Vom Sudan in den Tschad: Überleben in der Not
21. November 2024Sie hat das rettende Ziel erreicht. Mit letzter Kraft. Mariam passiert die Grenze in den Tschad. Sie flieht aus dem Kriegsland Sudan. Was sie jetzt noch besitzt, hat sie auf einem kleinen Wagen zusammengeschnürt. Die junge Frau hat die Hölle hinter sich. Davon sprechen kann sie jetzt nicht. Nur so viel: "Bei Gott, das ganze Land ist zerstört", sagt sie.
In ihrer Heimat, im Sudan, tobt ein Machtkampf zwischen den Anführern zweier hochgerüsteter Kriegsparteien: der sudanesischen Armee und der paramilitärischen "Rapid Support Forces" (RSF). Seit April 2023 schon überziehen die Kämpfer das Land mit Gewalt und Terror - vernichten Dörfer, vergewaltigen Mütter und ihre Töchter, zerstören Felder und erbeuten Vieh. Männer werden gequält und ermordet, die Söhne werden zwangsrekrutiert und entführt. Eine unfassbare Gewalt. Ein Ende - nicht in Sicht.
Flucht in die Armut
Adré - der wichtigste Grenzübergang zwischen Sudan und dem Tschad. Auf der Seite des Sudans stehen drei bewaffnete Soldaten - vor ihnen ragt ein Grenzstein empor. Die Flüchtlinge lassen sie ungerührt an sich vorbeiziehen. Hier im Niemandsland zwischen beiden Staaten steht eine Brückenruine. Sie sollte Teil einer gut ausgebauten Straße werden - für florierenden Handel zwischen den Nachbarn. Es ist anders gekommen. Auf der roten Lehmpiste überqueren jetzt täglich hunderte Menschen die Grenze.
Und je heftiger die Gewalt im Sudan tobt, desto mehr sind es. Elf Millionen Sudanesen sind auf der Flucht. Die meisten im eigenen Land. Der Tschad hat schon 1,1 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.
Dabei ist der Tschad eines der ärmsten Länder der Welt und kämpft mit immensen eigenen Problemen. Der Klimawandel schlägt hier voll zu. Schwerste Überschwemmungen wechseln sich ab mit extremen Dürreperioden. Jeder Dritte hier lebt in extremer Armut, also von weniger als 2,15 US-Dollar täglich.
"Jedes Land wäre überfordert"
Mariam wird zunächst am Aufnahmepunkt des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Adré registriert. Und dann geht es für sie einige wenige Kilometer weiter in ein Übergangslager. Dort warten bereits ihre fünf Kinder. Die Mutter kann erst jetzt nachkommen. Adré, eigentlich eine Kleinstadt von 40.000 Einwohnern, beherbergt jetzt ein provisorisches Flüchtlingslager. 230.000 Menschen leben hier. Bis zum Horizont erstrecken sich die notdürftig zum Dach gespannten Plastikplanen. Es sind fast nur Frauen und Kinder hier.
Svenja Schulze, Entwicklungsministerin aus Deutschland, ist an diese Grenze gereist. Sie will ein Schlaglicht werfen auf das, was die Vereinten Nationen als die weltweit größte und am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise bezeichnen. Aus Deutschland sagt sie 57 Millionen Euro zusätzliche Hilfe zu. Geld, das Hilfsorganisationen zum Beispiel für den langfristigen Aufbau von Elektrizität- und Wasserversorgung nutzen können. "Jedes Land wäre mit so einer Menge von Flüchtlingen überfordert", sagt Schulze. "Das kann keine Region, kein Land alleine bewältigen. Und deswegen muss die Internationale Gemeinschaft hier Solidarität zeigen." Sie müsse den Tschad stärker unterstützen, so Schulzes Appell.
Der Tschad ist ein schwieriger Partner. Als Langzeitdiktator Idriss Déby starb, blieb die Macht in der Familie. Sohn Mahamat Idriss Déby ließ sich im April 2024 in einer umstrittenen Wahl zum Präsidenten wählen. Er regiert den Tschad mit harter, autoritärer Hand. Oppositionelle und Journalisten leben hier gefährlich. Neben dem wichtigsten strategischen Partner Frankreich, der ehemaligen Kolonialmacht, setzt die Regierung auf neue Verbündete. Zum Beispiel auf die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die mit günstigen Krediten und Budgethilfen die Regierung unterstützen.
Hält der Tschad seine Grenze nicht nur offen für Flüchtlinge aus dem Sudan, sondern auch für Waffenlieferungen in den Sudan? "Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Vereinigten Arabischen Emirate über den Tschad Waffen in den Sudan liefern", sagt Ulf Laessing, Leiter Regionalprogramm Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Es müsste ein Waffenembargo geben. Russland und die VAE müssten ihre Waffenlieferung einstellen. Vorher machen Friedensgespräche keinen Sinn", so Laessing.
Schwur des Ministers
Der Außenminister des Tschad, Abderaman Koulamallah steht vor der Tür seines Büros in der Hauptstadt N'Djamena. Eine kurze Pressekonferenz mit dem Gast aus Deutschland. Was unternimmt sein Land, damit nicht Waffen über den Tschad in den Sudan kommen, wird er gefragt. Der Außenminister schwört: "Ich persönlich kenne kein Land, das Waffen dorthin liefert. Und wenn ich es wüsste, dann würde ich hier vor Gott bezeugen, dass ich das sagen würde".
"Was erwarten Sie für eine Antwort - der Minister schützt seine Interessen" sagt wenig später Baldal Oyamta zum Schwur des Ministers. Oyamta ist der Nationale Koordinator der Menschenrechtsliga im Tschad. Er weiß nur zu gut, wie die Regierung mit Kritikern umgeht. "Der Umgang mit den Flüchtlingen ist eine Sache. Aber die politischen Interessen, die militärischen Interessen, sind eine andere Sache."
Ein Stück Land zum Überleben
Im Osten des Tschad, an der Grenze zum Sudan, versuchen die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen, den Flüchtlingen aus dem Sudan eine langfristige Perspektive zu verschaffen. Im ganzen Land haben sie 21 Flüchtlingslager aufgebaut - für jeweils 50.000 Menschen. In der kargen, staubigen Landschaft ist es sehr schwierig, geeignete Orte für die Lager zu finden, sagt Pierre Camera vom UNHCR. Denn es gibt keinerlei Infrastruktur. "Alles muss aus dem Nichts aufgebaut werden, es ist sehr herausfordernd". Wasserversorgung, Elektrizität, Gesundheitsversorgung, Schulen - und gleichzeitig sind nur 29 Prozent der dringend benötigten Gelder an internationaler Hilfe zugesagt. Es ist eine vergessene Krise. "Es gibt nicht genug für würdige Lebensbedingungen", sagt Pierre Camara. Mindestens fünf weitere Flüchtlingslager müssten dringend gebaut werden.
Die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen arbeiten eng mit der Regierung des Tschad zusammen. Die stellt den Flüchtlingen Land zur Verfügung, auf dem sie rund um die Lager Nahrungsmittel selbst anbauen können. "Wir helfen ihnen, Land zu bewirtschaften, Gemüse anzubauen und so Einkommen zu erzielen," sagt Alexandre Le Cuziat, stellvertretender Leiter des World Food Programms, WFP. Die Gemeinden rund um die Flüchtlingscamps sollen ebenfalls profitieren. Auch sie sollen Zugang erhalten zum Anbau von Nahrungsmitteln. Es gilt, Spannungen zu vermeiden, um das Wenige, was es hier gibt.
Hoffnung auf Rückkehr
"Man muss leider davon ausgehen, dass eine Rückkehr in den Sudan für die meisten Flüchtlinge auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird", sagte die deutsche Entwicklungsministerin Schulze bei ihrem Besuch. Doch auch humanitäre Hilfe sei keine Dauerlösung. "Darum ist der Ansatz, den Flüchtlingen und Aufnahmegemeinden Land zu geben und es als Äcker und Weiden wieder nutzbar zu machen, so wegweisend: Wer fruchtbares Land hat, kann sich selbst versorgen."
Mariam muss nun sehen, wie es für sie und ihre Familie im Tschad weitergeht. Sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie doch irgendwann in ihre Heimat zurückkehren kann, in den Sudan. Das, so sagt sie, sei ihr größter Wunsch.