Neuer US-Stützpunkt in Albanien
14. Januar 2022DW: Herr Bühler, Sie waren 2010 und 2011 Oberbefehlshaber der NATO-Schutztruppe für Kosovo (KFOR) und kennen die Westbalkan-Region gut. Die USA planen, in Albanien ein neues Spezialkräfte-Hauptquartier einzurichten. Was bedeutet das konkret?
Erhard Bühler: In erster Linie geht es darum, Spezialkräfte auszubilden. Denn Spezialkräfte sind darauf angewiesen, sehr eng multinational zusammenzuarbeiten. Es gibt gemeinsame Standards, nach denen sie ausgebildet werden und üben und nach denen sie, wenn es notwendig ist, auch eingesetzt werden. Es sind Eliteeinheiten, die zu Kommandounternehmen hinter feindlichen Linien eingesetzt werden können, zum Beispiel zur Aufklärung und zum Bekämpfen von feindlichen Hochwertzielen wie Artillerie- und Raketenstellungen. Sie werden aber auch eingesetzt für Geiselbefreiungen und Evakuierungen in Notlagen sowie für Verfolgungen und die Festnahme von Kriegsverbrechern und den Kampf gegen Terroristen.
Für welche Einsätze sind diese Spezialkräfte konkret vorgesehen?
Ich glaube nicht, dass in diesem Fall ein unmittelbares operatives Interesse im Vordergrund steht. In erster Linie geht es um Ausbildung und um das Commitment der US-Amerikaner für diese Region. Politisch und militärisch-strategisch gilt es, den Menschen auf dem Balkan zu sagen: Ihr lebt in einer wichtigen Zone, die von außerordentlich hohem Interesse für die USA, für die NATO und für das übrige Europa ist.
Warum wurde gerade Albanien ausgewählt?
Albanien ist seit mittlerweile dreizehn Jahren ein geschätzter NATO-Partner mit vielen Fähigkeiten, die es in die NATO einbringen kann. Und da besteht natürlich das Interesse, dass man in erster Linie die albanischen Streitkräfte weiter unterstützt und sie in ihren Fähigkeiten ausbildet. Zweitens ist es wichtig, Streitkräfte der anderen NATO-Staaten in der Region - Kroatien, Nordmazedonien, Montenegro oder Slowenien - mit auszubilden. Das signalisiert auch, dass die USA dem Frieden auf dem Westbalkan verpflichtet sind.
Ist das eine Art Rückkehr der US-Amerikaner auf den Westbalkan auch in militärischer Hinsicht, nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump die Truppen aus Kosovo abziehen wollte?
Sie waren ja nie weg, aber es gab die Diskussion, wie wir sie auch über die US-amerikanischen Streitkräfte in Deutschland hatten, die Trump reduzieren wollte. Sein Nachfolger, US-Präsident Joe Biden, hat das richtigerweise korrigiert. Jetzt wird die Zusammenarbeit mit den NATO-Staaten noch größer und das zeigt sich auch in diesem Hauptquartier, das in Albanien eingerichtet werden wird.
In der Region gibt es immer wieder interethnische Spannungen. Aber auch in Albanien sorgt gerade der von den USA zur Persona non grata erklärte Ex-Premier Sali Berisha für internationale Schlagzeilen. Welche Rolle haben die Entwicklungen bei der Entscheidung der USA gespielt?
Innenpolitische Vorgänge und Demonstrationen, die es von Zeit zu Zeit in jedem Land gibt, sind nicht ausschlaggebend für so eine Entscheidung. Ausschlaggebend ist nur die Ausbildung der Spezialkräfte. Es zeigt aber unterm Strich auch, dass man ein starkes Interesse hat, dem Westbalkan eine friedliche Zukunft zu geben. Das ist ähnlich wie bei der KFOR-Truppe in Kosovo: Sie ist dort nicht nur als Zusicherung stationiert, dass man das Land nicht allein lässt, sondern sie strahlt auf den gesamten Westbalkan aus.
Sie waren 2011 nach Unruhen in Kosovo an der damaligen Befriedung des Verhältnisses zwischen Kosovo und Serbien wesentlich mitbeteiligt, Stichwort Nothing-Hill-Abkommen. Wie schätzen Sie die jetzige Lage auf dem Westbalkan ein?
In Kosovo sehe ich deutliche Fortschritte im Sicherheitssektor. Ich freue mich immer wieder, wenn ich in das Land komme und sehe, was die Polizisten eigentlich können. Das hat man auch im vergangenen Sommer gesehen, als die groß angelegte Polizeiaktion im Norden gelaufen ist, um dort Recht und Gesetz durchzusetzen. Auch die Kosovo Security Force hat bereits einen ungeheuer erfolgreichen Weg beschritten. Militärisch sehe ich hier weniger Herausforderungen für die Zukunft. Was mir ein wenig Sorge bereitet, ist, dass die nationalistische Rhetorik auf dem Westbalkan nicht abnimmt, sondern eher zunimmt.
Welche meinen Sie konkret?
Ich meine in erster Linie diejenigen, die mit dem Einsatz von Streitkräften drohen oder Streitkräfte aus dem gesamtstaatlichen Verbund herausnehmen wollen wie in Bosnien und Herzegowina. Ich glaube, man tut gut daran, wenn man sich zusammensetzt, so wie die Politiker nach dem Zweiten Weltkrieg hier in Mitteleuropa gearbeitet haben, und Aussöhnung und nicht nationalistisches Gedankengut von wem auch immer in den Vordergrund stellt. Aber auch die europäische Seite muss mehr tun, nicht nur zur Entlastung der Amerikaner. Die EU-Integration der Länder des Westbalkans sollte schneller gehen. Das ist kein Gnadenakt, sondern unser ureigenes Interesse.
Erhard Bühler, geboren 1956 im bayerischen Aichach, war bis zu seinem Ruhestand im April 2020 Commander des Allied Joint Forces Command der NATO in Brunssum (Niederlande). Im Jahre 2010/2011 war er Oberbefehlshaber der NATO-Truppen in Kosovo (KFOR).
Das Interview führte Anila Shuka