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"Verhandlungen über Lösung des Transnistrien-Konfliktes werden schwieriger"

21. September 2006

Im Gespräch mit DW-RADIO warnt Anneli Ute Gabanyi, Moldova-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, vor der Anwendung doppelter Standards in Transnistrien und im Falle Kosovos.

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Bild: DW

DW-RADIO/Rumänisch: Frau Gabanyi, die Bevölkerung der separatistischen Republik Transnistrien hat sich mit 97,1 Prozent für einen Anschluss an Russland ausgesprochen. Das heißt, für die endgültige Abspaltung von der Republik Moldau. Wie ist dieses Ergebnis einzuschätzen?

Anneli Ute Gabanyi: Es hat mich nicht überrascht. Wenn Sie bedenken, wie die Bevölkerung in der abtrünnigen, selbst ernannten Dnjestr-Republik zusammengesetzt ist, unter welchen Umständen sie lebt, dann kommt ein solches Wunschergebnis im Sinne der Führung von Herrn Smirnov und der Führung wohl auch aus Moskau nicht überraschend. Erstens sind es Menschen, die bislang keine freie und offene Gesellschaft, keine freie Presse erlebt haben - im Unterschied zu denen, die in dem so genannten bessarabischen Teil der Republik Moldau gelebt haben. Diese haben immerhin in der Zwischenkriegszeit noch eine freie Gesellschaft erlebt, wenn auch keine perfekte. Das Zweite ist, es sind sehr viele Menschen in Transnistrien, die nicht aus der Region stammen. Sie wurden seinerzeit dort zum Aufbau des militärisch-wirtschaftlichen Komplexes, dieser großen sowjetischen Rüstungswerke, angesiedelt. Und sie waren und sind, sowohl was ihre materielle Situation als auch ihre politische Sozialisierung betrifft, von der ehemaligen Sowjetunion abhängig.

Könnte Transnistrien den Status einer russischen Enklave nach dem Muster Kaliningrads erhalten?

Ich glaube, die Entwicklung könnte in diese Richtung gehen. Es gibt Beobachter, die fragen, welche Bedeutung kann denn so ein kleiner Landstrich – und damit meine ich nicht nur Transnistrien, sondern auch die Republik Moldau insgesamt – für Russland haben? Ich bin der Meinung, dass die strategische, geopolitische und geostrategische Bedeutung dieser Region genau so groß ist, wie Anfang des 20. Jahrhunderts in den 20-er Jahren. Eine Zeit, in der wir ganz klare Aussagen über die geopolitische Bedeutung sowohl Transnistriens als auch der Republik Moldau hatten. Insoweit könnte eine Zielsetzung Moskaus darin bestehen, dort zu bleiben, um dort militärisch mächtig zu bleiben, also eine Enklave zu haben. Es könnte auch eine Entwicklung Transnistriens in Richtung Belarus gehen, das heißt, eine Vereinigung mit Russland, also eine Entwicklung in Richtung eines Vasallenstaates von Russland. Es könnte aber auch zu einer Abspaltung und damit zu einer Kaliningrad-Lösung kommen, wenn die Republik Moldau und ihre Regierung sagen würde: ‚Okay, wir halten die Option auf eine Wiedervereinigung offen’ – etwa wie die alte Regelung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, wo es ein Wiedervereinigungsgebot im Grundgesetz gab, wo man also die Türen nicht zugeschlagen hat. Aber ganz sicher ist von meiner Warte aus gesehen, dass es hier eine "Politik" Moskaus gibt, die mit dem kleinen Partner Transnistrien betrieben wird und dass die Verhandlungen über eine Lösung von nun an sehr viel schwieriger werden.

Die Separatisten in der selbsternannten Republik Transnistrien nehmen die Politik und die Einstellung Europas gegenüber der Kosovo-Provinz als Argument. Besteht nicht das Risiko, dass Europa so angesehen wird, als ob es doppelte Standards in zwei praktisch identischen Lagen anwendet?

Diese Frage ist natürlich berechtigt. Ich war unter den Ersten, die in der Lösung des Kosovo-Konflikts einen Wendepunkt in der ganzen internationalen Politik festgestellt hat. Europa und die USA sind jetzt schlicht auf dem Weg zur Öffnung der Büchse der Pandora. Es kann sein, dass Europa und der Westen allgemein unangenehme Überraschungen – nicht nur im Kosovo - erleben werden. Meiner Meinung nach haben wir es zum ersten Mal mit einer Abtrennung einer nicht staatlichen Einheit zu tun. Kosovo wäre der erste Fall einer Spaltung eines einheitlichen Staates. Ich sehe hier eine große Gefahr und betone erneut, dass ich davon fest überzeugt bin, dass wir große Probleme haben werden, wenn diese Politik im Kosovo fortgesetzt wird.

Das Interview führte Laurentiu Diaconu
DW-RADIO/Rumänisch, 19.9.2006, Fokus Ost-Südost