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Vier Freunde für die USA?

Christina Bergmann, Washington11. Dezember 2012

Um die bisherige Weltordnung aufrecht zu erhalten, sollen sich die USA auf vier Staaten konzentrieren, fordern zwei US-Think Tanks. Brasilien, Indien, Indonesien und die Türkei sind die "Global Swing States".

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Symbolbild zur Aussenpolitik der USA Fotolia/mucft
Bild: Fotolia/mucft

Den Begriff "Swing States" kennt man in den USA aus der Innenpolitik: Er bezeichnet jene Bundesstaaten, in denen sowohl Demokraten als auch Republikaner eine Chance auf einen Wahlsieg haben, und wo sich ein intensiver Wahlkampf also lohnt. Experten von zwei Washingtoner Think Tanks haben dieses Prinzip nun auf die internationale Bühne gehoben. Die USA sollen sich intensiv um Brasilien, Indien, Indonesien und die Türkei bemühen, so schreiben Daniel M. Kliman vom German Marshall Fund und Richard Fontaine vom Center for a New American Security, um gemeinsam mit ihnen die internationale Weltordnung mit ihren Institutionen wie den Vereinten Nationen und dem Weltwährungsfond aufrecht zu erhalten.

Warum diese vier Länder? Sie erfüllen die von den Experten aufgestellten Kriterien: Sie sind demokratisch, haben eine große und wachsende Wirtschaftskraft, die es ihnen ermöglicht, die notwendigen finanziellen Beiträge zu leisten, und ihre geographische Lage macht sie zu zentralen Figuren in ihrer Region oder sie dienen sogar als Brücke von mehreren Regionen. Und es ist möglich, so die These des Berichts, sie für die Unterstützung der demokratischen Weltordnung, mit Institutionen wie der UN, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond zu gewinnen.

Nicht alle über einen Kamm scheren

Die Kooperation, so die Autoren, könne in fünf Bereichen stattfinden: Handel, Finanzwesen, Seerecht, Nukleare Abrüstung und Menschenrechte. Dieses seien die Säulen, die in der internationalen Weltordnung "Frieden, Wohlstand und Freiheit" voranbringen, heißt es. "Diese Säulen sind alle gleich wichtig", sagt Daniel M. Kliman vom German Marshall Fund, einer der Autoren, aber die vier Länder könnten jeweils unterschiedliche Beiträge zu den einzelnen Bereichen leisten, da sie unterschiedliche Stärken und Schwächen haben. "Um Menschrechte und Demokratie voranzubringen, gibt es mehr Gelegenheiten mit Indonesien, als mit den anderen, während Indien beispielsweise ein vielversprechender Partner im Bereich des Seerecht ist", erklärt er der DW.

Brasilien ist eher ein Bremser in den internationalen Freihandelsverhandlungen, und hat auch in den anderen Bereichen eher widerwillig die internationalen Normen akzeptiert - und sich beispielsweise gegen militärische Interventionen bei Krisen wie derzeit in Syrien ausgesprochen - trägt aber zunehmend zur Finanzierung von Weltbank und IWF und der Sicherheit der Meere bei.

Vor allem dass die Türkei in den Viererverbund aufgenommen werden, erstaunt Michael Rubin vom konservativen American Enterprise Institut. Rubin weist darauf hin, dass die Türkei beispielsweise die Sanktionen gegen den Iran umgeht, nach denen der Kauf iranischen Öls und Gases gegen Euro oder Dollar verboten ist. Die Türken zahlen stattdessen mit Gold.

Türkei die richtige Wahl?

Die Studie empfiehlt sogar die Aufnahme der Türkei in die EU. "Das wäre ein wichtiger Beitrag Europas zur internationalen Weltordnung", so Autor Daniel Kliman. Michael Rubin widerspricht: "Die Empfehlung, die Türkei in die EU aufzunehmen, sollte Bedenken hervorrufen, angesichts des jüngsten Berichts von Reporter ohne Grenzen, nach dem in der Türkei weniger Pressefreiheit herrscht als in Russland." Der Historiker erzählt von einer Gerichtsvorladung, die er nach einer Kritik an dem türkischen Minister für Europäische Angelegenheiten erhalten habe: "Wer die Türkei demokratisch nennt, muss auch Russland demokratisch nennen", so Rubin. Russland kommt aber unter anderem aus diesem Grund nicht als "Swing State" in Frage.

US Secretary of State Hillary Rodham Clinton bei einer pressekonferenz in Istanbul (Foto:AP/dapd)
Kritiker der Studie wundern sich, dass die Türkei in den Viererverbund aufgenommen werden sollBild: AP

Auch könne sich, so Rubin im Gespräch mit DW, die internationale Bedeutung von Ländern schnell ändern. Die Bedeutung der vier Länder sei ein "Schnappschuss" der derzeitigen Lage, man könnte aber beispielsweise auch Südkorea oder Malaysia oder Kenia aufnehmen. "Kenia hat eine Schlüsselrolle für die Stabilität in Somalia gespielt, zusammen mit Uganda und anderen afrikanischen Staaten", sagt Rubin. Das bedeute aber nicht, dass die USA nun ständig mit Kenia zusammen arbeiten müssten.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Michael Rubin findet den "Global Swing States"-Ansatz "wenig originell" und weist auf ein Papier von 1996 von Robert Chase, Emily Hill und Paul Kennedy hin, das in der Zeitschrift "Foreign Affairs" erschienen ist. Titel: "Schlüsselstaaten und die US-Strategie". ("Pivotal States and U.S. Strategy"). Das Papier ist weniger detailliert als das aktuelle, aber es geht von derselben Annahme aus: Amerika müsse sich auf eine kleine Anzahl von Ländern konzentrieren, mit deren Hilfe regionale und internationale Stabilität erreicht werden könne. Unter den neun Ländern der Studie von 1996: Brasilien, die Türkei, Indien und Indonesien.

WASHINGTON - JULY 24: American Enterprise Institute Resident Scholar Michael Rubin speaks at the institute July 24, 2006 in Washington, DC. Rubin joined a panel titled 'The Future of the Iraqi Armed Forces' and delivered a short evaluation of the current state of affairs in the Iraqi government's fight against militias and the insurgency. (Photo by Chip Somodevilla/Getty Images)
Michael Rubin vom American Enterprise Institute findet wenig Neues in der Studie.Bild: Getty Images

Auch einzelne Ratschläge der jüngeren Studie sind nicht neu und werden bereits umgesetzt, wie die Unterstützung demokratischer Institutionen in den einzelnen Ländern: "Hier können die USA helfen, indem man Stipendien für Experten dieser Länder vergibt, die Arbeit [in den Parlamenten] in den USA lernen und in ihren Parlamenten umsetzen können", erläutert Kliman. Die USA als Vorbild hinzustellen, könne aber auch nach hinten losgehen, warnt der Konservative Michael Rubin, und Anti-Amerikanische Gefühle schüren. "Best practice heißt nicht immer American practice!"

Alternative zu China

Daniel Kliman will den Bericht nicht als "verkappte Zurückdrängung Chinas" verstanden wissen, sondern als Plädoyer für eine Stärkung der internationalen Ordnung, an der sich idealerweise auch die Chinesen orientieren, die aber im schlimmsten Fall dem Druck Chinas widerstehen könne.

Das alles höre sich gut an, meint Michael Rubin, aber er bezweifelt vor allem, ob die genannten Länder an einer Zusammenarbeit mit den USA und der Stärkung der internationalen Institutionen überhaupt interessiert sind. Sein Fazit: "Der Bericht ist eine interessante intellektuelle Fingerübung, aber ich bin nicht sicher, ob es funktioniert und ob die gewünschten Resultate bringt, wenn es tatsächlich umgesetzt wird."

Ausschließlich auf Brasilien, Indien, Indonesien und die Türkei will sich Kliman auch nicht verlassen. Eine Kooperation mit Europa sei für das Gelingen dieser Außenpolitik unerlässlich: "Europa bleibt zu allererst ein zentrales Bollwerk für die internationale Ordnung, denn Europa spielt in allen fünf Bereichen eine wichtige Rolle."