VW als rechte Hand der Militärdiktatur
24. Juli 2017Der Vorwurf ist nicht neu – gerät aber nach Recherchen von NDR, SWR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) wieder in den Fokus. Den Medien zufolge hat sich der größte deutsche Autobauer Volkswagen während der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964 - 1985) offenbar aktiv an politischer Verfolgung und Unterdrückung von Regimegegnern beteiligt.
Die Konzerntochter Volkswagen do Brasil habe eigene Mitarbeiter und deren politische Gesinnung ausgespäht, berichteten die drei Medien. Informationen über Oppositionelle seien an die Politische Polizei gelangt. Eine Unterabteilung des Werkschutzes auf dem VW-Gelände in Sao Bernardo do Campo sei mehr und mehr zu einem Geheimdienst mutiert, dessen Ziel es gewesen sei, die eigene Belegschaft auszuspionieren, heißt es bei der SZ. VW-Mitarbeiter seien von der Politischen Polizei auf dem Firmengelände festgenommen worden. Allein im Sommer 1972 seien mindestens sechs VW-Mitarbeiter verhaftet worden.
VW gibt sich bedeckt
NDR, SWR und SZ gaben an, sie hätten Akten des brasilianischen Ermittlungsverfahrens, interne Volkswagen-Dokumente, Berichte des Auswärtigen Amtes und als geheim eingestufte Papiere der Politischen Polizei aus der Zeit der Diktatur auswerten können. VW gab an, dem NDR Zugang zum Unternehmensarchiv gewährt zu haben.
Bereits im Herbst 2015 war in Brasilien gegen VW Anzeige wegen möglicher Kollaboration mit der Militärdiktatur (1964 bis 1985) erstattet worden. VW sollte demnach zugelassen haben, dass mehrere Arbeiter einer Fabrik festgenommen und gefoltert wurden. Volkswagen-Mitarbeiter hätten auch "schwarze Listen" von Oppositionellen erstellt. Der Konzern hatte daraufhin angekündigt, die Vorwürfe umfassend aufklären zu wollen.
Zu der jüngsten Berichterstattung der drei Medien will sich VW vorerst nicht äußern und verweist auf ein Gutachten zur Rolle während der Militärdiktatur in Brasilien, das der Konzern im Herbst 2016 bei dem Historiker Christopher Kopper in Auftrag gegeben hat. Er soll "Licht in die dunklen Jahre der Militärdiktatur bringen sowie das Verhalten der damals Verantwortlichen in Brasilien und gegebenenfalls auch Deutschland aufklären lassen", erklärte damals VW.
Koppers Ergebnisse sollen bis Ende des Jahres vorliegen. Er selbst sagte vorab gegenüber SZ, NDR und SWR, es habe eine regelmäßige Zusammenarbeit zwischen dem Werksschutz von VW do Brasil und der Polizei gegeben. Und die Volkswagen AG habe "Verhaftungen zugelassen".
Bundesregierung war nicht unwissend
Laut SZ, NDR und SWR ermittelt die Bundesstaatsanwaltschaft in Brasilien, welche Verantwortung Volkswagen do Brasil für "Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Werksgeländes zur Zeit der Militärdiktatur" trägt. Der zuständige Gutachter bestätigte: "Der Werkschutz hat agiert, als wäre er ein verlängerter Arm der Politischen Polizei innerhalb des VW-Werkes", so die SZ. Der VW-Vorstand in Wolfsburg soll dem Bericht zufolge bereits 1979 von den Vorwürfen erfahren haben. Damals seien brasilianische VW-Mitarbeiter zur Konzernzentrale nach Wolfsburg gereist, um die Vorwürfe dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Toni Schmücker mitzuteilen.
Auch die Bundesregierung sei nicht uninformiert gewesen. 1976 hätte eine Bundestagsabgeordnete vom Auswärtigen Amt eine Stellungnahme zu den angeblichen Massenverhaftungen bei VW do Brasil gefordert, so die SZ. Bundeskanzler Helmut Schmidt sei bei einer Dienstreise 1979 vom damaligen Gewerkschaftsführer und späteren Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva über die Zustände im VW-Werk informiert worden, hieß es weiter.
VW ist seit Anfang der fünfziger Jahre in Brasilien aktiv. Während der ersten zehn Jahre der Militärdiktatur wuchs das Produktionsvolumen enorm. Vor allem der VW-Käfer, genannt Fusca, war bei den Brasilianern sehr beliebt.
iw/ul (afp, Süddeutsche Zeitung, NDR, dpa)