Empörung über Datenspionage
1. Juli 2013Die Bundesregierung hat die jüngsten Medienberichte über die amerikanische Datenspionage in Europa mit Befremden zur Kenntnis genommen. Dies erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Dieses Befremden habe man dem Weißen Haus auch übermittelt. Bevor man weitere Schritte unternehme, müssten aber die Fakten aufgeklärt werden. Wenn sich bestätige, dass diplomatische Vertretungen der EU und einzelner Länder abgehört werden, sei das nicht hinnehmbar. "Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg", so Seibert.
Umfassende Ausspähung befürchtet
Darüber hinaus setze sich die Bundesregierung für ein abgestimmtes Vorgehen der Europäischen Union ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel werde mit der französischen Regierung sprechen und auch das Auswärtige Amt stimme die deutschen Reaktionen mit den europäischen Partnern ab. "Noch einmal: Europa und die USA sind Partner, sind Freunde, sind Verbündete. Also muss Vertrauen die Basis unserer Zusammenarbeit sein. Und Vertrauen muss in dieser Angelegenheit wieder hergestellt werden", sagte Seibert.
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte in seiner jüngsten Ausgabe berichtet, dass auch europäischen Institutionen vom US-Geheimdienst NSA abgehört würden. So sei die EU-Vertretung in Washington verwanzt worden und selbst die Regierungen in Europa seien nicht sicher vor der Ausspähung. Auch Bundeskanzlerin Merkel sei überwacht worden, so wie Millionen Bundesbürger, deren Telefon- und Internetverbindungen ausgespäht würden. Insgesamt speichere die NSA jeden Monat eine halbe Milliarde Verbindungsdaten aus Deutschland.
Bundesregierung besorgt
Die Bundesregierung nehme diese Berichte sehr ernst, erklärte Regierungssprecher Seibert. Merkel habe mit US-Präsident Barack Obama bei seinem kürzlichen Besuch in Berlin über dieses Thema gesprochen. Sie habe dabei den Standpunkt vertreten, dass "wir alle uns Sicherheit wünschen, wir wünschen uns aber auch den Schutz unserer Privatsphäre". Diese beiden Bedürfnisse müssten in die richtige Balance gebracht werden.
Am Wochenende habe der politische Direktor des Auswärtigen Amtes Gespräche mit seinen Amtskollegen in Brüssel geführt. Am Montag erwarte man den US-Botschafter im Auswärtigen Amt zu einem Gespräch, sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer. Dabei wolle man den Amerikanern "unsere Verwunderung, unser Befremden und die Bitte, möglichst schnell aufzuklären" übermitteln.
Opposition fordert Aufklärung
Weniger zurückhaltend reagierte die Opposition. Sie forderte rasche und spürbare Maßnahmen der Bundesregierung. Der Spitzenkandidat der SPD, Peer Steinbrück, zeigte sich bestürzt über das Ausmaß der Bespitzelung und sprach von einem sehr ernsten Vorgang. Das sei in freundschaftlichen Beziehungen unvorstellbar und gehe weit über die legitimen Sicherheitsinteressen der USA hinaus.
Er forderte Bundeskanzlerin Merkel auf, für Aufklärung zu sorgen. "Wir leben in einem Rechtsstaat und ich glaube, dass deshalb die Bundesregierung klar in die Pflicht zu nehmen ist, diesen Rechtsstaat zu schützen. Darum erwarte ich jetzt nicht mehr höfliche Fragen an die USA und an Großbritannien." Stattdessen müsse die Bundesregierung Regierungskonsultationen mit den USA und Großbritannien aufnehmen. Solange der Sachverhalt nicht aufgeklärt sei und die Ausspähung europäischer Institutionen nicht beendet werde, könne die Europäische Union nicht Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA führen.
Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, sagte, die Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen könnten erst aufgenommen werden, wenn klar sei, dass Betriebsgeheimnisse gewahrt und nicht durch Spionage ausgekundschaftet würden. "Die Amerikaner führen sich genauso auf, wie sie es den Chinesen vorwerfen, indem sie sagen: Die spionieren unsere Wirtschaft aus." Trittin forderte, die existierenden Abkommen über den Austausch von Bank- und Fluggastdaten aufzukündigen. "Es geht nicht, dass jeder Bürger zum Verdächtigen gemacht wird", ergänzte Grünen-Chef Cem Özdemir. Die Bundesregierung müsse erklären, ob sie vom Ausmaß der Überwachungen gewusst habe. Diese Frage richte sich auch an den Bundesnachrichtendienst.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi forderte eine Sondersitzung des Bundestages noch in dieser Woche. Er schrieb einen entsprechenden Brief an Parlamentspräsident Norbert Lammert. Die Bundesregierung müsse dann vor den Abgeordneten darlegen, in welchem Umfang ihr diese "einzigartige und umfassende Spionage gegenüber unserer gesamten Bevölkerung und unserer Wirtschaft bekannt war", so Gysi.
Kritik des Journalistenverbandes
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierte die Überwachung der elektronischen Verbindungsdaten von Journalisten durch die NSA. Damit würde der Informantenschutz zur Farce, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. Er forderte die Bundesregierung auf, sich für das sofortige Ende der Überwachungsmaßnahmen und für die Löschung der Daten starkzumachen. Journalisten, deren Daten überwacht wurden, müssten über Dauer und Umfang der Bespitzelung lückenlos informiert werden. "Wir erwarten absolute Transparenz", sagte Konken.