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Politik

Die Sexsklavinnen der Al-Shabaab

Diana Wanyonyi DP
9. März 2018

Viele junge Frauen aus Kenia schließen sich der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab in Somalia an. Was sie erleben, ist Gewalt, Missbrauch und Angst. Eine Rückkehrerin hat der DW ihre Geschichte erzählt.

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Al-Shabaab Kämpfer in Somalia (Archiv)
Bild: picture alliance/AP Photo/F. A. Warsameh

Auf den ersten Blick wirkt Radhia Mambo genau wie die anderen jungen Frauen, die am Hafen von Mombasa spazierengehen. Wie sie trägt die 27-Jährige das traditionelle schwarze Buibui-Gewand. Ihr Gesicht verbirgt sie hinter dem muslimischen Schleier, der Hijab. Vor den meisten Menschen verbirgt sie auch ihre Geschichte. Radhia ist nicht ihr richtiger Name - er wurde geändert, um sie zu schützen. Denn sie ist heimlich nach Kenia zurück gekehrt, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen ist. 

Um sie herum pulsiert das Leben: Frauen preisen lauthals Fisch an, den sie am Straßenrand braten. Aber Radhia macht nur kurz ein bisschen verstohlenen Smalltalk. Gezielt läuft sie auf das Haus einer Freundin zu und schlüpft fast lautlos durch das schwarze Eisentor auf das Grundstück. Sie will erst reden, nachdem sich das Tor hinter ihr geschlossen hat. Vor zwei Monaten ist sie aus Somalia zurückgekehrt. Zu Fuß ist sie vor der islamistischen Al-Shabaab-Miliz geflohen, die sie als Sexklavin missbraucht hatte. Ein Verwandter hatte sie 2013 rekrutiert, nachdem sie in Mombasa vergeblich nach Arbeit gesucht hatte. 

Schläge, Folter, HIV

"Männer, die meinen Vater kannten, hatten mich mitgenommen. Sie sagen mir, dass ich sie nach Somalia begleiten könnte. Ich sollte dort als Köchin arbeiten. Ich habe zugestimmt. Als ich dort ankam, sah ich eine Menge Menschen mit langen Bärten, die arabisch aussahen. Sie schlossen das Tor sofort nachdem ich angekommen war, damit ich nicht entkommen konnte."

Freiwillige helfen Mann, dessen Frau Opfer eines Al-Shabaab-Anschlages wurde
Immer wieder verüben Al-Shabaab-Kämpfer Anschläge in KeniaBild: picture-alliance/dpa/D. Kurokawa

Es fällt Radhia noch immer schwer, ihre Geschichte zu erzählen. Als eine Nachbarin beginnt, vor dem Nebenhaus Geschirr zu waschen, verstummt sie - aus Angst, die Frau könnte sie hören. Es dauert eine Weile, bis sie sich traut, weiterzusprechen. Schließlich zieht sie den Buibui aus und zeigt die Narben, die ihren Körper bedecken. Eine medizinische Untersuchung in Mombasa hat außerdem ergeben, dass sie HIV-positiv ist.

"Die Menschen, bei denen ich in Somalia war, waren nicht gut zu mir. Sie haben mich gefoltert. Sie haben mir 60.000 Kenianische Schillinge (rund 480 Euro, A.d.Red.) als Monatslohn versprochen, aber gezahlt haben sie mir nie etwas. Sie haben mich zur Sexsklavin gemacht, jeder konnte mit mir schlafen. Kondome hat keiner benutzt. Sie haben mich geschlagen, mich verletzt. Als ich schließlich geflohen bin, hatte ich überall Wunden."

Radhia gehört zu den wenigen, die fliehen konnten. Ein Zufall half ihr: Eines Tages sollte sie das Tor für Besucher öffnen, die auf das Grundstück kamen, in dem sie gefangen gehalten wurde. Stockend erzählt sie, dass sie in einen Wald flüchtete. Aus Angst versteckte sie sich dort für einen Monat. Schließlich traf sie auf jemanden, der ihr den Weg nach Kenia erklärte. 

Zehntausende Rekrutinnen bei Al-Shabaab?

Radhia ist nicht allein. Kenias Sicherheitsbehörden warnen, dass sich immer mehr Mädchen und junge Frauen der Al-Shabaab anschließen. Oft lockt die Miliz sie, indem sie ihnen Geld, Arbeit oder sogar Ehemänner verspricht. Nur wenige können entkommen.

Kenianische Soldaten mit Helmen und Gewehren
Kenianische Soldaten bekämpfen die Al-Shabaab auch in SomaliaBild: picture alliance/AP Photo/B. Curtis

An Kenias Küste wird erzählt, dass die Miliz auch immer mehr junge Frauen als Spione anwirb, weil sie weder von den Sicherheitsbehörden noch von der Bevölkerung als Gefahr wahrgenommen werden. Eine neue Taktik, nachdem die Behörden in der Vergangenheit viele Anschläge verhindern konnten, sagt Martin Kimani. Er leitet das kenianische Anti-Terror-Zentrum. Doch nachdem immer mehr Fälle wie der von Radhia bekannt wurden, ist auch Kenias Regierung auf das Phänomen aufmerksam geworden.

"Wir haben festgestellt, dass Frauen nicht respektiert werden, die sich der Al-Shabaab anschließen und nach Somalia gehen. Sie werden missbraucht, geschlagen und ausgebeutet", sagt Kimani im DW-Interview."Sie leiden noch mehr als die Männer. Wir möchten, dass die Frauen wissen, dass sie ihr Leben riskieren, wenn sie sich den Aufständischen anschließen." Die Behörden unterstützen Rückkehrerinnen bei der Reintegration, sagt Kimani. "Es gibt aber auch Rückkehrer, die Terroranschläge in Kenia verüben wollen. Sie bekommen von uns natürlich keine Amnestie."

Unklar ist, wie viele junge Frauen die Al-Shabaab rekrutieren konnte. "Wir vermuten, dass sich mehr als 10.000 junge Menschen der Miliz angeschlossen haben", sagt  Phylis Muema, Direktorin des Kenianischen Zentrums für Gemeinschaftsunterstützung. Die Nichtregierungsorganisation unterstützt Al-Shbaab-Aussteiger an Kenias Küste. Die Zahl beruht auf Gesprächen mit den Eltern von Rekruten und Al-Shabaab-Aussteigern, erklärt Muema. Seit zehn Jahren seien Milizen an der Küste aktiv. "Einige der jungen Menschen, die sie rekrutiert haben, sind verstorben. Andere hatten Glück und konnten wieder zurückkommen", sagt Muema. 

Frauen vor einem Obststand in Mombasa
Die Bevölkerung an Kenias Küste ist mehrheitlich muslimisch (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/A. Gebert

Amnestie wird nicht angenommen

2015 verkündete die kenianische Regierung eine Amnestie für alle junge Menschen, die sich der Al-Shabaab angeschlossen hatten. Sie sollten Therapien bekommen und in die Gesellschaft reintegriert werden. Viele Rückkehrer haben sich aber nie bei den Behörden gemeldet. Sie haben Angst vor dem großen Netzwerk der Al-Shabaab in Kenia. Dort gelten sie als Abtrünnige, ihnen droht der Tod.

Radhia nahm nach ihrer Rückkehr wieder vorsichtigen Kontakt zu ihren Nachbarn auf. Ihr Mann hatte sich bereits zwei Jahre vor ihr der Al-Shabaab angeschlossen. Seitdem hatte sie nie wieder von ihm gehört. Nun verkauft sie Gemüse auf dem Markt, um sich und ihre fünf Kinder durchzubringen.

"Mein Mann ist einfach verschwunden und hat nicht einmal angerufen, um zu fragen, wie es uns geht", erzählt sie. "Daher musste ich nach einer Arbeit suchen. Während der schlimmen Zeit in Somalia hatte ich immer den eisernen Willen, zu entkommen. Ich habe immer gedacht: Eines Tages werde ich fliehen. In den Wochen, in denen ich im Wald war, konnte ich nichts richtiges essen oder mich ordentlich waschen. Ich habe nur von Früchten gelebt. Aber das war immer noch besser als die schlimmen Dinge, die ich in Somalia erlebt habe. Ich werde niemals mehr dorthin zurückkehren."