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Verfassungsschutz: Inventur mit Folgen

Marcel Fürstenau25. März 2015

Der Inlandsgeheimdienst hat beim NSU-Desaster total versagt. Nach intensiver Fehleranalyse soll nun alles besser werden. Das dürfte schwierig sein, weil die Bundesländer unterschiedliche Vorstellungen haben.

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Deutschland Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln Logo
Bild: dapd

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch einen umfangreichen Gesetzentwurf für den Verfassungsschutz von Bund und Ländern vorgelegt. Er ist die Antwort auf das Versagen der für Sicherheit zuständigen staatlichen Behörden im Zusammenhang mit der rassistischen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). "Dem Schock des Versagens folgte die Entschlossenheit zur Reform und Veränderung", sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vor der internationalen Hauptstadtpresse in Berlin.

Wesentliches Ziel ist es, die Kommunikation zwischen den Ämtern zu verbessern, um gewalttätige Gruppierungen wie den NSU frühzeitig identifizieren zu können. Die Rechtsterroristen blieben auch deshalb gut 13 Jahre unentdeckt, weil es zwischen den zahlreichen Verfassungsschutzämtern nur einen schlechten oder gar keinen Informationsaustausch gab. Dieser Mangel soll durch Kompetenzerweiterungen für das in Köln ansässige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) behoben werden.

Thüringen verzichtet auf V-Leute

Beim BfV laufen künftig idealerweise alle Fäden zusammen, wenn es sich um länderübergreifende Formen des linken, rechten oder religiösen Extremismus handelt. Der Bundesinnenminister betonte, wie weit die Stärkung der Zentrale im Streitfall mit den Ländern gehen könnte: " Wenn nötig, tritt es selbst in die Beobachtung ein." Dies könnte in Thüringen theoretisch schon bald geschehen. Die Landesregierung unter Bodo Ramelow (Linke) hat erst vor wenigen Tagen den fast kompletten Verzicht auf V-Leute verkündet. Dabei handelt es sich um Männer und Frauen, die in Szene-Milieus aktiv sind und dem Verfassungsschutz Interna liefern - meistens gegen Bezahlung.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs für eine Reform des Verfassungsschutzes.
Thomas de Maizière reagiert verschnupft auf die Entscheidung Thüringens, auf V-Leute zu verzichten.Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Die Entscheidung Thüringens hält de Maizière für falsch. "Sie dient nicht der Sicherheit und dem Kampf gegen Extremismus." Ministerpräsident Ramelow wollte den Verfassungsschutz in seinem Land sogar abgeschaffen, konnte sich mit diesem Vorstoß aber nicht gegen seine sozialdemokratische Koalitionspartnerin durchsetzen. Das Pikante: Der erste linke Regierungschef in Deutschland wurde jahrelang vom Inlandsgeheimdienst beobachtet und klagte dagegen erfolgreich.

Kritik von der Datenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff

Für den Bundesinnenminister kam ein Verzicht auf die umstrittene V-Leute-Praxis überhaupt nicht infrage. Sie seien ein "unverzichtbares Mittel zur Informationsgewinnung". Bei der Anwerbung solcher Personen soll aber genauer hingeschaut werden. Dass V-Leute in aller Regel Menschen sind, "mit denen man sonst nicht so gerne zusammenarbeiten möchte", ist de Maizière klar. Bekannte Gewalttäter als Zuträger soll es aber nicht mehr geben. Ein vorbestrafter Rechtsextremist wie der Berliner Carsten Szczepanski alias "Piatto" dürfte künftig nicht mehr für den Verfassungsschutz spitzeln. Ähnliches gilt für den Thüringer Tino Brandt, in dessen Umfeld sich die mutmaßlichen NSU-Mörder radikalisiert haben. Beide Männer waren auch Zeugen im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht.

Der Thüringer Neonazi Tino Brandt Prozess als Angeklagter vor dem Landgericht Gera.
Der langjährige V-Mann des Verfassungsschutzes, Tino Brandt, wurde Ende 2014 vom Landgericht Gera wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu einer Haftstrafe verurteilt.Bild: picture-alliance/dpa/Martin Schutt

Ein weiteres Element der Verfassungsschutz-Reform ist nach de Maizières Vorstellungen das gemeinsame Nachrichtendienstliche Informationssystem (Nadis). Darin sollen alle relevanten Informationen länderübergreifend zusammengeführt werden. Datenschutzrechtliche Belange seien berücksichtigt worden, versichert der Bundesinnenminister. Dieser Behauptung widerspricht die vom Bundestag gewählte Datenschutzbeauftragte des Bundes, Andrea Voßhoff. Die Relevanz-Kriterien seien völlig offen, sagte sie in Berlin. Zugleich forderte sie gesetzliche Regelungen dazu, über welche Personen überhaupt Informationen erhoben und gespeichert werden dürfen.

Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses

Heftige Kritik am Gesetzentwurf der Bundesregierung äußert auch der stellvertretende Linken-Fraktionschef Jan Korte. Wer den Verfassungsschutz personell verstärke und mit mehr Befugnissen ausstatte, "belohnt ein intransparentes System". Der Inlandsgeheimdienst habe bislang auf ganzer Linie versagt und sei mit Bürgerrechten "schwer in Einklang zu bringen". Der Bundesinnenminister betont hingegen, mit dem Gesetzentwurf der Regierung Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen.

Das Bundestagsgremium hat in seinem 2013 vorgelegten Abschlussbericht den Verfassungsschutz besonders harsch kritisiert und eine Reform angemahnt. Erste Vorschläge unterbreitete de Maizières Vorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) bereits Ende 2012. Seitdem sind fast zweieinhalb Jahre vergangen. Der Diskussionsbedarf zwischen Bund und Ländern war offenbar groß.