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Politik

Belarus muss ESC-Lied austauschen

Roman Goncharenko
12. März 2021

Belarus muss seinen Beitrag für den Eurovision Song Contest anpassen oder austauschen. Die Europäische Rundfunkunion stufte das Stück als politisch ein. Kritiker verstehen den Text als Spott gegen die Opposition.

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"Galasy ZMesta" müssen ihr Lied beim ESC-2021 ändern
"Galasy ZMesta" müssen ihr Lied beim ESC-2021 ändern Bild: BTRC

Es gab immer mehr Kritik, am Donnerstag zog die Europäische Rundfunkunion (EBU) schließlich die Notbremse: Belarus müsse den Text für den Eurovision Song Contest Ende Mai in Rotterdam anpassen oder das Lied ganz austauschen, sonst drohe die Disqualifikation, hieß es in einer Erklärung aus der EBU-Zentrale in Genf. Man habe das Lied in russischer Sprache "Ja nautschu tebja" ("Ich bringe Dir bei") der belarussischen Band "Galasy ZMesta" geprüft und sei zum Schluss gekommen, es "stelle die nicht-politische Natur des Wettbewerbs infrage". Außerdem könne das Image des ESC nach den bisherigen Reaktionen auf das eingereichte Lied leiden. Gemeint sind unter anderem wütende Kommentare und zehntausende Dislike-Buttons auf dem eigenen ESC-Kanal bei YouTube. Die EBU entfernte das Video.

Sticheleien gegen Opposition und den Westen

Auf den ersten Blick wirkt der Text unpolitisch. Manche wollen im Refrain "Ich bringe Dir bei, wie man nach der Pfeife tanzt / Ich bringe Dir bei, wie man den Köder schluckt" eine Anspielung auf eine spielerische BDSM-Beziehung gehört haben. Doch die meisten Kritiker stört etwas anderes: Hier wird im fröhlichen 80er-Gitarrenrock-Stil gegen die oppositionelle Protestbewegung gesungen. Der Spott richtet sich auch allgemein gegen den Westen, den die Regierung in Minsk als Strippenzieher hinter der Protestbewegung sieht, die seit einem Jahr einen Machtwechsel in Minsk fordert.

Proteste gegen Lukaschenko in Minsk im Oktober 2020
Proteste gegen Lukaschenko in Minsk im Oktober 2020Bild: Stringer/Reuters

Die Anspielung auf die oppositionelle Forderung nach einem Rücktritt des autoritären Machthabers Alexander Lukaschenko ist leicht erkennbar. "Die freie Welt ist nicht aufzuhalten, der unmoderne, unwürdige Reaktionär muss weg", singt der Solist Dmitri Butakow.

Wer sich andere Lieder der "Stimmen aus der Stadt", so heißt übersetzt der Bandname "Galasy ZMesta", anhört, hat keinen Zweifel: Es ist politische Satire auf die belarussische Opposition und auf den westlichen Lebensstil insgesamt. Die Gruppe ehemaliger Kabarettisten aus der belarussischen Stadt Baranowitschi existiert unter diesem Namen seit dem Frühling 2020 und widmet einen Großteil ihrer Lieder der Oppositionsbewegung. "Wahlen und der Zirkus danach haben uns angespornt", schreiben die Musiker auf ihrer Webseite. So werden im "Lied der Ehefrau" die oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja und ihr Leben im Exil im Westen parodiert. In "Flötistin" wird gegen die inhaftierte Oppositionsführerin und Musikerin Maria Kolesnikowa gestichelt.

Farbliche Sympathien für Lukaschenko

In anderen Stücken tauchen immer wieder höhnische Zeilen über gleichgeschlechtliche Beziehungen oder vegetarische Ernährung auf. "Ich habe den Eindruck, dass sehr klar die Opposition in Belarus an den Pranger gestellt werden soll", sagte der deutsche ESC-Experte Irving Wolther der DW. "Gerade vor dem Hintergrund, dass sich die Band in der Vergangenheit häufig sehr abfällig und ironisch über die Oppositionsbewegung geäußert hat, sind die Textzeilen sicherlich so zu verstehen". Da das Lied aus musikalischen Gründen in Europa kaum erfolgreich sein dürfte, sei "die Intention des Beitrags ganz klar nach innen gerichtet", so Wolther.

Ihre Sympathie für Lukaschenkos Belarus signalisiert die Band unter anderem mit Farben: Der Bandname wird rotgrün geschrieben, wie die jetzige Staatsflagge der früheren Sowjetrepublik. Kleine Bänder mit dieser Farbkombination sind in Videos der Band auf YouTube zu sehen. Die Oppositionsanhänger dagegen demonstrieren gegen Lukaschenko mit weiß-rot-weißen Flaggen.

Politische Lieder beim ESC umstritten

Dass es Versuche gab, den ESC als Bühne für politische Botschaften zu nutzen, ist nicht neu. In der jüngsten Vergangenheit waren immer wieder frühere Sowjetrepubliken betroffen, allerdings mit unterschiedlichem Ausgang. So hat Georgien 2009 das Lied "We Don‘t Wanna Put In" eingereicht, in dessen Titel man leicht eine kritische Anspielung auf den russischen Präsidenten und den russisch-georgischen Krieg 2008 lesen konnte. Damals wurde Georgien angeboten, den Titel zu ändern oder das Lied zu ersetzten. Tbilisi sagte nein. Die EBU schloss damals Georgien vom Wettbewerb aus.

Die Ukrainerin Jamala nach dem Sieg beim ESC 2016
Die Ukrainerin Jamala nach dem Sieg beim ESC 2016Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

2015 schickte Armenien das Lied "Don‘t Deny" (Bestreite nicht) beim ESC ins Rennen, in dem es subtile Anspielungen auf Vertreibungen im Osmanischen Reich gab. Die Türkei und Aserbaidschan protestierten. Die ESC-Veranstalter stuften das Lied zwar als politisch aufgeladen ein, ließen es jedoch im Programm. Armenien änderte allerdings den Titel, um Kontroverse abzumildern. Das Lied wurde in "Face the Shadow" (Stelle dich dem Schatten) umbenannt.

2016 durfte die Ukrainerin Jamala mit dem Titel "1944" über die Deportation der Krimtataren in der Sowjetunion antreten und gewann. Manche sahen in ihrem Lied politische Parallele zu der russischen Krim-Annexion. Das Lied und der dramatische Auftritt von Jamala traf damals in Europa einen Nerv, was Kritik verstummen ließ.