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Futuristische Gegenwart

Marcus Bösch17. Januar 2013

Da redet man sich den Mund fusselig. Versucht zu argumentieren und zu überzeugen, doch es ist zwecklos. Marcus Bösch greift zu drastischeren Mitteln und zeigt die Zukunft einfach schon mal heute.

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Computerillustration der NASA zeigt eine unbemannte «Dragon»-Kapsel, die vom Roboterarm der ISS gepackt und in die richtige «Parkposition» gebracht wird. Foto: dpa
SpaceX Falcon 9 Rakete mit Dragon RaumkapselBild: picture alliance/dpa

Mein Chef sagt: "Jaja, die Zukunft. Hatten wir schon. Damals. Große Hoffnungen. Alles nix geworden. Wo ist sie denn, die tolle Zukunft? Ist doch noch alles gleich. Hat sich nix geändert. Wir machen weiter wie bisher. Läuft doch." Ich sage nichts dazu, schlage aber ein gemeinsames Schlendern durch die Innenstadt vor.

Papperlapapp

Da stehen wir dann. Mitten in der Fußgängerzone. Schlecken eine tropfende Eiswaffel und schauen uns um.

"Alles genau wie immer", ruft mein Chef, "rechts Geschäfte, links Geschäfte und in der Mitte Menschen. Nix hat sich verändert. Wo sind denn die Rollbänder, auf denen wir gleiten? Wo die Roboter, die die Einkäufe tragen? Und schauen Sie gefälligst mal nach oben! Da fliegt eine verirrte Taube und kein Individualhubschrauber."

"Ja, aber...", sage ich. "Papperlapapp", sagt mein Chef und zieht mich weiter. Wir betreten einen überdimensionierten Elektrofachhandel. Hier muss es klappen.

"Sehen Sie mal bitte hier!" Es ist heiß, mein Kopf ist rot und ich halte meinem Chef die überdimensionierte Verpackung eines Quadrocopters unter die Nase: "Vier Rotorblätter hat der, steuerbar über das Mobiltelefon ist er, mit eingebauter Kamera. Das ist die Zukunft!"

Mein Chef winkt ab. "Ferngesteuerte Helicopter gibt's schon ewig. Mit Dieselmotor samstags auf der Wiese. Alles schon gesehen. Was soll der Quatsch? Braucht kein Mensch!", sagt er, trabt weiter und hört gar nicht mehr zu, als ich beginne, von Überwachung, neuer Kriegsführung und Drohnenjournalismus zu monologisieren.

Hähnchengeruch

Wir sitzen jetzt in einem dieser modernen Kaffehäuser. "So schauen Sie doch mal", beginne ich und stelle den Frappuccino ab. Mit triumphierendem Lächeln weise ich meinen Chef auf das Geschehen hin: "Sehen Sie? Alle Menschen hier starren auf ein elektronisches Device." Er schüttelt den Kopf: "Das soll ihr Ernst sein? Das soll mich vom Hocker reißen? Was soll daran neu und aufregend sein? In Frankfurt in den 1950ern hatten wir ein Geruchskino, das müssen sie sich mal vorstellen. Mit Hähnchengeruch und allem drum und dran, wenn man da..." "Mitkommen!" Meine Stimme klingt fest und ein bisschen zu laut. Ich bin selbst erstaunt, aber offenbar funktioniert es. Er guckt verwundert, sagt aber nichts und folgt mir.

Treppenhaus im Hinterhaus der Kulturfabrik Moabit
Bild: Flickr/Hans Richter

Ich kenne das Ziel. Planquadrat B, schnurgerade bahnen wir uns einen Weg. Das Parkhaus liegt zentral. Vorbei am Uhrenladen und dann rein in den Seiteneingang. Sieben Stockwerke, wir nehmen die Treppe. Er schwitzt. Ich erhöhe das Tempo. Wir sind gleich da.

80 Prozent Adrenalin

Eine Stahltür. Nicht beschriftet. Ohne Klinke und ohne Schlüsselloch. Mein Chef sieht mich fragend an. Ich lächle leise und aktiviere den Iris-Scanner. Die Tür öffnet sich geräuschlos und gibt den Hangar frei. "Was um alles in der Welt ist das?", die Pupillen meines Chefs weiten sich. Sein Nebennierenmark beginnt mit der Ausschüttung von 80 Prozent Adrenalin. Er hat Angst: "Was um alles in der Welt ist das?" Ich sage nichts, dränge ihn wortlos zum Einsteigen.

Der Raumgleiter bootet in Sekunden. Ich aktiviere die manuelle Steuerung, prüfe den Antrieb und manövriere uns hier raus. Der Druck presst uns in die Sitze, ein angenehmes Gefühl im Bauch. Wir schweben 35 Meter über der Stadt und gewinnen an Geschwindigkeit. Mein Chef sagt nichts. Gar nichts. Sein Mund steht offen. Ein Speichelfaden bahnt sich seinen Weg. Und dann - klingelt der Wecker.

***ACHTUNG: NUR im Zusammenhang mit der Netzkolumne "Digitalitäten" benutzen!*** Bild von Marcus Bösch für die DW, September 2012
DW-Netzkolumnist Marcus BöschBild: DW/M.Bösch

Marcus Bösch war irgendwann 1996 zum ersten Mal im Internet. Der Computerraum im Rechenzentrum der Universität zu Köln war stickig und fensterlos. Das Internet dagegen war grenzenlos und angenehm kühl. Das hat ihm gut gefallen.

Und deswegen ist er einfach da geblieben. Erst mit einem rumpelnden PC, dann mit einem zentnerschweren Laptop und schließlich mit geschmeidigen Gerätschaften aus aalglattem Alu. Drei Jahre lang hat er für die Deutsche Welle wöchentlich im Radio die Blogschau moderiert. Seine Netzkolumne gibt es hier jede Woche neu.