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Verkehr der Zukunft: Fahrrad statt Auto

12. Januar 2022

Weg vom Auto! Der Verkehr muss sich wandeln, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Wie aber lassen sich die deutschen Autofans für das Fahrrad begeistern? Neue Professuren für Radverkehr sollen neue Wege finden.

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Bild: VOLKER WARNING/Continental AG

Es wird nicht leicht werden, die Deutschen dazu zu bringen, Abstand von ihrem liebsten Kind, dem Auto, zu nehmen. Aber: "Der motorisierte Individualverkehr, sprich die PKWs, und auch Parkflächen müssen reduziert werden", sagt Martina Lohmeier. Sonst würden wir die Klimaziele, die weltweit vereinbart wurden, nicht erreichen. Die Frage ist nur, wie lassen sich die Deutschen davon überzeugen? 

Das ist eins der Themen, mit denen sich Lohmeier künftig auseinandersetzen möchte. Sie ist seit Frühjahr 2021 Professorin für Mobilitätsmanagement und Radverkehr, eine von sieben Stiftungsprofessuren, die das Bundesministerium für Verkehr ausgelobt hatte. Ziel ist vor allem, den Radverkehr zu stärken. 

DW: Welchen Stellenwert im Verkehr hat das Fahrrad zurzeit in Deutschland?

Martina Lohmeier: Medientechnisch hat es einen sehr hohen Stellenwert. Schon vor der Besetzung der Stiftungsprofessuren für Radverkehr war das Thema sehr präsent. Tatsächlich hat das Rad aber bundesweit noch nicht den Stellenwert, den wir eigentlich gerne sehen würden. In der großen Breite fahren nach wie vor viele Menschen mit dem Auto oder gehen zu Fuß.

Das Verkehrsministerium hat sieben Stiftungsprofessuren für den Radverkehr finanziert. Warum braucht es solche Professuren?

Sie sollen helfen, das Thema Fahrrad mehr in den Fokus zu rücken und das große Ziel der Verkehrswende voranzutreiben. Vor allem werden in diesem Bereich Fachkräfte gebraucht, die momentan noch fehlen. Und deswegen war es extrem wichtig, diese Lehrstühle auszurufen, damit Studenten und Studentinnen im Bereich Mobilitätsmanagement und Radverkehr ausgebildet werden.

Womit werden Sie sich als Professorin für Radverkehr künftig beschäftigen?

Wir wollen uns mit dem Thema der gerechten Flächenverteilung auseinandersetzten. Also schauen, welche Ansätze es gibt und wie die umgesetzt werden können, ob es vielleicht irgendwelche Standard-Lösungen gibt, die gut funktionieren. Außerdem wollen wir uns mit dem Thema Radinfrastruktur beschäftigen. Wie kann der Bestand bewertet werden? Ist er in baulicher und gestalterischer Hinsicht noch geeignet? Warum werden manche Infrastrukturen, die auf den ersten Blick eigentlich super aussehen - glatte Asphalt-Flächen zum Beispiel - nicht so gut angenommen wie andere? Und wir werden uns damit beschäftigen, wie die Bedürfnisse von Radfahrenden und Zufußgehenden koordiniert werden können.

Besteht die eigentliche Konkurrenz denn nicht eher zwischen Radfahrenden und Autofahrenden? Sowohl was die Fläche, als auch was die Infrastruktur angeht?

Ja, das wird so propagiert und die Diskussion leider auch oft darauf reduziert. Es gibt ja auch einige Konzepte, wo dem Kfz-Verkehr Fahrstreifen weggenommen werden und zu Fahrradstreifen umgewandelt werden. Aber oft werden Radfahrende nicht auf die Straße geschickt, sondern in die Nebenanlagen, auf denen die Zufußgehenden unterwegs sind. Und die sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer. Daher plädiere ich dafür, alle Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen immer gemeinsam zu betrachten. In den einzelnen Situationen muss sehr genau abgewogen werden, wo welche Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen miteinander gemischt werden können.

Es gibt Städte, in denen besonders viel Fahrrad gefahren wird, wie zum Beispiel Amsterdam oder Kopenhagen. Warum ist das so?

Es gibt in den Niederlanden sicherlich eine andere Fahrradkultur als bei uns. Aber das ist nicht immer so gewesen. Das Fahrrad ist dort unter anderem so verbreitet, weil sich die Niederlande vor 20, 25 Jahren dazu politisch entschieden haben. Sie wollten das Fahrrad in den Vordergrund rücken und haben alles dafür getan, dass Menschen langfristig aufs Fahrrad umsteigen. Und das ist an sich auch kein Hexenwerk.

Infografik fahrradfreundliche Städte
Die Rangliste ist das Ergebnis einer Prüfung der Fahrradfreundlichkeit nach festen Kriterien und wird seit 2011 jährlich vom Team des "Copenhagenize Index" erstellt

Was müsste denn in deutschen Städten passieren, um den Radverkehr so zu fördern?

Wichtig ist: Wenn wir dieses Ziel in Deutschland ausrufen, müssen wir es auch stringent verfolgen. Dabei wird natürlich nicht alles so bleiben, wie es jetzt ist. Der motorisierte Individualverkehr, sprich die Kfz und demzufolge auch die Parkflächen müssen reduziert werden. Dafür braucht es gute Strategien und Lösungsansätze, damit alle mitgenommen werden. Kritik wird es sicherlich geben, denn wenn die Verkehrswende eingeleitet werden soll, dann wird es immer irgendwem weh tun. Dieser Kritik muss dann entsprechend begegnet und manchmal auch einfach ausgehalten werden. Wichtig ist vor allen Dingen, dass transparent kommuniziert wird. Und es muss klar sein, dass die Veränderungen nicht rückgängig gemacht werden, auch wenn sie nicht allen gefallen. Natürlich können Anpassungen vorgenommen werden, wenn etwas nicht sofort gut funktioniert, aber es darf unter gar keinen Umständen wieder zurückgegangen werden.

Deutschland gilt als klassisches Autoland und die Menschen hängen an ihren Autos. Wie wollen sie denen ihr liebstes Kind wegnehmen?

Das ist der spannende Aspekt. Wir müssen das Mobilitätsverhalten analysieren. Warum nutzt wer in welcher Lebenssituation welches Verkehrsmittel? Welche Alternativen gibt es? Das muss nicht nur das Fahrrad sein, sondern das kann auch der ÖPNV sein. Also Bus und Bahnen oder Sharing-Angebote, gerne auch PKW-Sharing-Angebote mit alternativen Antriebssystemen. Wir müssen dahin kommen, dass nicht mehr jeder / jede Familie das Bedürfnis hat, ein oder gar mehrere Kfz anzuschaffen. Alternative Mobilitätslösungen und die Bereitschaft jedes einzelnen, eine Veränderung beim eigenen Mobilitätsverhalten mitzumachen, hängen natürlich auch immer mit der jeweiligen Lebenssituation der Menschen zusammen. Wie viel Zeit habe ich, was muss ich alltäglich organisieren, wie viele Wege muss ich dafür jeden Tag bewältigen? Und von daher ist das eben auch eine spannende Frage, der wir nachgehen wollen: Wie viel ist eigentlich jeder selbst bereit, dazu beizutragen, dass dieser Wandel funktionieren kann und wo sind die Grenzen?

Infografik Gründe gegen Radfahren

Wie sieht es in anderen Ländern aus? Haben auch andere Länder das Thema Fahrrad mehr in den Blick genommen?

Das Thema ist inzwischen überall in der Welt angekommen. Auch in Gegenden, wo man sich das so gar nicht vorstellt. Zum Beispiel in Spanien, in Barcelona hat man sich auf die Fahne geschrieben: Wir wollen hier nicht mehr so viel Verkehrslärm, nicht mehr so viele Abgase, nicht mehr so viel Stau haben. Und die Maßnahmen werden dort konsequent durchgezogen. Ein anderes Beispiel ist Kolumbien. In der Hauptstadt Bogotá hat es bisher eigentlich keine Fahrradkultur gegeben. Aber auch dort haben die Menschen die Nase voll von verstopften Straßen und den anderen Folgen des motorisierten Verkehrs. Nun wird überlegt, wie ein Mobilitätswandel umgesetzt werden kann. Es wird mehr für das Fahrradfahren geworben und eine geeignete Infrastruktur geschaffen. Ich denke, das wird auch funktionieren, weil ein Gesamtkonzept verfolgt wird. Hier wird also nicht nur einigen Verkehrsteilnehmern etwas weggenommen, um anderen etwas zu geben, sondern es gibt viele Kampagnen, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen, die für den Wandel werben und ihn auch langfristig begleiten. Dadurch werden viel mehr Leute mitgenommen und sensibilisiert für das Thema Verkehr und Klimaschutz.

Welche konkreten Maßnahmen, könnten in Deutschland dem Radverkehr Anschub geben und die Menschen dazu bringen, auch bei nasskaltem Wetter aufs Fahrrad zu steigen?

Zum Beispiel wäre eine konkrete Maßnahme, die Verkehrsmittel des Umweltverbundes, sprich Bus, Bahn, Fahrrad und auch Fußgängerwege sehr viel besser miteinander zu verknüpfen. Dann müssten die Menschen gar nicht mehr so weite Strecken mit dem Fahrrad fahren. Außerdem brauchen wir vernünftige Abstellanlagen, wo Fahrräder verkehrssicher und wettergeschützt abgestellt werden können, um dann auf Bus, Bahn oder Zug umzusteigen. Häufig werden zurzeit auch ganz kleine Strecken mit dem Auto zurückgelegt, weil es z.B. in Kombination mit dem Job-Ticket für ÖPNV Parktickets gibt, wo man das Auto in einem Parkhaus vernünftig abstellen kann. Für Fahrräder gibt es das aber nicht. Wichtig wäre auch öffentlich wirksame Kampagnen zu starten, die Menschen aufzuklären und die Vor- und Nachteile einzelner Verkehrsmittel zu kommunizieren. Es könnten auch noch mehr Sharing-Angebote für Fahrräder, für Pedelecs oder Lastenräder, aber auch für PKWs geschaffen werden. So dass Haushalte nicht mehr auf den eigenen PKW angewiesen sind, auch wenn sie irgendwelche größeren Besorgungen machen müssen, für die das herkömmliche Fahrrad nicht geeignet ist. Wir müssen auf jeden Fall deutlich machen, dass wenn wir weiter so machen wie bisher, werden wir definitiv die Umweltziele nicht erreichen, die wir uns auf weltweiter Ebene gesteckt haben.

Infografik Was Städte für Radverkehr ausgeben

Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung sollen zusätzliche Mittel für den Radverkehr bereitgestellt werden. Damit stehen rund 1,46 Milliarden Euro für die Förderung des Radverkehrs und den Ausbau der Radinfrastruktur bis 2023 bereit. Können wir jetzt auf den neuen Radwege-Boom hoffen?

Das hoffen wir sehr! Im Moment gibt es aber den einen Hemmschuh, dass oft die personellen Ressourcen fehlen, um zu planen, diese Planungen umzusetzen und die Gelder abzurufen. Seitdem wir die Radverkehrslehrstühle haben, kommen immer wieder die Fragen: Wann werden denn die ersten Fachkräfte fertig sein? Ich bekomme regelmäßig Stellenausschreibungen zugesandt mit der Bitte, die unter den Absolventen und Absolventinnen zu verteilen. Der zweite Hemmschuh ist, dass es unterschiedlich gut gelingt, Planungen konstruktiv und schnell voranzubringen. Zum Teil werden die Fördergelder bereits für die Planung und den Bau abgerufen. Aber die Zeitschiene, wann was umgesetzt wird, hängt davon ab, wie gut die einzelnen Beteiligten und Fachabteilungen miteinander zusammenarbeiten oder wie gut sich die Gemeinden abstimmen, wenn es übergreifende Planungen gibt. Das funktioniert an vielen Stellen zwar schon gut, aber manchmal hakt es leider auch und menschelt. Und dann dauern die Planungen und der Ausbau leider länger.

Seit dem 1. April 2021 ist die diplomierte Bauingenieurin Martina Lohmeier Professorin für Mobilitätsmanagement und Radverkehr an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Sie besetzt eine der sieben Stiftungsprofessuren des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, die den Radverkehr stärken sollen.

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion