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PolitikBulgarien

Von Brüssel nach Sofia: EU-Kommissarin Marija Gabriel

15. Mai 2023

Kann die bulgarische EU-Kommissarin Marija Gabriel ihr Land aus der Krise führen? Die designierte Premierministerin soll die neue Regierung in Sofia anführen und will mit einem Expertenkabinett regieren.

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Marija Gabriel
Marija Gabriel wird von ihrer Arbeit in der Kommission beurlaubt und versucht, in Bulgarien eine Regierung zu bildenBild: Oliver Hoslet/POOL/AFP/Getty Images

Sie ist leidenschaftlich und intelligent, sie arbeitet hart, sie studiert gründlich die Akten und ist immer gut vorbereitet. So wird Marija Gabriel, die den Auftrag hat, eine neue bulgarische Regierung zu bilden, von Insidern in Brüssel beschrieben.

Sie halten die EU-Kommissarin für eine gute Wahl, um Bulgarien aus der politischen Sackgasse zu führen, in der das Land seit Jahren steckt. Nach der vorgezogenen Neuwahl Anfang April 2023 gelang es bislang nicht, eine Regierung zu bilden. Die seit Jahren andauernde Instabilität drohte sich fortzusetzen.

Nun soll es die junge Kommissarin richten, die in Brüssel wegen ihres enormen Arbeitspensums geschätzt, wegen ihrer hohen Anforderungen an ihre Mitarbeiter aber auch gefürchtet wird. Viele trauen ihr zu, eine tragfähige Regierung zu bilden.

"Wir begrüßen die Nominierung von Marija Gabriel zur Premierministerin Bulgariens. Sie hat die Erfahrung und die internationale Autorität, die politische Stagnation in Sofia zu überwinden", twitterte beispielsweise der EVP-Vorsitzende Manfred Weber. In diplomatischen Kreisen in Brüssel heißt es, wenn eine ehemalige EU-Kommissarin und echte Europäerin Ministerpräsidentin in Bulgarien werde, wäre das eine sehr positive Botschaft für die EU-Institutionen. 

Zieht die Fäden im Hintergrund: Bojko Borissow

Doch Gabriels Nominierung wird überschattet von dem, der sie für dieses Amt vorgeschlagen hat: Bojko Borissow, der langjährige Premier, dessen Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) die letzte Parlamentswahl mit einer hauchdünnen Mehrheit der liberalen Koalition PP/DB (Wir führen den Wandel fort/Demokratisches Bulgarien) gewann.

Denn Borissow und seine Parteigenossen werden von ihren politischen Opponenten und von vielen internationalen Medien der Korruption und Vetternwirtschaft beschuldigt. Ein von dem Ex-Premier eingesetzter Finanzminister wurde von den USA sogar mit Sanktionen belegt. 

Der ehemalige Premier Bulgariens Bojko Borissow bei einer Pressekonferenz am Sonntag, 14. Mai, in Sofia, mit der Kandidatin der Partei GERB für den Posten des Regierungschefs Marija Gabriel.
Der ehemalige Premier Bulgariens Borissow stellte Gabriel am 14. Mai als Ministerpräsidentin-Kandidatin vor Bild: BGNES

Aber auch gegen Marija Gabriel selbst gab es einen Korruptionsverdacht: 2018 wurde sie von einer Nichtregierungsorganisation beschuldigt, dass sie für eine kommunale Wohnung in Sofia eine offensichtlich nicht marktübliche Miete gezahlt habe. Die Antikorruptionsbehörde legte den Fall jedoch ad acta, weil die frühere EU-Abgeordnete zu jener Zeit "kein öffentliches Amt im Sinne des Gesetzes ausgeübt" habe. Auch über einen in Bordeaux angeblich erworbenen Doktortitel Gabriels gab es in Bulgarien viel Aufregung.

Eine zielstrebige Europäerin

Die heute 43-jährige Gabriel wurde als Marija Nedeltschewa in Hadschidimowo geboren, einer kleinen Ortschaft in der Nähe der griechischen Grenze. Sie studierte bulgarische und französische Philologie in Plowdiw und machte später einen Magister in Politikwissenschaften im französischen Bordeaux. 

2009 zog sie als GERB-Abgeordnete ins Europaparlament ein. 2012 heiratete sie ihren EVP-Kollegen François Gabriel, einen Mitarbeiter des französischen Europaabgeordneten Joseph Daul. Sie ist seit 2017 EU-Kommissarin, zunächst für digitale Wirtschaft und Gesellschaft und seit 2019 für Forschung, Innovation und Bildung, Kultur und Jugend. Seit 2019 ist sie auch Vizepräsidentin der Europäischen Volkspartei (EVP).

Die designierte EU-Kommissarin Marija Gabriel bei ihrer Befragung durch Mitglieder des Europaparlaments im Juni 2017
Die designierte EU-Kommissarin Marija Gabriel bei ihrer Befragung durch Mitglieder des Kulturausschusses im Juni 2017Bild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

In Brüssel machte sie sich als engagierte und ambitionierte Politikerin einen Namen, wird aber von einigen auch als jemand beschrieben, der nicht delegieren kann und alle Fäden in der Hand behalten will. Im persönlichen Kontakt hinterlässt sie genau diesen Eindruck: Sie lächelt freundlich, ihr Blick aber bleibt kühl fixiert, und sie bleibt sichtbar auf ihre eigene Agenda konzentriert.

Ihre Nominierung als Regierungschefin wurde in Bulgarien sogar von politischen Gegnern mit Anerkennung quittiert. Selbst der ehemalige bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow, lobte sie nach den schwierigen Gesprächen zu einer möglichen Regierungsbildung in Sofia. Sie sei auf alle Fragen eingegangen, sachlich und sogar mit Emotionen.

Marija Gabriel im Gespräch mit EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen am 8.2.2022
Marija Gabriel mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 8.02.2022Bild: Virginia Mayo/POOL/AFP/Getty Images

Petkow, politischer Gegner und scharfer Kritiker der Partei GERB und ihres Vorsitzenden Borissow, verteidigte Gabriel sogar gegen Zweifel und Angriffe: "Ihr wird von allen vorgeworfen, dass sie seit 2005 nicht mehr in Bulgarien wohne und sie deshalb keine Erfahrung habe. Aber vielleicht hat sie gerade, weil sie nicht in Bulgarien war, eine Art europäisches Benehmen", so Petkow.

Eine Brückenbauerin?

Viel Aufregung verursachte Marija Gabriel allerdings schon mit einer unerwarteten politischen Aussage. Nach der Nominierung unterstützte sie ausdrücklich die Forderung von Borissows politischen Opponenten zur Absetzung des berüchtigten Generalstaatsanwalts Iwan Geschew. Denn Kiril Petkow (PP) und sein Bündnispartner Hristo Iwanow (DB) werfen Geschew seit langem vor, die bulgarische Justiz zu schwächen und Antikorruptionsermittlungen zu verzögern. So könnte Marija Gabriel tatsächlich eine Brückenbauerin zwischen den über innenpolitische Themen verfeindeten Wahlgewinnern GERB und PP/DB werden.

Allerdings vereint die beiden Parteien ihre außenpolitische Programmatik: Sie bekennen sich zur transatlantischen Partnerschaft und verurteilen den russischen Krieg gegen die Ukraine scharf. Als überzeugte Europäerin wäre Gabriel der mögliche Kitt zwischen den beiden politischen Kräften. Und das ist offensichtlich Borissows Kalkül, da PP/DB ansonsten keine Partnerschaft mit GERB eingehen würde.