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Familienpolitik in Deutschland

Rayna Breuer20. Juni 2013

Kita oder Betreuung zu Hause? Sollen Mütter arbeiten? Und wenn ja, wieviel? In der Familienpolitik verfolgen die Parteien sehr unterschiedliche Ansätze - zum Leidwesen von Eltern und Kindern.

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Familie Walz im Urlaub. Foto: privat
Bild: Isabel Gronack-Walz

"Heute gibt es die schnelle Variante". Um 13 Uhr steht Isabel Gronack-Walz am Herd und macht Spiegeleier, der Spinat ist fertig, die gekochten Kartoffeln sind schon geschält. Sie trägt die rot-weiße Schürze über dem Kostüm. Zeit zum Umziehen gibt es im eng getaktetem Tagesablauf der dreifachen Mutter nicht. "Wir versuchen, mittags immer gemeinsam zu essen, dann kommen nämlich mein Mann von der Arbeit und meine zwei Töchter aus der Schule", sagt Gronack-Walz.

Foto: DW/Rayna Breuer
Alltag einer berufstätigen Mutter: Mittagessen für drei Kinder kochen...Bild: DW/R. Breuer

Es hat sich viel getan in den vergangenen Jahren in Deutschland - die traditionellen Rollenbilder verblassen. Mütter und Väter suchen nach alternativen Wegen, um Beruf und Familie irgendwie unter einen Hut zu bringen. Die Politik hilft ihnen dabei jedoch kaum, im Gegenteil: Mit zahlreichen und widersprüchlichen familienpolitischen Maßnahmen stiftet sie mehr Verunsicherung als Erleichterung, sagen Kritiker. Staatliche Mittel in Höhe von insgesamt 200 Milliarden Euro stehen Familien pro Jahr zur Verfügung. Kein anderes Land in der EU gibt auf diesem Gebiet so viel Geld aus. Und dennoch hinkt Deutschland im internationalen Vergleich oft hinterher: Die Geburtenrate ist niedrig, Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, Arbeitszeitmodelle sind verglichen mit anderen Ländern unflexibel. Viel Geld macht eben keine Babys - und Familien auch nicht glücklich.

Isabel Gronack-Walz gründete wenige Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes zusammen mit ihrem Mann eine eigene Firma. Die Selbstständigkeit erlaube ihr mehr Flexibilität im Alltag und eine bessere Zeiteinteilung, sagt sie. Während die beiden Töchter im Teenie-Alter beispielsweise nachmittags Judo trainieren oder Geige lernen, arbeiten die Eltern. Um 17 Uhr muss der Kleinste der Familie, der 7-jährige Julius, aus der Ganztagsschule abgeholt werden. "Später wird gekocht, zu Abend gegessen, Julius bekommt vorgelesen, und dann neigt sich der Tag schon dem Ende, der ja für alle früh angefangen hat."

Mutter Isabel holt ihren Sohn von der Schule ab. Foto: DW/Rayna Breuer
... und den Sohn von der Schule abholenBild: DW/R. Breuer

Eine Familie mit drei Kindern ist eine Rarität in Deutschland. In nur 4,3 Prozent der Familienhaushalte lebten 2011 drei und mehr Kinder. Frauen und Männer überlegen sich heutzutage zwei Mal, ob und wieviele Kinder sie haben wollen. In Deutschland werden derzeit 1,36 Kinder pro Frau geboren, in keinem anderen europäischen Land bringen Frauen so wenige Kinder auf die Welt. Politiker schlagen Alarm und wollen etwas an der Situation ändern. Doch die Meinungen über die richtige Betreuung der Kinder und die Beteiligung der Frauen am Berufsleben klaffen weit auseinander - selbst innerhalb der jeweiligen Parteien.

Isabel mit Sohn Julius. Foto: DW/Rayna Breuer
Mama Isabel und Sohn JuliusBild: DW/R. Breuer

Entsprechend macht der Staat Familien sehr unterschiedliche Angebote, deren Ziele sich widersprechen. Einerseits gibt es ab August das sogenannte Betreuungsgeld, das möglicherweise Frauen dazu verleitet, ihren Beruf aufzugeben, um sich ganz der Familie zu widmen. Auf der anderen Seite wurde die Elternzeit eingeführt, die es voll berufstätigen Frauen erleichtern soll, trotz Karriere ein Kind auf die Welt zu bringen. Wahlfreiheit nennen das manche Politiker, Unsinn die Kritiker.

Kinder willkommen heißen

"Ich kann verstehen, dass sich Frauen gegen das Kinderkriegen und für die Karriere entscheiden. Denn nicht immer ist beides vereinbar. Ich habe Medienwissenschaften studiert. Ich wusste, dass ich keine Kinder kriegen kann, wenn ich eine bestimmte Karriere machen will. Ich konnte das Berufliche und Private nicht so ausleben, wie ich das gerne möchte", sagt Isabel Gronack-Walz.

Cornelia Spachtholz, Vorstandsvorsitzende des Verbands berufstätiger Mütter. Foto: privat/ Cornelia Spachtholz
Cornelia Spachtholz, Vorstandsvorsitzende des Verbands berufstätiger MütterBild: Cornelia Spachtholz

Eigener Nachwuchs gilt also weiter als Hindernis für die eigene Karriere. "Uns fehlt eine Willkommenskultur für Kinder", das ist das Fazit von Cornelia Spachtholz, Vorstandsvorsitzende des Verbands berufstätiger Mütter. Kinder erziehen - also bilden und betreuen - sei über die elterliche Verantwortung hinaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. "Stellen Sie sich vor, wie schön es wäre, wenn der Arbeitnehmer zum Arbeitgeber sagen kann, ich plane in ein paar Jahren, eine Familie zu gründen. Dann können sich beide gemeinsam überlegen, wie sie die nach der Geburt anstehende Zeit am besten gestalten können, sei es, dass die Mutter oder der Vater zum Beispiel eine Weiterbildung in der Elternzeit macht oder Teilzeit in Elternzeit tätig ist. Das wäre eine Win-win-Situation für alle", sagt Spachtholz.

Doch die Realität sieht in der Regel ganz anders aus: "Selbst wenn eine Frau besser qualifiziert ist als ein Mann und sich im Vorstellungsgespräch optimal aufstellt, entscheidet sich die Leitung oft für den Mann“, sagt Spachtholz. Wie eine Willkommenskultur für Kinder aussehen könnte, dafür brauche man nur einmal über die Grenzen zu schauen, nach Frankreich. Oder nach Skandinavien, wo es viele erprobte Arbeitszeit-, Betreuungs- und Bildungsmodelle gebe, die den Familien entgegen kämen. "Die Erkenntnisse und Erfahrungen sind da, die Konzepte liegen auf dem Tisch und verstauben, denn leider werden diese hier noch immer nicht ausreichend umgesetzt", kritisiert Spachtholz.

Ehepaar Walz. Foto: DW/Rayna Breuer
Rare Zweisamkeit: Ehepaar WalzBild: DW/R. Breuer

Von Rabenmüttern und Hausfrauen

Nach der Geburt jedes ihrer Kinder ist Isabel Gronack-Walz schnell wieder arbeiten gegangen. Als ihre erste Tochter vor 16 Jahren auf die Welt kam, fiel ihr diese Entscheidung nicht leicht, erinnert sich Gronack-Walz. Aber dem gesellschaftlichen Druck hielt sie stand. "Als ich dann das erste Mal meinen Anzug angezogen, meine Tasche geschnappt habe und dann zum Termin gelaufen bin, war ich sehr glücklich. Ich brauche diesen Ausgleich, ich brauche den intellektuellen Austausch ebenso wie die mütterlichen, gefühlsvollen Momente", sagt Gronack-Walz. Zwar ist es normaler geworden, dass Mütter oft schnell in den Beruf zurückkehren, aber dennoch können sie nicht mit vollständiger Akzeptanz rechnen. Gronack-Walz wünscht sich mehr Verständnis.

"In Frankreich ist es normal, dass die Mutter arbeiten geht, das ist gesellschaftlich akzeptiert, sie müssen sich im Gegensatz zu uns hier dafür nicht rechtfertigen und werden nicht als Rabenmütter bezeichnet. Die Franzosen lachen über uns Deutsche, die immer noch glauben, es gäbe nichts Besseres für die Betreuung eines Kindes als nur die Mutter." Der Perfektionismus stehe den deutschen Frauen im Weg, sagt sie: "Wir setzen uns selber unter Druck, wenn wir nicht in allem gut sind, dann werden wir nervös. Natürlich mache ich mir auch Sorgen, ob das mit den Kindern und dem Beruf alles gut funktioniert, aber da ist mehr Gelassenheit gefragt", sagt Gronack-Walz.

Kostenfaktor Kind

Neben dem gesellschaftlichen Druck und den fehlenden politischen Rahmenbedingungen kommt noch eine weitere Sache hinzu. So liebenswert Kinder sind, so teuer ist es, Nachwuchs zu haben. "Wir merken, dass unsere finanzielle Situation angespannt ist", sagt Ehemann Andreas Walz. "Das wäre nicht so, hätten wir die Kinder nicht gehabt." Man sollte zwar nicht Kinder eins zu eins aufrechnen, aber der Gegensatz zu anderen Paaren, die weniger oder gar keine Kinder haben, sei groß.

Julius" - Sohn Julius auf dem Weg zur Ergotherapie. Foto: DW/Rayna Breuer
Sohn Julius auf dem Weg zur ErgotherapieBild: DW/R. Breuer

"Wir brauchen Hilfe", sagt Isabel Gronack-Walz. "Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, dann können Frauen in Deutschland in Ruhe Kinder bekommen. Wir können das und wir wollen das, es macht Spaß", so die dreifache Mutter.