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Verhaltenstherapie: Abnehmen ohne Sport und Diät

Vuk Tesija
24. Januar 2022

Zwei kroatische Ärzte behandeln Adipositas-Patienten mit einer multidisziplinären Verhaltenstherapie. Wichtiger für den Erfolg ist dabei die seelische Ausgewogenheit und Durchhaltevermögen als Sport und radikales Fasten.

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Verkostung eines Schinkens aus Trevelez/ Andalusien
Abnehmen ohne Verzicht: Einen deftigen luftgetrockneten Schinken, darf genießen, wer beim Essen Balance hält.Bild: picture-alliance/dpa/F. Heuer

Wer mit Übergewicht kämpft, weiß, wie mühsam es ist, die überflüssigen Pfunde zu verlieren:  Sport ist anstrengend und Diäten bringen oft nur kurzfristigen Erfolg. Gerade hat man sich einige Kilo weggehungert, kommen sie nach kurzer Zeit wieder zurück. Starkes Übergewicht, also Adipositas, beeinträchtigt die Lebensqualität  und verkürzt die Lebenserwartung der Betroffenen.

Die Osijeker Hausärzte Mario Ćurković und Dražen Gorjanski berichten indes durchaus über Erfolge. Etwa 130 übergewichtigen Patienten haben sie bereits geholfen, ihr Übergewicht deutlich abzubauen.

Dabei verordnen die beiden Ärzte nicht etwa nur eine Therapie oder Diät, sondern sie nehmen sich der Patienten mit mehreren Ansätzen an, denn Ćurković und Gorjanski sehen Fettleibigkeit als eine komplexe, aber heilbare Erkrankung. Ihre Methode nennen die Ärzte "Osijeker Gewichtsabnahmeprogramm POST" (Program Osječkog Smanjivanja Težine), und sie waren selbst überrascht vom Erfolg der Verhaltenstherapie. 

Komplexe Kommunikationswege des Körpers

Die Physiologie des Menschen ist keineswegs einfach zu durchblicken, betont Goranjski. Und weil sie so komplex ist, spielen auch bei Fettleibigkeit viele Dinge ineinander. Daher müsse Adipositas multidisziplinär als Krankheit behandelt werden.

"Wie jede Krankheit hat Fettleibigkeit ihre Ursachen, Behandlung und Heilung", sagt der Arzt. "In unserem Körper gibt es ein System zur Aufrechterhaltung eines konstanten Gewichts, das homöostatische System. Es beruht auf der Kommunikation zwischen dem Verdauungssystem und dem Gehirnzentrum für Hunger, Sättigung und Genuss".

Die meisten gesunden Menschen essen normal, also wenn sie Hunger bekommen. Und sie essen das, worauf sie Appetit haben,  nehmen dadurch aber nicht zu. "Allerdings kommt es durch die heutige Lebensweise, durch ein großes Angebot an ungesunder Nahrung und zu häufiges Essen zu einer Störung der Kommunikation zwischen Verdauungssystem und Gehirn", sagt Gorjanski. 

Dr. Mario Curkovic und Dr. Drazen Gorjanski, Ärzte aus Osijek
Mario Ćurković und Dražen Gorjanski wollen ihre Verhaltenstherapie bekannt machen und anderen helfen. Bild: Vuk Tesija/DW

Und diese Kommunikation wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, sei Ziel der POST-Therapie. "Durch autogenes Training, Meditation, Erholung des Verdauungssystems und gelegentliches Fasten bauen wir tatsächlich sowohl das Verdauungssystem als auch das homöostatische System sowie deren Kommunikation um", sagt der Arzt. "Die Leitidee ist, dass so die normale Funktion des in unserem Körper vorhandenen Systems wiederhergestellt wird."

Mythen über Fettleibigkeit abräumen

Mit mehreren Mythen über Fettleibigkeit haben die beiden Ärzte bei der Entwicklung ihrer Therapie gesprochen, zum Beispiel, dass man nur durch Diät in Verbindung mit Bewegungstraining abnehmen könne, nach dem Motto "eat less - move more". Zwar seien Sport und Bewegung natürlich gut und gesund, jedoch müsse keiner der Patienten sich für die Therapie extrem verausgaben. Die Ärzte lassen ihre Patienten auch keine Kalorien zählen oder strenge Diäten halten.

Vielmehr geht es darum, sich das Appetitgefühl mit der Zeit schrittweise abzugewöhnen. Die Therapie setze gewissermaßen diesen Reiz immer weiter zurück, bis das Gehirn ihn nur noch dann auslöst, wenn der Körper wirklich Nachschub braucht, also Hunger hat.

"Ein Mensch kann sich ohne körperliches Training selbst regulieren", sagt Ćurković, "wir sollten die körperliche Heilung als Ziel angehen und nicht das Verlieren von Kilos". Wenn die Regulierung wieder stimme, könne das Abnehmen als Ergebnis darauf folgen: "Wenn die Kalorienzufuhr reduziert wird, können Ergebnisse beim Abnehmen erzielt werden."

Lernen, auf den Körper zu hören

Das Programm besteht aus Kursen, die einmal pro Woche über sechs Monate stattfinden. Die Patienten sollen in dieser Zeit etwa 15 bis 20 Kilogramm abnehmen. Einige sind aber auch auf 40 Kilogramm gekommen.

Dabei ist es den Ärzten wichtig zu betonen, dass die persönlich erzielte Gewichtsabnahme kein Indikator für die Wirksamkeit ihrer Methode sei. Wichtig sei allein, die Ausgeglichenheit in der Kommunikation zwischen Magen und Gehirn.

Eine Teilnehmer der Verhaltenstherapie zeigt ein Diplom mit einem Gewichtsverlauf, auf dem zu erkennen ist, wie stark er abgenommen hat. Rechts daneben, der Arzt Drazen Gorjanski.
Ein gesundes Hungergefühl ist wichtiger als nur die Kilos. Ein Patient zeigt sein Abnehm-Diplom. Bild: Jasmina Gorjanski

Die 130 Patienten, die bisher die POST-Therapie durchlaufen hätten, stimmen die Ärzte zuversichtlich über die wissenschaftliche Gültigkeit ihrer Methode. An einer wissenschaftlichen Studie dazu arbeiten die beiden Mediziner derzeit.

Vergleiche mit anderen Verhaltensprogrammen

In den USA gab es bis zur Corona-Pandemie ein ähnliches Therapie-Programm, das Trevose Behavior Modification Program (TBMP). Dieses erzielte zum Teil sogar noch bessere Ergebnisse als POST, geben die beiden kroatischen Ärzte zu. Allerdings habe dieses Programm Patienten ausgeschlossen, die innerhalb einer sechswöchige Probephase keinen sichtbaren Gewichtsverlust erzielt hatten. "Es ist, als würde ein Chirurg nur die Fälle operieren, von denen er weiß, dass sie erfolgreich sein werden", sagt Ćurković. "Wir 'operieren' ausnahmslos jeden, der Hilfe benötigt".

Gorjanski ergänzt, dass TBMP zwar als erfolgreichstes Abnehmprogramm der Welt gelte, die Teilnehmer aber nicht den realen Durchschnitt der Bevölkerung abbilden. Die POST-Teilnehmer hingegen seien eine "völlig demokratische Gruppe". Wer volljährig sei und abnehmen möchte, sei willkommen, "unabhängig von Alter, Geschlecht oder körperlicher Verfassung".

Nicht nur Adipöse als Zielgruppe

In der Tat sind die Teilnehmer von POST eine heterogene Gruppe. Es gibt Menschen mit extremer Adipositas, solche mit leichtem Übergewicht oder Diabetiker, die auf ihre Ernährung achten wollen. Deshalb haben die beiden Ärzte eine breite Palette von Werkzeugen entwickelt, die die Patienten anwenden können. Die Teilnehmenden nehmen jeweils das, was sie persönlich brauchen.

So schädlich ist Übergewicht

"Manche mögen autogenes Training nicht, manche mögen es. Sie müssen nicht alles nutzen, sondern wählen, was zu ihnen passt", sagt Ćurković. "Es ist auch wichtig, dass wir keine Einschränkungen in Bezug auf das Essen haben." Sie könnten Kulen essen also eine Salami, die eine Spezialität der Region Slawonien ist, oder luftgetrockneten Schinken, so der Arzt. Aber: "Wir können ja den Slawoniern nicht vorschreiben, dass sie keine Kulen essen sollen!", gibt Ćurković zu bedenken.

Essen als Sucht

Übermäßiges Hungergefühl vergleichen die beiden Hausärzte mit einer Abhängigkeit: "Essen kann auch Sucht erzeugen", sagt Gorjanski. "Doch es ist kompliziert: Unsere Teilnehmer lernen, was Sucht ist und wie man sie loswird. Bisher wurden keine Sucht nach Kohl beschrieben, aber die Zuckersucht ist ein ernstes Problem. Eine Person, die völlig gesund ist und anfängt, größere Mengen an Zucker zu konsumieren, kann genauso eine Sucht entwickeln wie eine Person, die anfängt, Alkohol zu konsumieren."

Neben der geplanten wissenschaftlichen Studie arbeiten Ćurković und Gorjanski auch an einem populärwissenschaftlichen Buch. "Wir haben bewiesen, dass es funktioniert. Es wäre schade, dieses Know-how nicht zu teilen und anderen Menschen damit zu helfen", sagt Ćurković.

Aber warum sind Verhaltenstherapien gegen Fettleibigkeit noch immer die Ausnahme? "Niemand verdient Geld mit dieser Art der Gewichtsabnahme. Es gibt keine Medikamente, die ständig eingenommen werden müssen, oder spezielle Präparate. Niemand kann Geld mit Menschen verdienen, die sich von Fettleibigkeit erholt haben", meint der Arzt. 


Dieser Beitrag wurde aus dem Kroatischen übersetzt.