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Vergesst den Süden

Kai Dreisbach22. Mai 2004

Im US-Wahlkampf gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Wer Präsident werden will, muss zumindest einige der Südstaaten gewinnen. Doch gilt dies auch 2004? Darüber streiten vor allem die Demokraten.

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"Alle machen immer den Fehler, nach Süden zu schauen", hatte der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry im Januar bei einer Wahlkampfveranstaltung in New Hampshire erklärt. "Al Gore jedoch hat bewiesen, dass er Präsident der Vereinigten Staaten hätte werden können, ohne einen einzigen der Südstaaten gewonnen zu haben." In der Theorie hat Kerry damit Recht – denn Gore hat die Wahl 2000 nicht nur in Florida verloren. Hätte er nur einen weiteren Staat außerhalb des Südens gewonnen, dann wäre er heute Präsident. Bekanntlich jedoch gelang ihm dieses Kunststück nicht.

Entscheidung im Süden?

Insofern bestätigt Gores Niederlage die bisher allgemein akzeptierte These, dass ein Demokrat nur dann Präsident wird, wenn er wenigstens in einigen der als Bastion der Republikaner geltenden Südstaaten einen Sieg davonträgt. Ein Blick in die Geschichte scheint die Gültigkeit dieser Annahme zu be­weisen. Außer Al Gore konnten auch Walter Mondale (1984) und Michael Dukakis (1988) keinen einzigen Staat im amerikanischen Süden gewinnen – und sie verloren auch landesweit. Gleiches war Jimmy Carter 1980 widerfahren, als er nur noch seinen Heimatstaat Georgia gewann. 1976 hatte er noch in zehn der zwölf Südstaaten gesiegt – und war Präsident geworden. Ebenso Bill Clinton, der 1992 und 1996 jeweils fünf Südstaaten gewann. Doch welche Aussagekraft hat eine solche historische Statistik?

"Keine", meint Thomas F. Schaller, Politikprofessor an der Universität von Maryland. Er hält die vermeintlich wahlentscheidende Bedeutung des Südens für einen Mythos. "Würde man alle Wahlmännerstimmen, die Clinton 1992 und 1996 in den Südstaaten gewonnen hat, vom Gesamtergebnis abziehen, dann hätte er beide Wahlen trotzdem für sich entschieden." Daher sollten die Demokraten den Süden einfach vergessen – dies sei die beste Strategie für ihre Rückkehr ins Weiße Haus.

Alternativen

Damit spricht Schaller vielen demokratischen Wahlkampfstrategen aus der Seele. Warum, so fragen sie, sollte John Kerry Zeit und ohnehin nur begrenzt vorhandenes Geld in eine Region investieren, in der für ihn ohnehin nichts zu gewinnen ist? Einige Demokraten favorisieren daher eine Wahlkampfstrategie, die sich auf Schlüsselstaaten außerhalb des Südens konzentriert. Es mag taktisch unklug von Kerry gewesen sein, diese Überlegungen öffentlich zu machen. Ganz unrealistisch allerdings erscheinen sie nicht.

Denn Verschiebungen in der Parteienbindung und demographische Entwicklungen haben dazu geführt, dass sich die Ausgangslage für die Demokraten andernorts verbessert hat. Dies gilt vor allem für den Mittleren Westen und den Südwesten der USA. Hier befinden sich nach Ansicht der meisten politischen Beobachter – und auch nicht weniger demokratischer Wahlkampfstrategen – die neuen swing regions. "Meiner Meinung nach", so erklärt Thomas Schaller, "liegt der Schlüssel zu einer demokratischen Mehrheit im Südwesten, einer der Regionen mit dem höchsten Bevölkerungswachstum und vor allem mit einer stetig wachsenden Zahl von Latinos und Indianern, also eher den Demokraten zuneigenden Bevölkerungsgruppen."

Bedenken

Doch für Robert P. Steed, Politikprofessor an der Militärhochschule Citadel in South Carolina, hat die "Vergesst-den-Süden"-Strategie ihre Tücken. Darin ist er sich einig mit vielen demokratischen Politikern. Steed hält es für unklug, den Süden einfach abzuschreiben: "Das Ganze ist simple Mathematik. Wenn Kerry den Süden kampflos an Bush übergibt, dann muss er so gut wie alle heiß umkämpften anderen Staaten gewinnen – Bush dagegen braucht dann nur noch ein paar." Statistisch gesehen könne Kerry mit einer solchen Strategie zwar Erfolg haben, doch sei dies ein äußerst riskantes Unterfangen.

Und immerhin, so Steed, ganz ohne Chancen sei John Kerry ja auch im Süden nicht. In Florida und mit Abstrichen in Louisiana, Arkansas und Tennessee hat er zumindest Aussichten auf einen Sieg. Vielleicht hat auch Kerry dies eingesehen. Er hat inzwischen angekündigt, auch im Süden einen engagierten Wahlkampf zu betreiben. Die diesjährige Präsidentschaftswahl könnte also doch wieder in Florida entschieden werden.