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PolitikLitauen

NATO-Gipfel: Erdogan stellt Bedingungen

10. Juli 2023

Am Dienstag beginnt der NATO-Gipfel in Litauen. Hauptthema ist eigentlich die Ukraine, doch der Beitritt Schwedens zur NATO sorgt weiter für Spannungen. Bernd Riegert aus Vilnius.

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Litauen l Vorbereitungen für den  NATO-Gipfel in Vilnius l Flaggen der Nato
NATO-Flaggen und litauische Flagge vor dem Messezentrum in VilniusBild: Bernd Riegert/DW

Häuserfassaden, Autobusse, Straßenlaternen und öffentliche Plätze  - vieles in Vilnius ist derzeit mit NATO- und vor allem mit Ukraine-Flaggen geschmückt. Die Menschen in Litauen erklären sich solidarisch mit dem von Russland seit 500 Tagen völkerrechtswidrig angegriffenen Land.

Der Gastgeber, der litauische Präsident Gitanas Nauseda, wird nicht müde zu erklären, dass man sich zusammen mit den NATO-Verbündeten mit aller Kraft gegen russische Aggression in der Ukraine wehren müsse. "Wenn man es heute nicht macht, ist es morgen zu spät", mahnte Präsident Nauseda.

Er sagte vor Beginn des Gipfels, die Zeit für bloße Versprechen sei vorbei, die Ukraine verdiene konkrete Zusagen und einen Zeitplan für die nächsten Schritte zur Mitgliedschaft in der NATO. Der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, war ein wenig zurückhaltender. Zwar seien im Prinzip alle NATO-Staaten für einen Beitritt der Ukraine, der Text, in dem die nächsten Schritte beschrieben seien, werde aber immer noch verhandelt.

Litauen Gastgeber des kommenden NATO Gipfels/Stimmung Ukraine
Solidarität mit der Ukraine: Bürger in Vilnius haben ihre Häuser geschmücktBild: Bernd Riegert/DW

Erdogan mauert

Beim Gipfeltreffen am Dienstag und Mittwoch soll es eigentlich um Hilfe für die Ukraine und den Schutz der Ostflanke der NATO gehen. Doch am Tag vor dem Gipfel lenkte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Rampenlicht mit seinem Poker um den Beitritt Schwedens zur NATO auf sich.

Der wiedergewählte Autokrat Erdogan beschwerte sich wiederholt darüber, dass Schweden mutmaßliche kurdische Terroristen nicht ausliefere und anti-islamische Kundgebungen zulasse. Schweden habe die Bedingungen für einen Beitritt zur NATO noch nicht erfüllt, kritisierte Erdogan.

Der schwedische Premier und NATO-Chefdiplomat Stoltenberg wiesen die Vorwürfe zurück. Schweden habe seine Gesetze geändert, ein Waffenembargo gegen die Türkei aufgehoben, erste PKK-Aktivisten ausgewiesen und alle Bedingungen erfüllt, die vor einem Jahr beim NATO-Gipfel in Madrid festgelegt worden waren. In Madrid waren Finnland und Schweden einstimmig zu einem Beitritt zur Allianz eingeladen worden.

Der schwedische Premier Kristersson und Präsident Erdogan im November in Ankara:
Der schwedische Premier Kristersson (li.) besuchte Präsident Erdogan im November in Ankara: Bisher war alle Mühe vergebensBild: Mustafa Kaya/Xinhua/picture alliance

Finnland ist inzwischen volles Mitglied. Schweden wird vom türkischen Präsidenten und auch vom ungarischen Premier Viktor Orban seit Monaten hingehalten. Das türkische und das ungarische Parlament haben - anders als 29 andere NATO-Staaten - den schwedischen Beitritt noch nicht ratifiziert.

Der türkische Präsident Erdogan sagte vor seinem Eintreffen in Vilnius, er lasse sich überzeugen, wenn Schweden auf seine Forderungen eingehe. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson verwies darauf, dass im Rechtsstaat Schweden islam-kritische Demonstrationen nicht einfach verboten werden könnten, weil schließlich - anders als in der Türkei - Meinungsfreiheit herrsche.

Türkei stellt neue Bedingung: EU-Beitrittsgespräche

Recep Tayyip Erdogan sorgte bei der NATO mit einer neuen Forderung für Verärgerung. Er sagte, das EU-Mitglied Schweden könne der Militärallianz nur beitreten, wenn die Türkei im Gegenzug der Europäischen Union beitreten könne. Die Beitrittsverhandlungen wurden von der EU de facto eingefroren, weil die Türkei rechtsstaatliche Mindestanforderungen nicht mehr erfüllt. Die Verhandlungen laufen bereits seit 2005. Zuletzt hatte aber auch der türkische Präsident Erdogan nur noch wenig Interesse an einer EU-Mitgliedschaft seines Landes gezeigt.

Symbolbild - Gerhard Schröder und Tayyip Erdogan
Das waren noch andere Zeiten: Erdogan (li.), damals noch demokratisch unterwegs, und Bundeskanzler Schröder freuten sich 2005 über den Beginn der EU-BeitrittsverhandlungenBild: picture-alliance/AP Photo/O. Orsal

Litauens Präsident Gitanas Nauseda, kritisierte, neue Bedingungen in letzter Minute seien nicht hilfreich bei Gesprächen über die NATO-Mitgliedschaft Schwedens. So werde man nie zu einem Abschluss kommen. Bundeskanzler Olaf Scholz wies vor seiner Abreise aus Berlin, die Verknüpfung aus EU-Beitritt der Türkei und NATO-Beitritt Schwedens zurück. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Schweden habe alle Voraussetzungen erfüllt, so Scholz.

Joe Biden soll es richten

NATO-Diplomaten hoffen darauf, dass ein Gespräch zwischen Erdogan und dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden Bewegung in das Beitrittsdrama rund um Schweden bringen könnte. Die Türkei möchte nämlich von der NATO-Führungsmacht USA Kampfflugzeuge vom Typ F-16 kaufen.

NATO-Gipfel: Ukraine und Schweden im Fokus

Wenn Joe Biden, der am Wochenende schon mit Erdogan telefonierte, diese Zusagen machen würde, könnte der türkische Präsident im Gegenzug grünes Licht für Schweden geben. Recep Tayyip Erdogan sagte vor der Presse allerdings, es gebe keine Verknüpfung zwischen F-16 und Schweden.

Und was ist mit Orban?

Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson wirkte ein wenig frustriert nach Gesprächen mit der türkischen Seite, sagte aber, es sei keine Frage, dass Schweden der EU beitreten könne, nur wann sei offen. Die NATO hatte schließlich Schweden einstimmig mit den Stimmen Ungarns und der Türkei, aufgefordert, angesichts der russischen Bedrohung beizutreten, um die Nordflanke der NATO zu verstärken.

Welche Bedingungen der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban für eine Ratifizierung des schwedischen NATO-Beitritts stellt, ist nicht ganz klar. Angeblich will der nationalkonservative und eher Russland-freundliche Orban erreichen, dass die Europäische Union zurückgehaltene Hilfsgelder an Budapest auszahlt. NATO-Diplomaten gingen aber davon aus, dass Orban einlenken werden, sobald die Türkei einen schwedischen Beitritt zur NATO final absegnet.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ermutigte alle Seiten, weiter zu verhandeln. "Ein positives Entscheidung für Schweden ist auf dem Gipfel immer noch möglich", sagte Jens Stoltenberg.

Nach Schweden die Ukraine?

Nach Schweden könnte dann die Ukraine als 33. Mitglied in die NATO aufgenommen werden, meinte die Politikwissenschaftlerin Margarita Seselgyte von der Universität Vilnius. "In Litauen sagen die Menschen, dass der russische Präsident Wladimir Putin ein Feigling ist. Er hat Angst vor der NATO. Sobald die Ukraine in der NATO ist, könnte der Krieg zu Ende sein, weil Putin einfach zu ängstlich und nicht in der Lage wäre, die gesamte Allianz anzugreifen."

Litauen Margariat Seselgyte, Politikwissenschaftlerin, Professorin an der Universität Vilnius
Margarita Seselgyte leitet das Institut für Internationale Beziehungen an der Universität VilniusBild: Bernd Riegert/DW

Eine Verlängerung des Beitrittsprozesses würde der russische Aggressor möglicherweise als Einladung auffassen, den Krieg in die Länge zu ziehen, sagte Margarita Seselgyte der DW. US-Präsident Joe Biden hatte vor dem Gipfeltreffen noch einmal betont, dass seiner Ansicht nach die Ukraine erst in die NATO eintreten könne, wenn es einen dauerhaften Waffenstillstand gebe. Andernfalls würde die NATO in den Krieg hineingezogen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union