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Uwe Rösler: "Im Westen war man auf sich allein gestellt"

Constantin Stüve
8. November 2019

Uwe Rösler spricht im DW-Interview über die turbulente Zeit nach dem 9. November 1989, als sich für ihn und seine DDR-Mitbürger alles änderte. 30 Jahre nach dem Mauerfall hinkt der Ostfußball immer noch hinterher.

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Fussball Trainer Uwe Rösler
Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Als die Mauer fiel, war die Freude auch bei den Fußballern im Osten groß. Neue Chancen taten sich auf, Engagements im Westen, es gab die D-Mark sowie Sponsoren- und Werbeverträge. Doch kurze Zeit später wurde deutlich, dass es nur wenige Gewinner und viele Verlierer im Osten geben würde.

Zu den Verlierern zählten in erster Linie die Fußball-Vereine. Kein einziger Klub, der 1989 in der ersten DDR-Liga spielte, ist heute noch erstklassig. Traditionsreiche Klubs wie Dynamo Dresden oder Lokomotive Leipzig gerieten in finanzielle Schieflagen oder verschwanden in den neunziger Jahren in der Bedeutungslosigkeit. Uwe Rösler (50) zählte dagegen zu den Wende-Gewinnern.

DW: Wie haben Sie den Mauerfall am 9. November 1989 erlebt?

Uwe Rösler: Wir bereiteten uns mit der DDR-Nationalmannschaft auf das entscheidende Qualifikationsspiel für die WM 1990 gegen Österreich vor. Während unseres Trainingslagers in Leipzig gab es die großen Massendemonstrationen, wir sollten unsere Verwandten auffordern, nicht daran teilzunehmen. Außerdem standen schon Agenten vor dem Hotel, die zu unseren Stars Kontakt aufnehmen wollten. Die Konzentration für dieses wichtige Qualifikationsspiel ging durch den Mauerfall völlig verloren, in der Welt passierte Größeres. Das Spiel in Österreich verloren wir 0:3. Damit war meine einzige Chance, jemals zu einer WM zu fahren, dahin. Der Mauerfall war also ein Ereignis, von dem ich zwar profitiert habe, das mir aber zu diesem Zeitpunkt fußballerisch geschadet hat.

Sie waren im Herbst 1989 ein 20-jähriger, aufstrebender Profi beim 1. FC Magdeburg. Wie hat sich der Mauerfall auf Ihre Karriere ausgewirkt?

Uwe Rösler (l.v.) beim Kopfball als Spieler des 1.FC Magdeburg im November 1989
Uwe Rösler (l.v.) beim Kopfball als Spieler des 1.FC Magdeburg im November 1989Bild: picture-alliance/dpa/E. Schulz

Egoistisch gesehen war es ein sehr guter Zeitpunkt. Ich startete gerade durch in der DDR-Oberliga, war einer der Toptorjäger, seit kurzem Nationalspieler, immer noch sehr jung. Für einige meiner hochklassigen Mitspieler, die schon auf das Ende ihrer Karriere zusteuerten, war der Zeitpunkt aber nicht so gut. Für Wolfgang Steinbach, Dirk Heyne, oder Dirk Stahmann, allesamt Topspieler in Magdeburg, war es sehr hart nach der Wende. Ich hatte Glück, für mich kam sie genau richtig. 

Dem Mauerfall folgten Überlegungen, wie man die westdeutsche Bundesliga mit der ostdeutschen Oberliga fusionieren könne. Vertreter der Fußballverbände aus Ost und West beschlossen zunächst, die getrennten Ligen bis Sommer 1991 aufrecht zu erhalten und dann nach der “2+6-Regel” zusammenzulegen. Die Erst- und Zweitplatzierten der DDR-Oberliga (Hansa Rostock und Dynamo Dresden) durften sich der Bundesliga anschließen, diese wurde vorübergehend auf 20 Vereine aufgestockt. Weitere sechs Ostvereine wanderten in die zweite Bundesliga, der Rest stieg direkt in die dritte Liga ab. 

Wie beurteilen Sie die 2+6-Regel im Nachhinein. War das damals fair?

Wenn man mit einem Land fusioniert, das gerade Weltmeister geworden ist, hat man eine schlechte Verhandlungsbasis. Da muss man nehmen, was man kriegt.

Hätte es nicht einen Weg geben können, die Ostvereine besser zu schützen?

Wahrscheinlich hätte der DFB Maßnahmen ergreifen müssen. Das haben sie aber nicht getan. Sie haben die Probleme nicht vorhergesehen. So etwas gab es ja noch nie. Die Wiedervereinigung ist etwas Einmaliges. Aber ja, in den ersten drei oder vier Jahren hätte man die Ostvereine schützen müssen.

Wie war es denn für Sie mit Dynamo Dresden in der ersten gesamtdeutschen Saison 91/92?

Es war ein Highlight meiner Karriere, dass wir uns überhaupt für die Bundesliga qualifizieren konnten. Und dann haben wir auch noch entgegen aller Vorhersagen überlebt. Sie müssen verstehen, wir haben jahrzehntelang unsere Idole nur im Fernsehen gesehen und jetzt durften wir gegen sie spielen. Das hatten wir im Traum nicht für möglich gehalten.

Inwiefern hat Sie das beeinflusst?

Uwe Rösler im Einsatz für Dynamo Dresden
Uwe Rösler im Einsatz für Dynamo DresdenBild: Imago/WEREK

Im ersten Bundesliga-Jahr waren wir sehr aufgeregt und sicherlich auch ein bisschen überfordert. Wir haben in Stadien gespielt, die wir nicht kannten, gegen Spieler, die wir nie gesehen hatten. Wir konnten nicht alles aus uns herausholen, weil es zu viele neue Einflüsse gab. Verträge, Agenten, die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Davor war ja alles streng reguliert, wir wurden von der Regierung abgeschirmt. Ich brauchte eine Weile, um mich daran zu gewöhnen. 

Wie war das denn als die ganzen Sponsoren und Medien auf Sie zukamen?

Im Osten waren wir in den Medien im Prinzip kaum präsent. Es gab Spielberichte, Noten für die Spieler, aber niemand wurde extrem kritisiert oder gelobt. Im Westen kamen dann auf einmal die Bild-Zeitung, Sportbild und andere, das Individuum rückte viel mehr ins Rampenlicht. Man musste mit dem Hype umgehen, aber auch mit der Kritik. Als Stürmer zum Beispiel, wenn du nicht viele Tore geschossen hast, wurdest du öffentlich kritisiert. Damit waren wir nicht aufgewachsen. Das war ein großer Unterschied.

Was waren sonst noch die Unterschiede zwischen DDR-Oberliga und Bundesliga?

Die ostdeutsche Oberliga war eine gute Liga. Aber die Bundesliga war auf einem anderen Level. Es war halt die Liga des Weltmeisters. Was wir aber hatten im Osten, waren Talente. Matthias Sammer, Thomas Doll, Andreas Thom, Ulf Kirsten. Wir hatten eine starke aufkommende Generation, was man auch später noch an den Michael Ballacks und Bernd Schneiders sehen konnte.

Gab es weitere Gegensätze?

Ein weiterer Unterschied war die Ellenbogengesellschaft, auf die wir im Westen getroffen sind. Man war auf einmal auf sich allein gestellt. Im Osten lebten wir eher in einem Kollektiv. Als junger Spieler brauchte man Zeit, sich daran zu gewöhnen.

Was waren die größten Probleme für die Ost-Vereine nach 1989?

Uwe Rösler (M.) wird von den Manchester-City-Fans gefeiert
Uwe Rösler (M.) wird von den Manchester-City-Fans gefeiertBild: Imago/Colorsport

Die Bundesligisten kamen rüber und holten alle Talente aus dem Osten raus. Und die Ostklubs bekamen dafür keine angemessenen Ablösesummen, mit denen sie ihre Strukturen modernisieren hätten können. Die Transfersummen für Sammer, Thom, Doll und Kirsten entsprachen nicht annähernd dem Marktwert dieser international renommierten Spieler. Die Ostvereine waren ja vorher Betriebssportgemeinschaften, die im Prinzip direkt vom Staat finanziert wurden und jetzt auf eigenen Beinen stehen mussten. Dazu kam, dass nicht nur Leute vom Osten in den Westen gegangen sind, sondern auch einige Geschäftsmänner, die es im Westen nicht geschafft hatten, in den Osten herüberkamen. Und das nicht immer mit der Motivation, dem Ost-Fußball wirklich zu helfen. Es war also sehr schwierig für die Ost-Vereine, mit den professionell geführten Klubs aus dem Westen mitzuhalten.

Ist denn der Absturz des Ost-Fußballs Ihrer Ansicht nach eher der aggressiven Marktstrategie des Westens oder den selbstverschuldeten Fehlern der Ost-Funktionäre zuzuschreiben?

Natürlich gab es Managementfehler, natürlich war die Infrastruktur in schlechtem Zustand, das stimmt alles. Aber wie hätten denn die Ostdeutschen wissen sollen, wie man einen Fußballverein privatwirtschaftlich organisiert? Das hatten wir noch nie gemacht. Man muss sich ja nur mal meinen Ex-Klub Dynamo Dresden anschauen, die hatten in den 90'er Jahren einen berüchtigten Präsidenten aus Frankfurt am Main (Anm. d. R.: Rolf-Jürgen Otto), der den Verein katastrophal hinterlassen hat. Man kann also mit dem Finger nicht nur auf die Ostvereine zeigen. Natürlich ist Selbstkritik wichtig, man hätte vieles besser machen können, aber die politische und wirtschaftliche Situation war halt extrem schwierig und deswegen hat sich der Osten bis heute nicht richtig erholt.

Wie würden Sie denn heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, die Situation des Ost-Fußballs beschreiben?

Ich lebe zwar seit langem nicht mehr in Deutschland, verfolge die Entwicklung aber so gut ich kann. Dynamo Dresden hat sich wirtschaftlich stabilisiert, BFC Dynamo ist quasi verschwunden, beim 1. FC Magdeburg hatte ich gehofft, sie könnten sich in der 2. Bundesliga etablieren, leider sind sie wieder abgestiegen. Union Berlin ist fantastisch, ein sehr sympathischer Klub, der seine Fans in den Vereinsalltag integriert, das ist einmalig. Sie haben mit diesem Zusammenhalt eine gute Chance, in der ersten Liga zu bleiben. Ich habe den Eindruck, dass der Osten Deutschlands inzwischen wieder eine gute Infrastruktur hat, größeren Wohlstand, eine stabilere Wirtschaft. Investoren sind wieder stärker am Osten interessiert. Ich sage voraus, dass Dynamo Dresden irgendwann wieder in der Bundesliga spielen wird, es ist nur eine Frage der Zeit. Sie werden es hinkriegen, Dresden ist ein großer, wichtiger Verein.  

Es gibt ja seit einigen Jahren mit RB Leipzig ein sehr erfolgreiches Projekt im Osten der Republik, wie stehen Sie denn dazu?

Leipzig ist meine Heimatstadt. Es ist fantastisch, dass jemand dahin kommt und den Menschen die Möglichkeit gibt, Bundesligafußball zu erleben, an der Champions League teilzunehmen und um Titel zu kämpfen. RB Leipzig ist nicht jedermanns Sache, aber für den Fußball im Osten kann es nur gut sein, dass Leipzig ein Team hat, dass für Jahrzehnte in der Bundesliga spielen und Geschichte schreiben könnte.  

Der gebürtige Leipziger Uwe Rösler spielte in der DDR-Oberliga für Chemie Leipzig, den 1.FC Magdeburg und Dynamo Dresden, bevor er nach einem kurzen Intermezzo in Nürnberg auf der Insel sein Glück fand. Für Manchester City traf Rösler Mitte der neunziger Jahre 50 Mal in der Premier League, wurde sogar in die Hall of Fame der Skyblues aufgenommen. Mittlerweile ist er Cheftrainer beim schwedischen Erstligisten Malmö FF.