Vergessene Menschenrechte
6. Dezember 2017Menschenhandel, Missbrauch in Flüchtlingsheimen, menschenrechtswidrige Zustände in Gefängnissen und entwürdigender Ausschluss von Menschen mit Behinderung – ja, wir reden über Deutschland, wenn von diesen Missständen die Rede ist.
Das Institut für Menschenrechte hat am Mittwoch seinen zweiten Bericht zur Lage der Menschenrechte in Deutschland herausgegeben – im Auftrag von Bundestag und Bundesrat. Und weil die Achtung von Menschenrechten eine "dauerhafte und sich immer wieder neu stellende Aufgabe ist", wie Institutsleiterin Beate Rudolf unterstreicht. Zwei Schwerpunkte hat der Bericht dieses Jahr: Geflüchtete mit Behinderung und Kinder von Inhaftierten. Damit werden zwei Gruppen in den Vordergrund gestellt, die normalerweise nicht viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten – und deren Grundrechte daher oft vernachlässigt werden.
Wie fühlt es sich für ein Kind an, wenn die Eltern im Gefängnis sind? Beate Rudolf sagt, diese Kinder hätten ein hohes Risiko, psychisch zu erkranken. Man müsse also aufpassen, "dass die Kinder nicht mitbestraft werden". Das Institut für Menschenrechte fordert daher von Haftanstalten, den Kindern zumindest das Recht auf einen direkten Umgang mit beiden Elternteilen zu garantieren. Monatlich würden je nach Bundesland zwischen einer und vier Stunden Besuchszeit erlaubt. "Die Besuche werden vorrangig als Recht des inhaftierten Elternteils behandelt, aber nicht an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet", kritisiert Rudolf. Sie fordert auch kindgerechte Besuchsräume, in der zum Beispiel Spielen möglich ist.
Keine Barrierefreiheit im Flüchtlingsheim
Für manche Menschen mit Behinderung kann es auch schwierig sein, sich für ihre Rechte einzusetzen. Dasselbe gilt für viele Geflüchtete, die anfangs oft kein Deutsch sprechen und nicht wissen, welche Ansprüche sie geltend machen können. Beate Rudolf erzählt von dem Fall eines Jungen, der mit einer spastischen Lähmung aufgewachsen ist. Mit 13 Jahren kommt Hisham in Begleitung seiner Mutter und seiner kleinen Schwester nach Deutschland. Die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende, in der die kleine Familie landet, bereitet ihm und seiner Mutter Schwierigkeiten, denn Koch- und Sanitäranlagen liegen in einer anderen Etage als die Zimmer. So muss die Mutter ihren Sohn mehrmals am Tag nach oben und wieder nach unten tragen. Zwei Jahre später wohnt die Familie zwar in einem barrierefreien Heim und Hisham hat einen Halbtagesplatz an einer Förderschule bekommen. Bis heute hat er allerdings keinen Rollstuhl und wird im Kinderwagen seiner kleinen Schwester geschoben.
Auf solche und andere Fälle möchte das Institut für Menschenrechte hinweisen. Viele Geflüchtete haben durch Kriegsverletzungen eine Behinderung oder sind durch Traumata belastet. Doch die Behinderungen werden oftmals gar nicht als solche erkannt. Es gebe "keine Verfahren zur systematischen Identifikation besonders schutzbedürftiger Menschen", bemängelt die Sprecherin des Instituts.
Abschiebediskussion "irritierend"
Mit dem Schwerpunkt auf Geflüchtete mit Behinderung und Kindern von Inhaftierten hat das Institut für Menschenrechte zwei Probleme gewählt, die gesellschaftlich oft unsichtbar sind. Doch es gibt noch mehr solcher Themen. Im Juni brachte das Institut auch eine Zwischenbilanz zu Menschenhandel heraus. Demnach gibt es in Deutschland mitunter ein solches Ausmaß an Arbeitsausbeutung, dass die Grenze zum Menschenhandel "fließend" sei.
Auch Gewalt gegen Frauen oder der Mangel an unabhängigen Beschwerdestellen gegen die Polizei sind Themen, die es zwar nicht in den Jahresbericht geschafft haben, die aber im Laufe des Jahres vom Institut untersucht wurden. Flucht, das im letzten Jahresbericht Hauptthema war, ist weiterhin ein großes Thema, was Menschenrechte in Deutschland angeht. Dass CDU und CSU nun ernsthaft darüber diskutieren, syrische Geflüchtete in ihr Heimatland abzuschieben, hält die Direktorin des Instituts für "gelinde gesagt, irritierend".