Virenalarm wegen H2N2
13. April 2005Dass Virenstämme weltweit verschickt werden, ist nicht ungewöhnlich und passiert regelmäßig in so genannten Ringversuchen, erklärt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. In diesen Routine-Versuchen werden die Diagnosetechniken anhand zirkulierender Virenstämme getestet. Im aktuellen Fall aber wurden die Virenstämme vertauscht: Nicht H3N2 wurde zum Test frei gegeben, sondern H2N2. Wie so etwas passieren kann, bleibt auch dem RKI ein Rätsel. Einen vergleichsweisen Fall habe es bisher nicht gegeben. Auch sei die Zahl der Testreihen - mehr als 3700 Labore in 18 Länder wurden beliefert - ungewöhnlich hoch.
Die Verwechslung ist besonders prekär, weil H2N2 ein fast vergessener Grippe-Virus ist und damit kaum oder nur noch wenig Antikörper in der Bevölkerung vorhanden sind. Sie kursierte zwischen 1957 und 1968 und kostetet bis zu vier Millionen Menschen das Leben. Für alle danach Geborenen könnte ein Ausbruch gefährlich werden. Ältere könnten bereist mit dem Virus in Kontakt gekommen sein, ohne damals zu erkranken, und sind damit mehr oder weniger immun gegen eine erneute Viren-Attacke.
Besonders gefährlich werden Grippe-Viren, wenn sie sich ungehindert in der Bevölkerung verbreiten können und eine so genannte Pandemie auslösen. Dies können sie, wenn die Viren entweder alt sind und damit nur noch wenige Immunsysteme in der Bevölkerung sich daran erinnern können oder aber, wenn es um neue Stämme geht, wie es beim aktuellen Vogelgrippe-Virus H5N1 in Asien der Fall ist.
Die falschen Virenstämme kursieren bereits seit Oktober 2004 und wurden von der US-Akademie für Pathologie verschickt, genauer von einem Forschungszentrum in Newtown, im Bundesstaat Ohio. Eher zufällig habe ein kanadisches Labor nun gemerkt, dass die Proben andere waren als angenommen. Denn normalerweise werden die erhaltenen Virenstämme nicht auf Echtheit überprüft, sondern in die Labors gegeben, verwendet und nach einer gewissen Zeit wieder vernichtet. "Ein gewisses Vertrauen müssen die Labors schon haben", so Glasmacher vom RKI.
Inzwischen seien die meisten Proben zerstört, meldet die in Aufregung versetzte WHO. Ein Restrisiko jedoch besteht, weiß auch das RKI zu berichten. "Labor-Infektionen kommen vor."
Und was wenn? "Die Entwicklung eines Impfstoffes dauert in der Regel drei bis sechs Monate," sagt das RKI. Bis dahin könnte sich der Erreger weit und schnell verbreiten.
Das Forschungsinstitut in den USA war für eine Stellungnahme nicht zu erreichten. Es geht niemand ans Telefon.