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Der tragikomische Alltag der DDR

Torsten Landsberg
15. Februar 2018

Kaputte Fassaden, FDJ-Fahnen, rebellische Punks und müde Schichtarbeiter: Harald Hauswald gilt als Fotograf der DDR-Opposition, dabei wollte er nur den Alltag einfangen. Eine Ausstellung in Berlin zeigt 100 seiner Werke.

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Vor der Eröffnung seiner Ausstellung schreibt Harald Hauswald Autogramme - in seinen Bildband "Berlin-Ost: Die andere Seite einer Stadt", den manche Besucher mitgebracht haben. Andere halten ihm auch einfach die aktuelle Broschüre "Voll der Osten - Leben in der DDR" zum Signieren hin. Rund 100 Bilder des Mitbegründers der Fotografen-Agentur Ostkreuz hat Stefan Wolle, Historiker und Leiter des DDR-Museums in Berlin, in 18 Kapitel eingeteilt und mit Texten ergänzt. 

Sie tragen Titel wie "Abschied", "Heiterkeit", "Rebellion" oder "Traurigkeit" und zeigen den Alltag und die Widersprüche eines Landes, das nur 40 Jahre existierte. Man sieht eine "Ausreise-Party in den Westen" unter Freunden, ein Punk-Pärchen im Park oder die gelangweilten Gesichter bei einer FDJ-Fahnen-Parade. Einen verfallenen Altbau fotografierte Hauswald Mitte der 1980er Jahre hinter dem Werbeschild eines Möbelhauses, vor den zerschlagenen Fenstern und der heruntergekommenen Fassade prangt der Schriftzug: "Wohnkultur". In diesen Bilddokumenten kündigt sich bereits der Untergang der DDR an - aus heutiger Perspektive, denn zu jener Zeit habe noch niemand an die Wende geglaubt, sagt Hauswald im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Fotograf Harald Hauswald
"Ich habe fotografiert, was ich gesehen habe": Der Fotograf und Chronist Harald HauswaldBild: picture-alliance/dpa/T. Kleins

Interesse aus aller Welt

Vorsätzliche Kritik am Staat sei nicht sein Antrieb gewesen, sagt der heute 63-Jährige. "Es gab die Nischengesellschaft und diese Mangelwirtschaft ja wirklich, ich habe fotografiert, was ich gesehen habe. Das war der Alltag." Wie seine Bilder auf andere wirkten, sei ihm erst später bewusst geworden.

Die Agentur Ostkreuz und die Bundesstiftung Aufarbeitung haben "Voll der Osten" als kommentierte Postersets für öffentliche Einrichtungen aufgelegt, 1.200 Bestellungen liegen bereits vor - aus Deutschland natürlich, aber auch aus Ländern wie Australien, Spanien und Belgien. Das Material liegt für die deutsche Kulturarbeit im Ausland auch in Englisch, Russisch, Französisch und Spanisch vor und wird durch kurze Interviews mit Harald Hauswald auf YouTube ergänzt, in denen er die Entstehung einzelner Fotos kommentiert.

Befreiung der Menschen

Kurator Stefan Wolle wählte die Ausstellungsexponate aus 2.600 Fotos aus, Harald Hauswald habe darauf kaum Einfluss genommen, betont der Historiker. "Die Fotos sind eine Befreiung der Menschheit", findet Wolle, "es kommen Menschen zu Wort, die sonst keine Stimme hatten." Ausgegrenzte eines Staates, der nur Bilder der Stärke nach außen präsentierte. "Es hat mich berührt, durch die Texte einen anderen Blick auf meine eigenen Bilder zu bekommen, sie mit einer anderen Gefühlswelt zu sehen und eine Wärme darin zu entdecken, die ich von selbst nicht bemerkt hatte", so Harald Hauswald.

Seine Fotos zeigen sensible, stille Momente, auch Intimität. Das Bild einer alten Frau, die gebückt und auf einen Stock gestützt über eine Straße geht, steht beispielhaft für die Tristesse vieler Werke - einer Traurigkeit, die nicht nur durchscheint, weil alle ausgewählten Arbeiten schwarz-weiß-Aufnahmen sind. So beinhaltet das Thema "Sehnsucht" das Foto eines Kinderkarussells in Dresden, oben auf dem Fahrgeschäft steht: "Südseetraum". Es sind diese tragikomischen Provokationen, die die Diskrepanz zwischen staatlichem und realem Meinungsbild aufdecken.

Ein untergehaktes Pärchen steht zwischen lauter Trabis
Innigkeit inmitten der Monotonie eines Parkplatzes Bild: picture-alliance/dpa/Harald Hauswald

Seine Aufnahmen veröffentlichte Hauswald in den 1980er Jahren als erster DDR-Fotograf auch in westdeutschen Magazinen, darunter im "Stern" und in "Geo". Die Arbeiten des Fotografen blieben dem Regime natürlich nicht verborgen. "Mehr als ein Dutzend mal saß ich im Auto zum Verhör", erinnert sich Hauswald, auch Hausdurchsuchungen habe es gegeben. Er habe nie gewusst, ob er nun tatsächlich verhaftet werde.

Fotograf der Opposition

Heute gilt er als Fotograf der Opposition. Seine Stasi-Akte umfasst 1.500 Seiten, wegen staatsfeindlicher Hetze oder Staatsverleumdung wurde gegen ihn ermittelt und für diese Zwecke auch erfasst, wie er in einem Einkaufsladen zwei Tüten Milch kaufte. Hauswald, der 1996 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde und bis heute analog fotografiert, ist so selbst ein Stück Zeitgeschichte geworden.

Welchen Effekt er sich von der Ausstellung erhofft? Er habe vor kurzem einige Aufnahmen auf einem Foto-Festival in Spanien gezeigt, erzählt Hauswald. "Die Leute haben die Bilder losgelöst von der DDR gesehen und sie als Alltagsbilder wahrgenommen. Das ist toll."

Die Ausstellung ist noch bis zum 1. März 2018 kostenlos im Berliner Kulturzentrum Podewil zu sehen.