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Politik

Gericht bestätigt Verurteilung von Ärztin

12. Oktober 2018

Darf eine Ärztin auf ihrer Internetseite Information über Schwangerschaftsabbrüche veröffentlichen? Das Landgericht sagt trotz Zweifel: Nein. Politiker fordern schon lange ein Ende der Kriminalisierung.

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Beginn Berufungsprozess gegen Gießener Ärztin
Bild: picture alliance/dpa

Das Landgericht Gießen hat die Verurteilung der Medizinerin Kristina Hänel wegen illegaler Werbung für Abtreibungen bestätigt und ihre Berufung verworfen. Die Allgemeinmedizinerin Hänel war im November zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie auf der Homepage ihrer Praxis über Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs informierte. Werbung für Abtreibungen ist laut Paragraf 219a Strafgesetzbuch weitgehend in Deutschland verboten. Die Verurteilung Hänels war also rechtens, entschied das Gericht. Die Ärztin hatte das Urteil des Amtsgerichts Gießen angefochten und der Fall ging für eine Überprüfung an das Landgericht.

Hänel sagte in ihrem Schlusswort, dass Frauen inzwischen in vielen Landesteilen im Deutschland keinen Arzt mehr fänden, der Schwangerschaftsabbrüche macht. Daran sei auch der Paragraf 219a schuld. Für sie sei es eine Gewissensfrage, dass Frauen, die in Not geraten sind, eine medizinisch korrekte Behandlung bekommen.

Weitergabe ans Bundesverfassungsgericht

Hänels Verteidigung forderte in ihrem Plädoyer, den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Der Paragraf sei "nicht vereinbar mit dem Grundgesetz". Die Frage sei, ob der Paragraf die Grundrechte nicht in einem Maße einschränke, dass man das von der Verfassung her nicht mehr hinnehme könne, sagte ihr Verteidiger. Die Staatsanwaltschaft forderte, das Urteil aufrecht zu erhalten. 

Dringend gesucht: Abtreibungsärzte

Das Gericht äußerte zwar Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Werbeverbots, lehnte eine Vorlage des Falls in Karlsruhe aber trotzdem ab. In der Urteilsverkündung forderten die Richter indirekt eine politische Entscheidung in der Sache. Die Gerichte seien "in solchen Dingen überfordert". Der Gesetzgeber habe sich mit der Beratungsregelung zum Schwangerschaftsabbruch einen "fürchterlichen Kompromiss" erkämpft. Es gebe dabei zwei "Feigenblätter": die Beratungsstellen und den Paragrafen 219a. 

"Ehrentitel" für Hänel

Zu Hänel sagten sie: "Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz." Bereits vor dem Verfahren hatte Hänel angekündigt, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen. 

Beginn Berufungsprozess gegen Gießener Ärztin (Foto: picture-alliance/dpa/S. Stein)
Über hundert Demonstranten versammelten sich vor dem GerichtsgebäudeBild: picture-alliance/dpa/S. Stein

Der Fall löste eine Debatte über eine mögliche Abschaffung aus. Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) forderte eine Reform des entsprechenden Strafrechtsparagrafen 219a. "Wenn Frauen in so einer schwierigen Situation sind - und das ist eine extreme Ausnahmesituation -, dann brauchen sie Beratung, Information und Unterstützung", erklärte sie in Berlin. "Das darf man ihnen nicht verwehren. Wir müssen die gute Arbeit von Ärztinnen und Ärzten entkriminalisieren und ihnen Rechtssicherheit geben." Und weiter sagte sie: "Das Recht auf Information, nicht auf Werbung, ist elementar."

Desinformation durch Abtreibungsgegner

Nach Angaben von Medizinern nutzen militante Abtreibungsgegner den Paragrafen immer wieder zur Einschüchterung von Frauenärzten. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten rund 150 Menschen für einen freien Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche. Es könne nicht sein, dass es in Deutschland mit dem Paragrafen 219a immer noch ein Gesetz gebe, das die Aufklärungsarbeit von Ärzten einschränke, sagte der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel in Gießen. Die aktuelle Regelung kriminalisiere "Ärztinnen und Ärzte dafür, dass sie ihre Arbeit tun".

Beginn Berufungsprozess gegen Gießener Ärztin (Foto: picture-alliance/dpa/S. Stein)
Femen-Aktivistinnen protestierten im Gerichtsgebäude. Auf ihrem Körper steht: Mein Bauch gehört mir.Bild: picture-alliance/dpa/S. Stein

Abtreibungen sind in Deutschland illegal, aber straffrei. Als rechtlich zulässig gelten sie nur, wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist sowie nach einer Vergewaltigung. Paragraf 219a verbietet Werbung für Abtreibungen aus finanziellem Eigeninteresse oder "in grob anstößiger Weise". In Hessen stehen derzeit auch die beiden Frauenärztinnen Nora Szasz und Natascha Nicklaus vor Gericht, denen die Staatsanwalt Kassel ebenfalls Werbung für Schwangerschaftsabbrüche vorwirft.

sam/pa (afp, dpa, kna)