Verbaler Schlagabtausch im Olympiastadion
19. April 2019Es war ein außergewöhnlicher Höhepunkt für einen außergewöhnlichen Wahlkampf: Wo sonst die Fußballer von Dynamo Kiew ihre Tore schießen, traten im Olympiastadion von Kiew nun die beiden Bewerber um das Amt des ukrainischen Präsidenten zu einer Diskussion an. Zwei Tage später gehen sie in die Stichwahl.
Das Rededuell begann mit einer freundlichen Geste: Die beiden Rivalen reichten sich zur Begrüßung die Hände. Doch dann überzogen sie sich mit gegenseitigen Vorwürfen. Der Kandidat Wolodymyr Selenskyj begann mit dem Bekenntnis: "Ich bin kein Politiker." Er sei nur ein einfacher Mensch, der angetreten sei, dieses System zu zerbrechen. "Ich bin das Resultat ihrer Fehler und Versprechungen." Selenskyj beschuldigte den Präsidenten zudem, in Korruption verwickelt zu sein. "Wie kann es sein, dass die Ukraine das ärmste Land ist, aber den reichsten Präsidenten hat.
Präsident Petro Poroschenko sagte, der Herausforderer mache das Land zum Gespött. Selenskyj habe nicht die notwendige Kompetenz für das höchste politische Amt. Zudem sprach er ihm die Fähigkeit ab, als Oberkommandierender der Streitkräfte zu fungieren. Selenskyj habe es in den vergangenen Jahren verstanden, dem Wehrdienst aus dem Weg zu gehen. Und er sei nicht in der Lage, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Stirn zu bieten, so Poroschenko weiter.
Tausende Zuschauer
Tausende Wähler konnten den verbalen Schlagabtausch zwischen dem amtierenden Präsidenten und seinem populärem Herausforderer vor Ort verfolgen: Die Arena in der ukrainischen Hauptstadt bietet Platz für rund 70.000 Zuschauer. Die Eintrittskarten waren Medienberichten zufolge vergriffen. Schon Stunden vor Beginn hatte die Nationalgarde das Olympiastadion gesichert. Laut Polizeiangaben verfolgten mehr als 20.000 Menschen den Schlagabtausch.
Die Idee einer öffentlichen Debatte zwischen den beiden prowestlichen Bewerbern stammte von Poroschenko, Selenskyj hatte dann ein Fußballstadion als Ort ins Gespräch gebracht. Die Vorbereitungen nahmen zeitweise absurde Züge an: So bestand der Polit-Neuling Selenskyj unter anderem darauf, dass beide Männer vor der Debatte einen Drogentest ablegen - nur einer von vielen ungewöhnlichen Momenten des Wahlkampfs.
Selenskyj ist Favorit
In den Umfragen liegt der 41-jährige Komiker Selenskyj derzeit klar vor Amtsinhaber Poroschenko. Mehr als 70 Prozent der Wähler wollen ihm demnach bei der Stichwahl ihre Stimme geben. Schon bei der ersten Wahlrunde hatte Selenskyj deutlich vorne gelegen, Poroschenko erreichte nur etwa halb so viele Stimmen und kam als klarer Zweiter in die nächste Runde.
Der Showdown im Stadion war der einzige Wahlkampftermin, bei dem sich die beiden Bewerber gegenüberstanden. Einem Fernsehduell hatte sich Selenskyj stets verweigert - getreu seiner Wahlkampfstrategie, klassische Medien weitgehend zugunsten von Online-Videos links liegen zu lassen. So hatte der Fernsehauftritt, bei dem er am Donnerstagabend sein Team für eine Regierung vorstellte, denn auch Seltenheitswert. "Ich bin kein Feigling", sagte er und reagierte auch auf Äußerungen Poroschenkos, wer seinen Herausforderer wähle, kaufe die Katze im Sack: "Besser eine Katze im Sack als ein Wolf im Schafspelz", erwiderte Selenskyj.
Am Nachmittag hatte Poroschenko in Kiew seine Anhänger auf dem Unabhängigkeitsplatz - dem Maidan - versammelt, um für seine Wiederwahl zu werben. Er warnte die Wähler davor, dem politisch unerfahrenen Selenskyj ihre Stimme zu geben. Es bestehe die Gefahr, dass der Schauspieler die Ukraine wieder in den Einflussbereich von Kremlchef Wladimir Putin führe - als "Satellit des russischen Imperiums". Politik sei keine Fernsehshow, mahnte er mit Blick auf die TV-Karriere von Selenskyj, der seit Jahren einen Präsidenten in einer Comedy-Serie spielt.
Keine Waffenruhe zu Ostern
Kurz vor der Stichwahl um das Präsidentenamt sind Verhandlungen über eine Osterwaffenruhe in der Ostukraine vorerst gescheitert. Am kommenden Mittwoch werde ein neuer Versuch unternommen, teilte Martin Sajdik, Vermittler der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), mit. Die Konfliktparteien wiesen sich gegenseitig die Verantwortung für das Scheitern der Gespräche zu.
In dem blutigen Konflikt zwischen Regierungssoldaten und prorussischen Separatisten in den Gebieten Donezk und Luhansk sind nach UN-Angaben seit 2014 mehr als 13.000 Menschen getötet worden. Die Umsetzung des 2015 vereinbarten Minsker Friedensplans liegt auf Eis. Zu Feiertagen wie etwa dem orthodoxem Osterfest gab es immer wieder Anläufe für eine Feuerpause.
Allerdings scheiterten alle Versuche bereits nach kurzer Zeit. Zuletzt war zum 8. März eine Frühlingswaffenruhe vereinbart worden, auch sie hielt nicht. Der OSZE zufolge ging die Gewalt nur für etwa zwei Tage zurück. Allein auf Regierungsseite wurden seitdem über ein Dutzend Soldaten getötet und mehr als 40 verwundet. Gleichzeitig stellten die Beobachter der OSZE im ersten Quartal 2019 einen Rückgang der Gewalt fest. Zudem seien weniger schwere Waffen außerhalb der erlaubten Areale entdeckt worden.
kle/sti (dpa, afp)