USA-Iran: das brisanteste Spiel der Vorrunde
28. November 2022
Selten war eine WM so politisch wie diese. Und kaum eine Partie könnte das besser verdeutlichen als das Spiel zwischen dem Iran und dessen Erzfeind USA. Das iranische Team kann zum ersten Mal in ein WM-Achtelfinale einziehen - und das ausgerechnet im dritten und entscheidenden Gruppenspiel gegen die USA. Dem Team von Trainer Carlos Queiroz reicht dazu am Dienstag (Anpfiff 20 Uhr MEZ) ein Unentschieden, während die US-Mannschaft unbedingt einen Sieg braucht.
Schon vor der Partie kam es zu einer Eskalation: Der US-Verband präsentierte auf seinen Social-Media-Kanälen einige Stunden lang eine veränderte Version der aktuellen iranischen Nationalflagge - nur mit den Farben Grün, Weiß und Rot, ohne das Emblem der Islamischen Republik in der Mitte. Diese Geste sollte die "Solidarität mit den Frauen im Iran zeigen", sagte ein US-Sprecher. Der Iran brachte daraufhin eine Beschwerde bei der FIFA vor und berief sich laut der regierungsnahen iranischen Nachrichtenagentur Tasnim auf FIFA-Regularien, die disziplinarische Maßnahmen vorsehen, wenn "die Würde oder die Integrität eines Landes verletzt werden".
Brisantes Audiofile enthüllt Einflussnahme des Mullah-Regimes
Wie blank die Nerven liegen, zeigt auch die Reaktion auf die Bemerkungen von Jürgen Klinsmann , der im Iran vor allem als ehemaliger US-Nationaltrainer gesehen wird. Es sei Teil der "iranischen Kultur", "dem vierten Offiziellen ständig in den Ohren zu liegen", hatte Klinsmann in der BBC gesagt - und dafür heftige Kritik von Irans Nationaltrainer Carlos Queiroz geerntet. Der 69 Jahre alte Portugiese war schon zwischen 2011 und 2019 Chefcoach und führte das Land zu den Weltmeisterschaften 2014 und 2018.
Queiroz selbst wird indessen durch eine geleakte Audiodatei, die zwei Tage vor dem Duell viral ging, schwer belastet. In der von der Hackergruppe "Black Reward" veröffentlichten Datei soll Ghasem Ghoreyshi während einer Sitzung zu hören sein. Ghoreyshi ist stellvertretender Direktor der paramilitärischen "Basij", die organisatorisch bei den iranischen Revolutionsgarden angesiedelt ist.
In dem Audio soll Ghoreyshi berichten, dass das Mullah-Regime in der Woche vor dem WM-Start an Queiroz herangetreten sei, um ihn für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Der Trainer sei eigentlich der verlängerte Arm des Mullah-Regimes in der Nationalmannschaft. Zudem versuche man, über 5.000 regimetreue Fans kostenlos nach Katar zu schicken, um die Atmosphäre in und um das Stadion zu beeinflussen. Des Weiteren habe die katarische Regierung in der Woche vor dem WM-Start der iranischen Führung zugesagt, alle regimekritischen Kundgebungen, Äußerungen oder Symbole zu unterbinden.
Politisch aufgeladene Partie
Dass es bei dem Duell um mehr als nur Fußball geht, zeigt die politische Lage: Seit 1980 bestehen zwischen den USA und Iran keine diplomatischen Beziehungen mehr, der tödliche Drohnenangriff auf den iranischen General Qasem Soleimani im Januar 2020 hatte die Situation noch einmal verschlechtert. Im Anschluss erließ der Iran gar einen Haftbefehl gegen US-Präsident Donald Trump.
Auf der WM-Bühne treffen beide Teams zum zweiten Mal aufeinander: 1998 spielten sie ebenfalls in der Gruppenphase gegeneinander. Beide Teams tauschten vor dem Anstoß sogar Blumen aus und posierten für ein gemeinsames Foto, von der FIFA gab es dafür später den Fair-Play-Preis. Damals feierte der Iran mit einem 2:1 seinen ersten Sieg bei einer WM-Endrunde. Dieser wird auch heute noch von Funktionären der Islamischen Republik als größter Erfolg der nationalen Fußball-Historie gefeiert.
Für die iranischen Fans ist allerdings nicht nur dieses Spiel, sondern die gesamte WM wegen der innerpolitischen Situation im Land ein Politikum: Die Nationalmannschaft ließ sich vor dem Abflug noch mit dem iranischen Staatspräsidenten ablichten, schwieg dann aber vor dem ersten Spiel gegen England als Zeichen der Solidarität mit den protestierenden Frauen im Iran. Gegen Wales gab es kein politisches Zeichen, dafür einen überraschenden Sieg - der die Fans durchaus mitriss. Nun geht es gegen den Erzfeind USA um das Weiterkommen, das sportlich durchaus möglich ist. Es ist und bleibt ein hochbrisantes Spiel - und das bereits in der Gruppenphase.