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"VW-Skandal ist Chance"

Gero Rueter27. September 2015

Die Luft ist vor allem in Städten schlecht und weltweit sterben jedes Jahr Hunderttausende Menschen an den Folgen. Hauptverursacher ist der PKW-Verkehr. Abgasexperte Axel Friedrich sieht den VW-Skandal als Chance.

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Deutschland Volkswagen Abgasuntersuchung
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Deutsche Welle: Herr Friedrich, hat Ex-VW-Chef Winterkorn von Manipulationen nichts gewusst?

Axel Friedrich Ex-Direktor des Umweltbundesamtes
Abgasexperte Axel FriedrichBild: picture-alliance/dpa

Das ist schwer vorstellbar. Er mischte sich sehr stark in die Technik ein und kommt aus diesem Bereich. Natürlich kann ein Konzernchef nicht alles wissen, aber es klingt nicht sehr plausibel.

Bei den falschen Angaben zu den Emissionen stehen Diesel-PKW im Fokus. Sind auch Benziner betroffen?

Es gibt auch Einzelfälle von Benzinern, wir haben noch kein flächendeckendes Bild. Der Verdacht liegt aber nahe. Der Grund liegt in der Motortechnik mit sogenannten Direkteinspritzern, das Verbrennungsprinzip ist hier verändert. Diese Motortechnik kommt dem Prinzip des Diesels näher und damit werden auch die Probleme der Abgasreinigung ähnlich.

Was wusste die Politik?

Die Fachkollegen in den Ministerien kennen die Probleme. Es ist schwer zu prüfen, was die Minister in Deutschland und der EU gewusst haben. Aber seit einigen Jahren wird an einer neuen Vorschrift zur Lösung des Problems gearbeitet. Im Frühjahr wurde beschlossen, dass es Emissionstests im Realbetrieb geben soll. Die Autoindustrie betreibt hier massiv Lobbyarbeit, alles ist politisch relevant und daher müssten die Verantwortlichen in den Ministerien informiert worden sein.

Weltweit gibt es Probleme mit schlechter Luft in den Städten. Wie ist der Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal?

In der EU gibt es die Richtlinie zur Luftreinhaltung. Doch in fast allen europäischen Städten werden die Grenzwerte für Stickoxide (NOx) überschritten, verantwortlich dafür sind zu 80 Prozent die PKW. Die EU-Kommission hat Vertragsverletzungsverfahren gegen viele EU-Länder eingeleitet, weil die Grenzwerte überschritten werden. Hier ist der Zusammenhang, und wenn man nach Lösungen sucht, geht es um die Diesel-PKW.

Wie kann die Lösung aussehen?

Deutsche Umwelthilfe protestiert vor der IAA gegen Luftverschmutzung Rechte: Maximilian Geiß/ DUH
Umweltschützer protestieren gegen Diesel-PKWBild: Maximilian Geiß / DUH

Entweder werden Diesel-PKW aus den Städten verbannt oder man macht sie sauber. Es kann nicht sein, dass die Menschen gefährdet werden und hier nichts passiert.

Ist eine Verbannung umsetzbar?

Umweltverbände haben in sechs deutschen Städten und in London Klagen gewonnen und auch Mittel zur rechtlichen Durchsetzung. Dreckige Fahrzeuge werden zumindest in diese Städte nicht mehr reinfahren dürfen.

Wird die Luft dann besser?

Das beste Beispiel ist Berlin. Es war 2010 die erste Stadt mit einer Umweltzone, es wurde kontrolliert und Busse wurden nachgerüstet. Die Atemluft hat sich so verbessert. Die Belastung mit Rußpartikeln ging drastisch zurück und der Wert für Stickstoffdioxid fiel um 20 Prozent. Das reicht für die Einhaltung der Grenzwerte natürlich nicht, aber es ist ein erster Schritt.

Was wäre der nächste Schritt?

Wir brauchen eine neue Plakette für Autos die wirklich sauber sind und die Norm von Euro-6-auch wirklich erfüllen. Und die Erfüllung dieser Norm muss in Praxistests nachgewiesen werden.

Nun belegen die Studien, dass fast alle neuen Diesel-PKW die Grenzwerte in der Praxis um ein Vielfaches überschreiten. Dann dürften auch diese Fahrzeuge in Städte zukünftig nicht rein?

Korrekt. Diese Fahrzeuge haben dann keine Rechte mehr, in die Stadt reinzufahren. Wenn sie allerdings vom Hersteller auf das vorgeschriebene Niveau nachgebessert werden, ist das kein Problem.

Das klingt hart für Autokäufer.

Es geht hier nicht um irgendwelche lustigen Dinge. In Deutschland sterben 60.000 Menschen vorzeitig durch Luftschadstoffe, in der EU sind es 430.000 Menschen pro Jahr. Können wir das hinnehmen?

Welchen Anteil haben daran die Stickoxide?

Vermutlich im Bereich von 20 Prozent. Wir sehen in Städten mit hoher Belastung, dass die Menschen früher sterben. Das liegt an Rußpartikeln und Stickoxiden. Diese kommen in der Regel aus dem gleichen Fahrzeug, dem Diesel-PKW ohne Filter. Die genaue Trennung ist hier sehr schwierig

Feinstaub Luftverschmutzung Messung Berlin. Copyright: Marggraf/DUH
Friedrich bei Abgasmessung: "Bauarbeiter erkranken durch Abgase doppelt so häufig an Krebs."Bild: Marggraf/DUH

Ist eine Nachrüstung der PKW möglich?

In vielen Fällen. Bei neueren Fahrzeugen können die Grenzwerte mit einer sogenannten Kalibrierung eingehalten werden.

Was wird sich nach Ihrer Einschätzung jetzt ändern?

Ich hoffe, dass die neue Vorschrift zügig verabschiedet wird. Mit neuen Testverfahren sollen die Abgaswerte von Fahrzeugen im Realbetrieb auf der Straße ermittelt werden. Damit können die erforderlichen Grenzwerte auf der Straße eingehalten werden und wir haben endlich den Schutz der Menschen durch überprüfte Grenzwerte.

Diese Tests soll es ab 2016 geben. Doch derzeit werden noch PKW verkauft, die die festgelegten Grenzwerte in der Praxis nicht erfüllen. Wäre da nicht ein Verkaufsstopp ratsam?

Die Hersteller tragen die Verantwortung und müssen die Antwort geben. Ich glaube, dass sie Probleme bekommen, wenn die Kunden ab dem nächsten Jahr nicht mehr in die Städte reinfahren dürfen, einige Rechtsanwälte überlegen da schon.

Jetzt gibt es Handlungsdruck. Welche Auswirkungen hat der Skandal weltweit?

Nahezu alle Länder in der Welt nutzen europäische Normen. PKW, die die Grenzwerte auch in der Praxis einhalten, verbessern die Luftqualität weltweit. Das ist eine Chance, und die Autoindustrie hat hier eine moralische Pflicht.

Der Chemiker Dr. Axel Friedrich ist Abgasexperte. Er leitete die Abteilung Verkehr und Lärm beim Bundesumweltamt (UBA) bis 2008 und berät heute Institutionen wie die Weltbank.

Das Interview führte Gero Rueter