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Turbine Potsdam: Bundesliga-Abstieg nach 26 Jahren

David Braneck
15. Mai 2023

Einer der traditionsreichsten deutschen Frauenfußball-Vereine steigt aus der Bundesliga ab. Nach 26 Jahren muss der sechsmalige Meister Turbine Potsdam runter in die 2. Liga. Der Niedergang war lange absehbar.

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Turbine-Spielerin Noca Selimhodzic sitzt enttäuscht auf dem Rasen
Der Abstieg des früheren Serienmeisters Turbine Potsdam steht am 20. Spieltag festBild: Ostseephoto/IMAGO

Jahrzehntelang hatte Turbine Potsdam die Hoffnung nicht nötig - sie war für einen der besten Vereine Europas weitgehend überflüssig. Doch zuletzt war die Hoffnung alles, was Turbine noch hatte. "Wenn wir keine Hoffnung hätten, hätten wir aufgegeben. Das haben wir aber nicht", sagte Turbine-Stürmerin Sophie Weidauer noch Anfang des Jahres der DW.

Doch am drittletzten Spieltag war die Hoffnung endgültig dahin. Nach der 1:5-Niederlage gegen Bayer 04 Leverkusen in der Frauen-Bundesliga ist der rettende zehnte Rang für das abgeschlagene Tabellen-Schlusslicht nicht mehr zu erreichen. 

Implosion von heute auf morgen?

Für den 1971 gegründeten Verein ist der Abstieg ein Schock, denn Turbine Potsdam zählte jahrelang zu den erfolgreichsten Frauen-Vereinen Europas. 2005 gewann der Klub den UEFA Cup, 2010 folgte der Triumph in der Champions League. National war Potsdam in der Ära des Trainer-Ikone Bernd Schröder das Maß der Dinge und konnte sechsmal die Meisterschaft in der DDR sowie nach der Wiedervereinigung in der Bundesliga gewinnen. Hinzu kamen drei Erfolge im DFB-Pokal.

Turbine verpasste zudem noch in der vergangenen Saison nur knapp die Qualifikation für die Champions League, nachdem man zuvor sechs Mal in Folge unter den ersten Vier gelandet war. 

Potsdams Vereinspräsident Karsten Ritter-Lang auf der Tribüne
Karsten Ritter-Lang, von Beruf Unfallchirurg, ist seit November 2022 Präsident von Turbine PotsdamBild: Matthias Koch/picture alliance

Während Vereinspräsident Karsten Ritter-Lang in der Winterpause von einer "Implosion" der Mannschaft sprach, lassen sich die Wurzeln der aktuellen Turbine-Misere bis spätestens zum Sommer 2021 zurückverfolgen. Damals scheiterte die Präsidentschaftsbewerbung der ehemaligen Spielerin Tabea Kemme, die den Verein wieder zu altem Ruhm führen wollte.

Seitdem ist die Basis des Vereins in sich zusammengebrochen. Der damalige Trainer Sofian Chahed verließ kurz nach der vergangenen Saison überraschend den Verein. Der langjährige Präsident Rolf Kutzmutz, der seit 22 Jahren im Verein war, folgte ihm und setzte damit ein schwindelerregendes Personalkarussell in Gang. Neben diversen Wechseln auf Vorstandsebene hat Turbine seit Chaheds Abgang fünf Cheftrainer gehabt.

Viele Abgänge, schwierige Integration

Es überrascht nicht, dass sich die Turbulenzen an der Vereinsspitze auch auf dem Spielfeld bemerkbar machten. Mehr als ein Dutzend Spielerinnen, die meisten von ihnen Stammspielerinnen, verließen den Verein ebenfalls im vergangenen Sommer. "Heutzutage gibt es im Frauenfußball viele professionelle Möglichkeiten. Jede Spielerin entscheidet, in welchem Umfeld sie spielen möchte", sagt Sophie Weidauer. "Natürlich ist es schade, dass so viele gegangen sind, obwohl wir letztes Jahr eine hervorragende Saison gespielt haben. Aber letzten Endes muss jede Spielerin selbst entscheiden, auf welchem Niveau des Profifußballs sie spielen möchte."

Zweikampf zwischen Sophie Weidauer von Turbine Potsdam und Nina Lührssen von Werder Bremen
Sophie Weidauer (l.) ist erst 21, aber dennoch eine der Spielerinnen, die mit am längsten im Verein sindBild: Matthias Koch/picture alliance

Während die Turbulenzen auf Vorstands- und Trainerebene für Ablenkung sorgten, übte die fast vollständige Umstellung des Kaders in der Saisonpause einen enormen Druck auf die Spielerinnen aus. "Es war extrem schwierig. Es gibt so viele Spielerinnen mit unterschiedlichen Hintergründen, Herkünften und Sprachen im Kader, das kann eine Barriere für die Kommunikation sein", sagte Weidauer. "Man braucht Zeit, um diese Dinge gemeinsam auf dem Spielfeld zu klären, aber mittlerweile haben wir keine Zeit mehr dafür."

Tradition zahlt sich nicht mehr aus

Der Abstieg in dieser Saison ist auch darauf zurückzuführen, dass Turbine es versäumt hat, sich an die sich schnell entwickelnde Landschaft des Frauenfußballs anzupassen. "Wenn man sich anschaut, wie gut sie vor 10 bis 15 Jahren waren, hatten sie einen großen Vorteil gegenüber anderen Vereinen, was die Infrastruktur und die Taktik angeht. Aber die Mannschaften haben sie eingeholt oder sogar überholt", sagte die ehemalige Spielerin Anja Mittag, die mit Potsdam zwei Champions-League-Titel und eine Handvoll nationaler Titel gewann, der DW.

Spielszene Anja Mittag im Trikot von Turbine Potsdam
Anja Mittag (l.) spielte mit kurzer Unterbrechung von 2002 bis 2011 für Turbine PotsdamBild: Actionplus/picture alliance

Turbine ist neben der SGS Essen der letzte reine Frauenfußballverein der Bundesliga. Der FC Bayern und der VfL Wolfsburg dominieren die Liga, andere Männer-Bundesligisten wie Eintracht Frankfurt und RB Leipzig haben ebenfalls stark in den Frauenfußball investiert. Diese Vereine verfügen über Ressourcen, Infrastruktur und sportliches Know-how, die den reinen Frauenvereinen fehlen.

Turbine war kurzzeitig Partner von Hertha BSC, doch die dreijährige Partnerschaft wird nach dieser Saison nicht verlängert, da sich Hertha für die Gründung einer eigenen Frauenmannschaft entschieden hat. 

Der Anfang vom Ende?

Kapitänin Jennifer Cramer beschrieb die Stimmung im Team als "sehr bitter": "Wir müssen das jetzt erst einmal sacken lassen und uns sammeln."

Auch im Vorfeld blickten ehemalige Spielerinnen mit großer Sorge vor der Zukunft auf die Turbine: "Für mich persönlich ist das sehr traurig. Es ist nicht einfach, den Verein, mit dem ich aufgewachsen bin, am Rande des Abstiegs zu sehen", sagt die ehemalige Turbine-Stürmerin Conny Pohlers der DW. Sie spielte von 1994 bis 2007 für die Potsdamerinnen und entwickelte sich dort zur deutschen Nationalspielerin. 

Spielerinnen wie Pohlers und Mittag haben bei Turbine ein großes Erbe hinterlassen: zwei Champions-League-Trophäen, sechs Bundesligatitel und drei deutsche Pokale - der Verein wird immer seine Geschichte haben. 

Obwohl sie nicht optimistisch in die unmittelbare Zukunft blickt, glaubt Anja Mittag, dass eine veränderte Strategie das langfristige Überleben des Vereins sichern könnte. "Sie haben (immer noch) diesen großen Namen. Vielleicht können sie die Art und Weise, wie sie Spielerinnen rekrutieren, ändern und sich auf das Scouting und die Entwicklung junger Talente konzentrieren", sagt Mittag. "Wahrscheinlich müssen sie sich ändern, um die Dinge zu ändern."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.