etwa der Terminals, zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen, was das Ziel der Europäischen Union, die russischen Gasimporte bis zum Jahresende um zwei Drittel zu reduzieren, recht unwahrscheinlich macht.

LNG-Terminal im Hafen von Rotterdam, Niederlande
Für mehr LNG-Lieferungen müssten auch mehr LNG-Terminals gebaut werdenBild: Siebe Swart/luchtfotografie/ANP/imago images

Klimaschützer sehen Energie aus fossilen Brennstoffen als eine der Hauptursachen für den Krieg an. Sie müsse schrittweise durch erneuerbare Energien ersetzt werden. "Mehr Investitionen und Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen sind Musik in den Ohren von Despoten und Kriegstreibern auf der ganzen Welt, die erkannt haben, dass dies ein Energiesystem ist, von dem sie profitieren", mahnt Murray Worthy von Global Witness. "Wenn Europa wirklich vom russischen Gas wegkommen will, ist die einzige echte Option, die es hat, der völlige Ausstieg aus dem Gas."

"Wir haben die einmalige historische Chance und die Verpflichtung, die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen und verbrauchen, radikal zu verändern ", findet Klimaaktivist Andy Gheorghiu. "Doch die Lösung, die unsere transatlantischen Regierungen präsentiert haben, ist nichts anderes als ein Weitermachen wie gehabt."

Eine Adaption aus dem Englischen von Jeannette Cwienk

Russlands Macht über Pipelines und Gasspeicher

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.