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Vergangenheitsbewältigung findet nicht statt

BS / sosa3. Juni 2013

Ein gemeinsames Geschichtsbuch für Südosteuropa lässt auf sich warten - die Ansichten sind noch sehr unterschiedlich, stellt eine Analyse des Medienprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Sofia fest.

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Protest gegen die Einschränkungen der Pressefreiheit (EPA/HORACIO VILLALOBOS +++(c) dpa - Report)
Presse schützt die "nationalen Mythen"Bild: picture-alliance/dpa

Als die bulgarische Kunsthistorikerin Martina Baleva vor fünf Jahren einige antiislamische Stereotype in Bulgarien am Beispiel des Mythos vom "Massaker in Batak" auf einer wissenschaftlichen Konferenz thematisieren wollte, wurde sie im bulgarischen Fernsehen und den auflagenstärksten Zeitungen wüsten Beschimpfungen und Morddrohungen ausgesetzt. Im Ort Batak im heutigen Bulgarien wurde 1876 der Widerstand der Bevölkerung gegen die Osmanen niedergeschlagen, mehrere Tausend Menschen wurden niedergemetzelt - das Massaker gehört zu den "nationalen Mythen" Bulgariens. Der bulgarische Anthropologe Iwajlo Ditchew beschrieb die Situation damals: "Die Medien zeigten in guter kommunistischer Tradition Tag für Tag einfache Leute und Schulkinder, die sich über den vermeintlichen Versuch, die Geschichte umzuschreiben, empörten." Martina Baleva musste um ihr Leben fürchten und floh ins Ausland.

Ähnlich unerwünscht war die mediale Auseinandersetzung mit der erzwungenen Umbenennung und Vertreibung der türkischen Minderheit aus Bulgarien, kurz vor der Wende 1989. "Lediglich etwa 20 Journalisten landesweit haben sich bislang mit der staatlichen Unterdrückung der türkischstämmigen Bevölkerung und den kommunistischen Arbeitslagern beschäftigt", schreibt Christian Spahr, Leiter des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), in seiner im April 2013 veröffentlichten Studie.

Christian Spahr vom Medienprogramm der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia (Bild: Privat/DW)
Christian Spahr vom Medienprogramm der Konrad-Adenauer-StiftungBild: privat

Mangelnde Vergangenheitsbewältigung

"Schweigen und Skandalisierung" prägen aus seiner Sicht den Umgang südosteuropäischer Medien mit der Vergangenheit. Das zeige nicht nur der Blick auf die kommunistische Epoche, sondern etwa auch der Umgang der Medien mit den Kriegen in Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren. In beiden Fällen sieht Spahr Nachholbedarf für eine ausgewogene Berichterstattung und vor allem eine kritische Selbstreflexion der Medien: "Das ist natürlich nicht nur eine Frage der Medien, sondern auch der politischen Debatte und der politischen Kultur in einzelnen Ländern. Für die Identifikation der Gesellschaft mit dem neuen politischen System ist es wichtig, das Alte aufgearbeitet zu haben", sagte Spahr im Gespräch mit der DW.

Diese Aufarbeitung ist allerdings, sowohl in Bulgarien, als auch in anderen Ländern des Westbalkans, nicht systematisch betrieben worden. Spahr nennt sie "sehr bruchstückhaft und unzusammenhängend", die inhaltliche Auseinandersetzung sei nicht nachhaltig und auch nicht besonders tiefgehend.

Kommunismus wird ausgeblendet

So zum Beispiel seien die "ethnischen Perspektiven" in der Berichterstattung auf dem Westbalkan immer noch zu stark verbreitet, etwa wenn es um die Jugoslawienkriege geht: "Das heißt, es kommt relativ häufig vor, dass man die Verbrechen der 'Anderen' überbetont und die Verbrechen der 'Eigenen' etwas unterbetont. Das führt dazu, dass der Blick auf die Vergangenheit dort immer noch sehr parteiisch ist." Spahr zufolge ist aber mit einer zunehmenden Annäherung der ehemals verfeindeten Gruppen zu rechnen, wie das jetzt zwischen Serbien und dem Kosovo geschieht. Er erwartet daher, dass die Vergangenheit der 1990er Jahre in kleinen Schritten aufgearbeitet wird.

Was die Bewältigung der kommunistischen Vergangenheit Bulgariens betrifft, ist Christian Spahr vorerst nicht sehr optimistisch. Es fehle noch der Grundkonsens in der Gesellschaft, dass es nötig sei, sich mit dieser Vergangenheit zu beschäftigen und daraus Lehren zu ziehen. Zudem habe bisher kein konsequenter Bruch mit den alten Eliten stattgefunden, was durchaus auch für die Medien gelte. Das ist auch auf die anderen Länder des Westbalkans übertragbar: Während der Umbruchphase in den 1990er Jahren haben Vertreter der früheren kommunistischen Elite, die kein Interesse an einer Aufarbeitung hatten, Medien-Unternehmen übernommen. Darüber hinaus werde eine sachliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auch durch den in ganz Südosteuropa existierenden Trend zum Boulevardjournalismus erschwert, stellt die KAS-Analyse fest.

Zeitungskiosk in Zagreb (Andelko Subic/DW)
Boulevadpresse dominiert den MarktBild: DW / Subic

Die verborgenen Geldgeber

Ein weiteres Hindernis ist, dass zahlreiche Medieneigentümer in der Region keine traditionellen Publizisten sind, die sich als vierte Gewalt und politische Kontrollinstanz in der Demokratie verstehen. Spahr weiter: "Es ist ein offenes Geheimnis in der Branche hier, dass sich viele Medien nicht wirtschaftlich selbst tragen können, die Anfälligkeit für externe Geldflüsse, sei es aus dem staatlichen Bereich oder sei es aus dem Bereich von Wirtschaftgruppen, ist relativ hoch." Insofern gibt es an vielen Stellen eine Beeinflussung durch Geldgeber, stellt Spahr fest, "die nicht offen zu Tage treten." Um dies zu verändern, müsse man vor allem die wirtschaftlichen Grundlagen der Medien in der Region verbessern.

Christian Spahr erwartet eine stärkere Konsolidierung des Medienmarktes in Südost-Europa, da ein Teil der vorhandenen Medien nicht überlebensfähig sei. Privatisierungen im Medienbereich betrachtet er allerdings nicht unbedingt als Segen - vor allem, weil die Eigentümer nicht immer gefestigte Vorstellungen über die Rolle der Presse und über ethische Standards mitbringen. Doch gerade die Einhaltung dieser Standards könnte das Vertrauen der Südosteuropäer in die Medien wieder stärken und die Medien selbst zu einem Schlüssel des politischen Bewusstseinswandels machen.