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Vom Waldsterben zur Wende

Karin Jäger1. Oktober 2014

Vom Braunkohletagebau verpestete Luft? Vom sauren Regen gebrandmarkte Wälder? Keine Themen in der DDR. Offiziell. Trotzdem gab es Bürger, die unter dem Schutz der Kirche, gegen Umweltverschmutzung vorgingen.

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Umweltbewegungen in der DDR
Bild: picture alliance/dpa

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"Die Fichten, ganze Waldreviere, bestanden nur noch aus kahlen Baumstrünken. Es sah schlimm und bedrohlich aus", erinnert sich der Pfarrer, der damals im Erzgebirge tätig war. Offiziell will er sich allerdings nicht mehr über seine DDR-Vergangenheit äußern. Die Regierung in Ost-Berlin sprach damals lapidar von Rauchschäden.

Symbolbild Waldsterben
Sterbender Wald im ErzgebirgeBild: picture alliance/chromorange

In der Bundesrepublik diskutierte man offen über das gefürchtete Waldsterben. Dort hatten 1980 Umweltaktivisten "Die Grünen" gegründet, eine Partei, die gegen Atomkraft und für Umweltschutzbelange eintrat. Auch im Erzgebirge bewirkten maßlose Industrialisierung, klimaschädliche Braunkohleverstromung und rückständige Umwelttechniken, dass die Schmutzpartikel in der Luft als saurer Regen die Baumbestände massiv schädigten.

Am schlimmsten aber war Bitterfeld vom Umweltschmutz betroffen. Reinhard Assmann war schockiert, als er in der "schmutzigsten Stadt Europas" seine erste Stelle als Pfarrer antrat: "Der gelbe, ätzende Rauch entstand durch Säure im Westen der Stadt. Beißender Chlorgeruch erreichte uns von der Fotoindustrie im Norden. Stickiger Sandstaub wurde im Braunkohletagebau im Osten freigesetzt und aus dem Süden wurde Flugasche herübergewirbelt, die bei der Brikettherstellung entstand." Die ganze Region sei schwarz gewesen, eine Katastrophe. Assmann erzählt von Allergien und Krankheiten und dass Gartenbau und Wäschetrocknen im Freien unmöglich waren.

Wirtschaftskraft geht vor Umweltschutz

Zwar gab es seit 1972 in der DDR ein Ministerium für Umwelt und Wasserwirtschaft und damit deutlich vor der Bundesrepublik, die ein solches Ressort erst 1986 einrichtete. Beim Zusammenbruch der DDR waren dort immerhin 38.000 Mitarbeitern beschäftigt. Doch für die Staatsführung hatte die Produktivität der Wirtschaft Vorrang.

Für Pastoren wie Reinhard Assmann und Hans-Peter Gensichen galt es dagegen die Schöpfung zu erhalten. Das von Gott geschaffene hatte für sie Priorität vor dem Profit des Staates. Gensichen beschäftigte sich seit 1975 im Kirchlichen Forschungsheim in Wittenberg mit ökologischer Ethik. Die Einrichtung in der Lutherstadt galt als intellektuelles Zentrum der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR. Die Bürger wollten aufgeklärt werden über Missstände. "Die Kirche war nicht auf Uranabbau spezialisiert, wusste aber, wie sie mit den Ängsten der Leute umgehen musste", sagt Hans-Peter Gensichen. Der Theologe organisierte Baum-Pflanz-Aktionen. Er setzte sich für einen autofreien Tag pro Jahr ein und gab eine als "Briefe" getarnte Zeitschrift heraus zur "Orientierung im Konflikt Mensch - Erde".

Umweltverschmutzung in Bitterfeld
Chemiekloake Bitterfeld -einst schmutzigste Stadt EuropasBild: AP
Porträt - Hans-Peter Gensichen
Hans-Peter Gensichen: Ist Bäume pflanzen subversiv?Bild: privat

Assmann wollte Bewusstsein schärfen. Bei Anwohnern traf er damit auf Widerstand, "weil die Leute in den 'Giftbuden' arbeiteten und dort ihren Lebensunterhalt verdienten". Im Sommer lud er Jugendliche aus der ganzen DDR zu Freizeiten ein, die mit Mundschutz Ausflüge in die kontaminierten Gebiete machten.

Doch erst das Atomreaktorunglück in Tschernobyl 1986 weckte das Interesse der breiten Öffentlichkeit. Die DDR-Medien berichteten zögernd und verharmlosend über den Supergau in dem ukrainischen Kernkraftwerk.

Kirche als Schutzraum für fromme Dissidenten

Plötzlich wollten Bürger über die Missstände aufgeklärt werden. In Kirchenkreisen erlaubte man sich, Probleme zu erörtern, wie nirgendwo anders im totalitären DDR-System. Dazu zählten Umweltschäden und Havarien in der Industrie. Allein 1983 wurden 331 Betriebsstörungen, 1145 Brände und 67 Explosionen gemeldet. Dabei kamen 18 Menschen ums Leben, 85 wurden verletzt.

Unter dem Dach der christlichen Kirchen formierten sich in der gesamten DDR Gruppen, die unter Tarnnamen wie "Umweltbibliothek" agierten. Sie beschäftigten sich mit einem breiten Themen-Spektrum, das von staatlicher Seite tabu war: Frieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte. Sie veröffentlichten Flugblätter und Schriften mit Fakten und Tipps zum Umweltschutz: "Umweltbibliotheken waren in der DDR immer gleichbedeutend mit Opposition", erzählt Reinhard Assmann.

Reinhard Assmann Umweltaktivist
Pfarrer Reinhard Assmann: engagiert für Umwelt und FriedenBild: privat

Durch öffentliche Auftritte wollte man zum Nachdenken anregen und zum Widerstand animieren. Doch die Kirchenvertreter sahen sich nicht als konspirative Gruppe, die der DDR schaden wollten. Nicht zuletzt waren die Kirchen - besonders die evangelische - die einzigen Institutionen, denen das Einparteien-Regime eine gewisse Autonomie gestattete. 1950 gehörten 85 Prozent der DDR-Bürger einer evangelischen Kirche an. Zehn Prozent waren Katholiken. Die Kirchen besaßen große Ländereien und betrieben eigene Schulen.

Und immerhin waren Glaubens- und Gewissensfreiheit in der DDR-Verfassung verankert. Dennoch übte die SED Einfluss aus, um die Macht der Kirchen zu verringern. Als Alternative zur Konfirmation führte die Sozialistische Einheitspartei die Jugendweihe ein. Mit Erfolg: Der offizielle Anteil der Konfessionslosen stieg von etwa sechs auf 70 Prozent 1989.

Der Spagat des DDR-Regimes

Andererseits war die DDR-Führung um internationale Anerkennung bemüht und hatte sich gezwungenermaßen 1975 in der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet. Dazu gehörten auch die Achtung der Religionsfreiheit und das Zugeständnis, diese auszuüben.

Durch die allgemeine Unzufriedenheit ernüchtert und ermutigt von den KSZE-Beschlüssen, lud die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (AgCK) erstmals überhaupt in der DDR alle Kirchengemeinden und Gruppen ein, die aktuell drängenden Fragen zu benennen. Die Resonanz war überwältigend: Mehr als 10.000, zum Teil ausführliche Briefe, erhielt die AgCK. . Zugleich erklärten sich alle Kirchen bereit, die Forderungen daraus aufzunehmen und gemeinsam öffentlich zu diskutieren. Daraus ging 1988 die Ökomenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung hervor. Allen Kirchen und auch christlichen Basisgruppen gelang es, immer stärkeren gesellschaftlichen Druck auszuüben. Ihnen kam zugute, dass die Parteiführung um den Vorsitzenden des Zentralrats der SED, Erich Honecker, auf Grund der wirtschaftlichen Misere, gezwungen war, dem zunehmend kritischen Volk gegenüber Zugeständnisse zu machen.

Umweltbewegungen in der DDR
Evangelischer Kirchentag 1988 in Halle/ DDR mit eindeutigen BotschaftenBild: imago/epd

Kirchen als gesellschaftliche Kraft

Im Mai 1989 veröffentlichte die Arbeitsgemeinschaft Christliche Kirchen ihre Bilanz über Probleme der DDR. Gleichzeitig bot sie Lösungsansätze an. Diese wurden zur Basis für die politische Opposition, die sich im Sommer 1989 gründete. Der Zusammenhalt in den Kirchengemeinden, die Umbrüche in den sozialistischen Bruderstaaten Polen und CSSR und nicht zuletzt die Politik der Öffnung Michail Gorbatschows in der Sowjetunion ermutigte die Freiheitsbewegung.

Die Kirchen als Versammlungsorte für Menschen, die sich für gesellschaftliche Veränderungen stark machten, wurden an den Abenden im Herbst ´89 voller und voller: "Wir hatten eine gemeinsame Sprache der Hoffnung. Wir haben gemeinsam Psalme gebetet, gesungen, Bibeltexte gelesen", erinnert sich der Pfarrer aus dem Erzgebirge."

Kanzerwahl Vereidigung Ansprache Bundespräsident Joachim Gauck Angela Merkel 2013
Evangelisch, umweltaffin, mit DDR-Vergangenheit: Gauck und MerkelBild: picture-alliance/dpa

Von dieser Bewegung gingen die Proteste aus, die zur friedlichen Revolution führten. "Wir waren lange zu brav und angepasst", meint Reinhard Assmann heute, 25 Jahre nach dem Mauerfall, "weil Pastoren und Pfarrer schon so etwas wie Narrenfreiheit hatten."

Was aus den Pfarrern wurde

Nach dem Zusammenbruch der DDR arbeitete Reinhard Assmann als Pfarrer in Berlin. Hans-Peter Gensichen gründete 1990 den Zentralen Grünen Tisch der DDR, ehe er nach der Wiedervereinigung eine Leitungsfunktion bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt übernahm. Andere engagierten sich im Neuen Forum oder in einer Partei: Friedrich Schorlemmer, Manfred Stolpe, Rainer Eppelmann und Joachim Gauck. Der protestantische Theologe ist heute Bundespräsident.

Und mit Angela Merkel wurde eine Pfarrerstochter Bundeskanzlerin. Deren Biograf Gerd Langguth will erfahren haben, dass sie 1990 von ihrer Weltanschauung her den Grünen näher stand als den Christdemokraten. Bundesumweltministerin war sie jedenfalls mal - im Kabinett von Helmut Kohl (CDU).