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Antje Passenheim, Washington10. Dezember 2013

Sie stehen im Dienst der US-Armee. In den Augen der Taliban sind sie Verräter. Tausende afghanische Übersetzer der US-Truppen bangen daher um ihr Leben. Auf das versprochene Visum für die USA warten sie vergeblich.

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Soldaten in Afghanistan
Bild: veneratio/Fotolia

Das Angesicht des Todes schweißte sie zusammen. Erst rettete der eine dem amerikanischen Oberleutnant das Leben - dann verhalf der andere dem afghanischen Übersetzer zum rettenden Sprung in die USA. "Ich würde hier heute nicht sitzen und die Geschichte erzählen, wenn dieser Mann nicht gewesen wäre", erzählt Matt Zeller auf seinem Sofa in einem Washingtoner Vorort.

Neben ihm sitzt der Afghane, der seine Heimat verlassen musste, weil er zwei Landsleute erschoss, um den Amerikaner vor dem Tod zu bewahren. An jenem Tag vor fünf Jahren war Zellers Konvoi in der stark umkämpften afghanischen Provinz Gasni in einen Hinterhalt gelockt worden. Zeller war von der Wucht einer Granate in einen Graben geschleudert worden. "Ich dachte: OK, das war's. Ich sterbe am 28. April 2008. Es gibt kein Morgen mehr."

Zeller saß in der Falle. 50 Talibankämpfer hatten sein kleines Team umzingelt. Er hatte keine Munition mehr, um sich zu verteidigen. "Da fühlte ich, wie noch jemand neben mir landete und bevor ich mich umdrehte, hörte ich das unverwechselbare Geräusch einer AK47 [russisches Sturmgewehr - Anm. d. Red.] neben meinem Kopf", erinnert sich der Soldat. "Ich dachte: Oh mein Gott, amerikanische Soldaten haben keine AK47. Wer zur Hölle ist da neben mir?"

Es war Janis Shinwari. Der einheimische Dolmetscher hatte zwei Scharfschützen in Zellers Rücken bemerkt. Obwohl es nicht zu den Aufgaben eines Übersetzers gehörte, zögerte er nicht und drückte ab. Zurück im Camp fragt Zeller ihn, warum er das für ihn getan habe, erinnert sich Shinwari."Ich sagte: Sieh Bruder, Du bist Gast in Afghanistan. Alle Amerikaner in Afghanistan sind unsere Gäste. Ihr seid hier, um für unsere Freiheit zu kämpfen. Es ist unsere Pflicht, das Leben unserer Gäste zu sichern."

Zwei männer vor computer Copyright: DW/Antje Passenheim
Ohne Shinwaris Hilfe wäre Zeller tot. Er wiederrum verhalf seinem Übersetzer zu einem neuen Leben in den USABild: DW/A. Passenheim

Todesliste

Zeller wartete auf den Tag, an dem er sich revanchieren könnte. Er kam schnell.

Ein afghanischer Offizier warnte Shinwari, dass die Taliban seinen Namen auf eine Todesliste gesetzt hatten. "Als sie herausfanden, dass ich das Leben nicht nur eines, sondern mehrerer Amerikaner gerettet hatte, setzten sie meinen Namen auf diese Liste. Das hieß: Sie würden mich töten, wenn sie mich finden würden."

Erst kürzlich wurde ein früherer Übersetzer der Deutschen in Kundus ermordet. Gut einen Monat nach dem Abzug der Bundeswehr aus der nordafghanischen Provinzhauptstadt war Dschawad Wafas Leiche in seinem Auto entdeckt worden. Es hieß, er habe auf der Liste der afghanischen Ortskräfte gestanden, denen die Bundesregierung wegen drohender Racheakte der Taliban bereits die Einreise nach Deutschland erlaubt hatte.

Helfer der westlichen Truppen sind in den Augen der Taliban Handlanger des Feindes. Viele mussten bereits dafür sterben. Ihre abgehackten Gliedmaßen erhielten ihre lebenden Kollegen nicht selten in Drohbriefen. "Ich wusste, dass es gefährlich für mich und meine Familie werden könnte, wenn ich diesen Job mache", sagt auch Shinwari. Doch die Liebe zu seinem Land und der Traum vom Frieden waren größer als die Angst des 36-Jährigen.

Mann im büro Copyright: DW/Antje Passenheim
Nach etlichen bürokratischen Hürden hat Shinwari es geschafftBild: DW/A. Passenheim

Kampf gegen Bürokratie

Nach mehrfachen Warnungen, beantragte der zweifache Vater schließlich doch die Einreise in die USA. Seine Vorgesetzten bestärkten ihn. "Wir werden nicht immer hierbleiben können, um Euch zu schützen", warnten sie. Ein spezielles Visa-Programm soll daher Ortskräften im Dienst der US-Truppen im Irak und in Afghanistan den Weg zu einem Leben in Sicherheit ebnen.

Theoretisch. Doch Zeller und Shinwari lernten die Praxis kennen: Nach dem Kriegseinsatz in Gasni kämpften sie nun mit den US-Behörden. Der Kampf zog sich über Jahre: Komplizierte Internetformulare, ärztliche Untersuchungen, Lügendetektoren. Die Hürden für die Flüchtlinge nehmen kein Ende. "Sie müssen belegen, dass sie dem US-Militär mindestens ein Jahr treu gedient haben. Sie müssen beweisen, dass sie bedroht werden. Und die Geheimdienste müssen jeden Terrorverdacht ausräumen", sagt Zeller. Das sei das größte Problem: "Keiner im Außenministerium oder Geheimdienst will derjenige sein, der den nächsten bin Laden zu uns reinlässt."

Schließlich war das Visum durch. Aber nur, um kurz darauf wieder unbegründet zurückgezogen zu werden. Da hatte Shinwari bereits seinen Job gekündigt und sein Hab und Gut verkauft. Die Taliban hatten von seinen Ausreiseplänen Wind bekommen. Shinwari wechselte regelmäßig seine Quartiere. Das machte die Visa-Bürokratie nicht leichter. Während der Afghane allmählich verzweifelte, schlug sein Freund Zeller für ihn in Washington Alarm. Er besuchte Politiker, reichte eine Unterschriftenliste ein. Und hatte Erfolg: Im Oktober landete Shinwari mit seiner Familie in den USA - zwei Jahre nach dem Visa-Antrag.

Schleppende Hilfe

Das war noch schnell, so Katherine Reisner vom Iraqi Refugee Assistance Project. Die für irakische Flüchtlinge gegründete Hilfsorganisation im Urban Justice Center in New York kümmert sich heute ebenso um Flüchtlinge aus Afghanistan. Die Bilanz fällt traurig aus: "Bis zum vergangenen Jahr wurde praktisch kein einziges Visum aus dem Sonderprogramm für Afghanen ausgestellt", sagt Reisner. "Die Behörden begannen erst zwei Jahre nach dem Beschluss des Programms durch den Kongress damit, es auch umzusetzen."

Von den 25.000 Visa, die per Gesetz für Iraker bereitgestellt wurden, seien seit 2008 weniger als 6000 tatsächlich vergeben worden. Noch enger sei das Nadelöhr für Afghanen. Knapp 9000 Visa sind im Topf - errechnet auf der Grundlage einer Truppenstärke von 40.000, die sich danach mehr als verdoppelt hat. Gerade mal 1200 Afghanen erhielten bis heute tatsächlich das Visum. "Der Senat stimmte im Mai über die Parteigrenzen hinweg dafür, 5000 Visa jährlich für die nächsten fünf Jahre bereitzustellen", so Reisner. Doch das müsse noch durchs Repräsentantenhaus.

Übersetzer im Irak: Ungewisse Zukunft
Viele Mitarbeiter der US-Truppen im Irak warten bis heute auf ein Visum für die USABild: DW

Ohne loyale Übersetzer seien viele ausgebildete Soldaten aufgeschmissen, sagt auch der in Afghanistan stationierte Hauptmann Rucker Culpepper. "Sie kennen das Land. Sie haben jahrelange Erfahrung in diesem Krieg", so Culpepper. Die Beraterfunktion der Übersetzer gehe mitunter weit über kulturelle Dinge hinaus. "Ich habe erlebt, wie sich Zug-Kommandeure taktische Tipps von ihren Übersetzern geben ließen." Culpepper erlebt auch, wie sein eigener Dolmetscher seit eineinhalb Jahren mit seinem Visums-Antrag an der Behördenmühle scheitert. Auch er werde massiv von den Taliban unter Druck gesetzt. Solche Drohungen, sagt Culpepper, können unterschiedlich aussehen. "Bei einem meiner Übersetzer haben sie den kleinen Bruder auf dem Schulweg abgefangen", sagt er.

Dringende Reformen

Anders als irakische Übersetzer dürfen afghanische Anwärter des Visum-Sonderprogramms nicht ihre erweiterte Familie mit in die USA bringen; auch dann nicht, wenn Verwandte bedroht werden. Wie Janis Shinwari dürfen sie lediglich mit Frau und Kindern einreisen - und auch nur dann, wenn diese noch nicht 21 Jahre alt sind. "Die Einwanderer müssen sich dann entscheiden, ob sie in die USA kommen und ihre erwachsenen Kinder in großer Gefahr zurücklassen", sagt Reisner. "Oder ob sie selbst unter Todesangst zu Hause bleiben, um hoffentlich ihre Familie zu schützen."

Es sei fahrlässig, dass einige Räder im Getriebe - teils auch in der US-Botschaft in Kabul - den Visaprozess derart blockierten. "Jeder zurückgekehrte Soldat aus Afghanistan kennt Fälle von bedrohten oder getöteten Übersetzern", sagt Reisner. Ihre Organisation, andere Aktivisten sowie Kongressabgeordnete dringen auf eine Vereinfachung des Visa-Verfahrens. Das Programm müsse dringend durch den Kongress reformiert werden.

Auch Zeller und Shinwari kämpfen wieder vereint. Sie beraten Kongressabgeordnete, um das Visa-Programm zu dem zu befähigen, was es eigentlich tun sollte: Leben retten. "Bislang", meint Zeller, "sind die Gesetze leider so geschrieben, dass das Außenministerium praktisch mit Mord davon kommt."