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Vernunft gegen Emotion

Das Interview führte Elena Ern 28. September 2004

Kerry will der emotionsgeladenen Politik Bushs vor allem eines entgegensetzen: Vernunft. Das sagt der Historiker Norbert Finzsch im DW-WORLD-Interview. Ansonsten sei ihre Politik recht ähnlich.

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DW-WORLD: In den vergangenen Monaten haben viele Amerikaner John Kerry, dem Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, eher nicht zugetraut, das Rennen um das Präsidentenamt für sich zu entscheiden. Dennoch hieß es immer, man müsse den Parteikongress Ende Juli abwarten. Der hat nun stattgefunden. Was hat sich dadurch verändert?

Prof. Norbert Finzsch: Verändert hat sich dadurch, dass Kerry nun stärker konturiert mit einer Mannschaft antritt. Sein Vizepräsidentschaftskandidat John Edwards ist eine medienwirksame Persönlichkeit. Er bringt Kerry genau das, was ihm bisher gefehlt hat: die Fähigkeit, Menschen zu begeistern.

Das größte Manko der Demokraten schien immer ihre innere Zerstrittenheit. Beim Konvent in Boston zeigten sie sich aber erstaunlich vereint. Woran lag das?

Ich glaube den Demokraten ist klar geworden, dass bei dieser Wahl die historische Chance besteht, einen republikanischen Präsidenten abzuwählen. Das wäre ja etwas Neues. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Vereinigten Staaten tatsächlich im Krieg befinden, im Krieg gegen den Terror. Das ist bisher nicht passiert, dass ein Präsident in Zeiten des Krieges abgewählt worden ist. Die gemeinsame Linie der Demokraten hat mit Sicherheit Auswirkungen auf das Wahlergebnis.

Der Bostoner Parteitag hat auch gezeigt, dass sich die Demokraten von dem Image der "unpatriotischen Partei" lösen wollen. Dort war oft von "Patriotismus" und von "christlichen Werten" die Rede - die Demokraten bewegten sich auffällend häufig auf der rhetorischen Ebene von George W. Bush. Was bedeutet dieses neue Auftreten?

Den Ruf unpatriotisch zu sein haben die Demokraten seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Die Demokraten müssen diesen Vorwurf immer wieder neu bekämpfen. Das hat auch etwas mit der Wählerschaft der Demokraten zu tun, die in der Vergangenheit vor allem Einwanderer umfasst hat. Ich glaube, dass die Demokraten verstanden haben, dass es sich bei einer Wählerschaft, die sich zu über 60 Prozent als konservative Protestanten versteht, nicht auszahlt, gegen die christliche Recht zu polemisieren.

Worin unterscheidet sich das politische Programm von John Kerry und George W. Bush?

Ich sehe im politischen Programm keine großen Unterschiede. Es ist ziemlich deutlich, dass Kerry sich außenpolitisch durchaus eine Fortsetzung der Linie von Bush vorstellen kann. Allerdings legt er sehr starken Wert darauf, dass Vernunft eher das Zepter führt als Emotion. Er möchte die Nato beteiligen an der Verwaltung des Irak. Auch in der Innenpolitik ist bei den Demokraten eher ein Diskurs der Vernunft angesagt, weniger eine grundsätzliche Neubesinnung.

Das heißt, es gibt keine wirklichen Alternativen, die der Herausforderer Kerry Bush gegenüberstellen kann?

Kerry hat, was die Umweltpolitik und was die Energiepolitik angeht, einige Versprechen gemacht, die ganz aufsehenerregend zu sein scheinen. Zum Beispiel die Vorstellung alternative Energien stärker zu berücksichtigen und langfristig von fossilen Energien weg zu kommen. Aber ich bewerte das eher als einen Propagandatrick.

... und ob das wirklich die Amerikaner interessiert, ist noch eine andere Frage. Was denken Sie, interessiert das amerikanische Volk wirklich?

Die Frage, inwieweit weiter US-Truppen im Irak eingesetzt werden. Ob weiterhin Zinksärge oder Bodybags eintreffen, mit toten Soldatinnen und Soldaten. Das Zweite ist der Krieg gegen den Terror. Es ist kein Zufall, dass der Parteitag der Republikaner im August in New York stattfindet, also in der Stadt, die am meisten unter den Ereignissen des 11. September gelitten hat. Es ist ganz sicher, dass Bush hier versuchen wird, dieses Thema aufzugreifen.

Sie hatten schon die Einwanderer angesprochen: Bei den letzten Präsidentschaftswahlen konnte Bush die vielen Lateinamerikaner in den USA für sich gewinnen, die sonst traditionell eher demokratisch gewählt haben. Für welche Partei wird sich diese Wählerschicht wohl diesmal entscheiden?

Ich glaube, mehrheitlich werden sie auch wieder für die Bush-Regierung wählen. Der Charakter der Einwanderung hat sich in der letzten Zeit geändert. Zum einen ist es so, dass der Anteil der Exilkubaner etwas angestiegen ist. Die Exilkubaner haben Einfluss speziell auf das Wahlergebnis in Florida. Florida war bei der letzten Wahl auch der entscheidende Start. Hinzu kommt, dass die lateinamerikanischen Einwanderer zunehmend protestantisch sind und nicht mehr katholisch. Auch das hat einen Einfluss auf ihre parteiliche Orientierung. Ich glaube, wenn dieser Trend anhält, wird diese Einwanderergruppe eher das Busch-Lager stärken.

Viele sind aber auch enttäuscht von Bush. Er habe sein Versprechen nicht eingehalten, den Menschen zu helfen, ihnen offizielle Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu beschaffen.

Das ändert nichts daran, dass diejenigen, die die größten ökonomischen Probleme haben, und die von Bushs Sozialpolitik am stärksten betroffen sind, nicht zur Wahl gehen, beziehungsweise von der Wahl ausgeschlossen werden.

"Fahrenheit 9/11" - der Dokumentarfilm von Filmemacher Michael Moore bricht in den USA alle Rekorde. Der Film gilt als Anti-Bush-Kampagne, die den Wahlkampf beeinflussen soll. Inwieweit wird dieser Film möglicherweise Einfluss auf das Wahlergebnis haben?

Ich glaube nicht, dass er großen Einfluss haben wird. Das zeigen auch Untersuchungen, wo vor und nach dem Film Leute gefragt worden sind, inwieweit sie der Film beeinflusst hat. Worum es geht, ist die große Zahl der Unentschiedenen. Und die haben nach dem Ansehen dieses Films gesagt, dass sie immer noch nicht wüssten, ob sie demokratisch oder republikanisch wählen sollen.

Wer wird die Präsidentenwahl am 2. November gewinnen, was denken Sie?

Wir müssen den Parteitag der Republikaner abwarten, wir müssen abwarten, wie sich die Situation im Irak entwickelt und ob es Kerry, der jemand ist, der gegen Ende seines Wahlkampfes besser wird, gelingt, das Image des "Magenbitter" abzuschütteln. Ich bin verhalten optimistisch. Ich denke, dass Kerry noch das Zeug hat, die Wahlen zu gewinnen.

Prof. Norbert Finzsch ist Professor für Angloamerikanische Geschichte an der Universität zu Köln.