Viele Tote bei Doppel-Anschlag auf Istanbuler Synagogen
15. November 2003Die Anschläge seien ein Angriff gegen die Menschlichkeit, erklärte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Oberrabbiner Isak Haleva sagte im israelischen Radio, ein solcher Anschlag, während Menschen beteten, sei jenseits jeglichen menschlichen Verhaltens. Bei den Detonationen wurden die größte Istanbuler Synagoge Neve Shalom und die fünf Kilometer entfernte Beth-Israel-Synagoge schwer
beschädigt.
Die Bomben explodierten gegen 10.00 Uhr (Ortszeit) während der morgendlichen Sabbat-Gebete. Allein in der Neve-Shalom-Synagoge hatten sich hunderte Gläubige versammelt. Die meisten Opfer waren offenbar Anwohner der Synagogen. Während Oberrabbiner Haleva nur leicht verwundet worden sei, habe einer seiner Söhne schwere Verletzungen erlitten, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu.
Laufende Ermittlungen
Vor beiden Gotteshäusern klafften große Krater, die Straßen waren mit Glassplittern und Trümmern übersät. Rund um die Neve-Shalom-Synagoge wurden zahlreiche Häuser zerstört, wie Feuerwehrchef Sabri Yalim dem Fernsehsender NTV berichtete. Es sehe wie nach einem Erdbeben aus, sagte er. Innenminister Abdulkadir Aksu sagte, die Polizei prüfe noch, ob es es sich um Selbstmordanschläge gehandelt habe oder ob die Bomben mit einer Fernsteuerung oder einem Zeitzünder zur Explosion gebracht worden seien.
Über die Drahtzieher der Anschläge gibt es unterschiedliche Vermutungen. Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Anadolu bekannte sich die militante Gruppe Kampffront des Großen Islamischen Ostens (IBDA-C) zu den Taten. Dagegen berichtet der Fernsehsenders CNN-Turk, die Behörden vermuteten die Terrororganisation El Kaida hinter den Anschlägen.
Drahtzieher El Kaida?
Nach einem Bericht des privaten Fernsehsenders NTV bezweifeln Polizisten, dass die IBDA-C als lokale und relativ kleine Organisation alleine zu einem solchen Doppelanschlag fähig wäre. Sie verwiesen auf Geheimdienstberichte, die vor möglichen Anschlägen des Terrornetzes El Kaida in der Türkei gewarnt hatten. Außenminister Abdullah Gül erklärte: "Es ist offensichtlich, dass dieser terroristische Anschlag einen internationalen Zusammenhang hat."
Unterdessen gab die israelische Regierung einem wachsendem "Anti-Israelismus" in Europa eine Mitschuld an den Terroranschlägen. Außenminister Silwan Schalom sagte, die Kritik in Europa "ermutige verbalen Terror, der zu physischem Terror führt, wie wir ihn heute in Istanbul erlebt haben".
Krimineller Terror gegen Weltgemeinschaft
Außenministeriumssprecher Joni Peled verurteilte die Anschläge als "kriminellen Terror", der sich nicht nur gegen Israel oder die Juden richte. Er sei vielmehr "eine globale Bedrohung, der sich die Weltgemeinschaft gemeinsam stellen" müsse.
Mit Trauer und Entsetzen hat die internationale Gemeinschaft auf die Terroranschläge in Istanbul reagiert. Bundesaußenminister Joschka Fischer verurteilte die Angriffe auf zwei Synagogen auf das Schärfste. Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan seine Anteilnahme aus.
Kampf gegen Terrorismus und Antisemitismus
Fischer wertete die Attentate als neuerlichen Beweis dafür, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, aber auch den Antisemitismus eine gemeinsame Anstrengung der Staatengemeinschaft bleiben müsse. "Dass das Ziel der barbarischen Terroranschläge Synagogen waren, in denen sich Betende zum heutigen Sabbat versammelt hatten, erfüllt uns mit besonderem Entsetzen und Empörung", erklärte er. "Die Urheber dieses menschenverachtenden und antisemitischen Verbrechens, ihre Hintermänner und Auftraggeber müssen unverzüglich ermittelt und ihrer gerechten Strafe zugeführt werden."
Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac schrieb in einem Brief an seinen türkischen Kollegen Ahmet Necdet Sezer, Terroranschläge "von solcher Grausamkeit können nur Zorn und Empörung heraufbeschwören und die Entschlossenheit demokratischer Staaten stärken, gemeinsam den Antisemitismus und alle Formen von Intoleranz sowie den Terrorismus zu bekämpfen".(mik)