Vietnamesischer Dissident in Thailand mutmaßlich entführt
10. Mai 2023Es war Donnerstag, der 13. April, im thailändischen Thanyaburi. In der Lamphu-Straße war während des Wasserfests kaum einer zuhause geblieben. Einer der wenigen, die noch da waren, ist Lom Panphim, der vor seinem Haus gerade Fleisch röstete, als ihn lautes Geschrei vom Grill weglockte. "Sehr laute Schreie, als ob jemand attackiert wird", erinnert sich Lom im DW-Interview. Er blickte die Straße hinauf und sah "wie drei weiße Fahrzeuge die Fahrbahn blockieren". Die lauten Schreie hinter der Straßenblockade verstummten allmählich. "‘Jemand soll die Polizei rufen!‘ schreit ein Passant", so berichtet eine weitere Nachbarin. Dann brausten die weißen Fahrzeuge davon, ohne jegliche Spuren zu hinterlassen, sagt Lom.
Es sei Thai Van Duong gewesen, der auf offener Straße vom vietnamesischen Geheimdienst überwältigt und nach Vietnam verschleppt wurde, sind Menschenrechtler und Freunde des Dissidenten überzeugt. Seit 2019 lebte der 41-jährige Blogger in Thailand. Mit seinen hanoi-kritischen Beiträgen erreichte er auf Youtube zuletzt rund 120.000 Menschen. Regelmäßig streamte er aus dem thailändischen Thanyaburi und bezog Stellung gegen die kommunistische Führung Vietnams, die alle offiziellen Medien im Land kontrolliert.
Kritik an der Partei wird hart bestraft. Zahlreiche Blogger und Journalisten wurden in Vietnam bereits zu langen Haftstrafen verurteilt. Hinter Gittern würden die Medienschaffenden teils "misshandelt, isoliert und bekommen keine ärztliche Versorgung", berichtet Reporter ohne Grenzen (RSF). Im kürzlich veröffentlichten RSF-Index zur globalen Pressefreiheit belegt das südostasiatische Land den drittletzten Platz. Nur Nordkorea und China schneiden noch schlechter ab.
Straßenkamera zeichnet bislang letztes Bild des Bloggers auf
Der regimekritische Blogger Thai Van Duong streamte zuletzt am Tag seines Verschwindens aus einem Universitätspark nahe seinem Wohnort. Kurz vor 18 Uhr machte er sich auf seinem Roller auf den Heimweg, zeigen Videoaufnahmen, die von seinen Freunden gesammelt wurden. Eine Überwachungskamera an der Lamphu-Straße fing um 18:03 Uhr das letzte Bild von ihm ein. Auf der nächsten funktionierenden Kamera, rund 200 Meter die Straße hinab, ist er nicht mehr zu sehen. Stattdessen zeichnet das Mikrofon der Sicherheitskamera um 18:07 Uhr anhaltende Schreie auf. Dann verliert sich vorerst seine Spur.
Einen Tag später taucht er angeblich wieder auf - rund 900 Kilometer entfernt im ländlichen Grenzgebiet zwischen Vietnam und Laos. Auf einem Wanderweg im vietnamesischen Grenzbezirk Huong Son sei ein 41-jähriger Mann namens Thai Van Duong verhaftet worden, meldet die Ortspolizei. Die Person wollte "illegal nach Vietnam einreisen" und sei deshalb festgenommen worden, vermelden die vietnamesischen Staatsmedien. Weitere Informationen zum Fall bleibt Hanoi bis heute schuldig.
Dass Thai Van Duong freiwillig nach Vietnam zurückkehrte, halten seine Freunde für ausgeschlossen. "Unmöglich", sagt die Nachbarin des Bloggers, Pi Noi. Seine Habseligkeiten, inklusive Reisepass und UNHCR-Karte seien "alle noch hier". Stattdessen habe "er immer wieder davon gesprochen, bald in ein westliches Land auszuwandern". Im Rahmen des Resettlement-Programms des UNHCR sollte der anerkannte politische Flüchtling in ein sicheres Drittland gebracht werden. "Er hatte bereits ein Interview mit dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen für eine geplante Umsiedlung nach Australien", bestätigt Grace Bui, eine Menschenrechtsaktivistin und Freundin von Thai gegenüber der DW.
Die thailändischen Behörden reagieren verhalten. Die zuständige Polizeibehörde in Thanyaburi will einen möglichen Entführungsfall weder bestätigen noch dementieren. Das Verschwinden des Vietnamesen werde als regulärer "Vermisstenfall" behandelt, heißt es auf Anfrage. "Das ist beschämend", sagt Phil Robertson von Human Rights Watch (HRW). "Man könnte meinen, dass sie eine solche Entführung in Thailand als Beleidigung der thailändischen Autorität und Souveränität ansehen würden, aber bisher scheint es, dass sich die örtliche Polizei einfach nicht darum kümmert," sagt der Vizedirektor der Asienabteilung von HRW der DW. Was am 13. April auf der Lamphu-Straße genau passierte, bleibt bislang ungeklärt.
Mutmaßlich auch andere vietnamesische Staatsangehörige im Ausland entführt
Klar ist, dass die vietnamesische Regierung mit der Inhaftierung des Bloggers eine weitere ihr politisch unbequeme Person mundtot gemacht hat.
Im Januar 2019 verschwand der vietnamesische Blogger Truong Duy Nhat im Norden Bangkoks. Auch er wurde mutmaßlich auf Anordnung Hanois zurück nach Vietnam verschleppt und später wegen "Missbrauchs seiner Position und Macht im Dienst" als Reporter zu zehn Jahren Haft verurteilt. Gleich wie Thai Van Duong war er nach Thailand geflohen, um politisches Asyl zu beantragen.
Und bereits im Jahr 2017 entführte ein Kommando vietnamesischer Agenten Trinh Xuan Thanh im Berliner Tiergarten auf offener Straße. Sie transportierten den ehemaligen Direktor des staatlichen Öl- und Gasunternehmens Petro Vietnam über die Slowakei zurück nach Vietnam. Hanoi behauptet später, er sei freiwillig in die Heimat zurückgekehrt.