Verbannung des rechten Winkels
28. März 2002In gebeugter Haltung starrt der Mann von der Seite auf die Szene. Römische Soldaten in gepanzerter Ausrüstung bewachen den Leidensweg Christi. Der Mann wirkt gebrochen, entsetzt. So porträtierte der spanische Bildhauer Josep María Subirachs den Architekten Antonio Gaudí in der Skulpturenreihe am Passionsportal der Kirche Sagrada Familia in Barcelona. An der Kirche mit ihren scheinbar schwerelosen, leicht und wattig wirkenden Türmen wird immer noch nach den Plänen Gaudís gebaut.
Katalanische Variante deutschen Jugendstils
Gaudís um die Jahrhundertwende entstandenen Gebäude, die Wohnhäuser Battló und Milà oder die Balkone und Terrassen des Güell-Parks faszinieren die Touristen noch heute wegen ihrer runden Formen. "Modernismo" nennen die Spanier diese katalanische Variante des deutschen Jugendstils. Allein die Sagrada Familia besuchen 4,5 Millionen Menschen im Jahr. Und das, obwohl ein Ende der 1882 begonnenen Arbeiten noch gar nicht abzusehen ist.
"Die Menschheit unterteilt sich in zwei Gruppen. Die einen reden, die anderen machen. Ich gehöre zur zweiten Gruppe." Das sagte Gaudí 1913 einem Reporter der Zeitung "La Razón de Montevideo". Er könne seine Kunstvorstellungen nicht ausdrücken, meinte er damals. Tatsächlich gibt es kaum Äußerungen Gaudís über sein Werk oder sich selbst. Er wurde 1852 im katalanischen Reus geboren, sein Vater war Kesselschmied. Katholische Erziehung bei den Piaristen, Architekturstudium in Barcelona - viel mehr ist über seinen Werdegang nicht bekannt.
Gegen gerade Linien und rechte Winkel
So lässt sein Leben viel Spielraum für Interpretationen und für Vereinahmungen. "Seine katalanische Identität war radikal", sagt etwa der nationalistische Politiker und katalanische Ministerpräsident Jordi Pujol. Der sozialistische Bürgermeister Barcelonas, Joan Clos, betont dagegen das Fortschrittliche an der Architektur Gaudís. Die erste Ausstellung in diesem Jahr im Stadtmuseum Barcelonas beschäftigt sich mit der Geometrie und den Rechenkünsten, mit denen der Architekt die geraden Linien und rechten Winkel aus seinen Bauwerken verbannte.
Ende eines Unerkannten
Am 7. Juni 1926 wurde Antonio Gaudí in der Innenstadt Barcelonas von der Straßenbahn angefahren. Niemand erkannte ihn, und da er nie viel Wert auf Kleidung gelegt hatte, hielt man ihn für einen Mittellosen und trug ihn ins Armenspital. Dort starb er drei Tage später, am 10. Juni. An seiner Bestattung in der Krypta der Sagrada Familia nahmen Tausende teil. epd/(pg)