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Politik

Wählen unter den Augen von Boko Haram

14. Februar 2019

In Nigeria stehen Wahlen an. Im Nordosten des Landes geben sich die Menschen entschlossen. Sie wollen auf jeden Fall wählen. Doch die Umstände sind schwierig. Aus Maidugui, Thomas Mösch.

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Wahlkampf Nigeria Wahlplakat APC
Bild: DW/T. Mösch

Der Verkehr in der Millionenstadt Maiduguri ist dicht, die Straßen sind jetzt vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von Wahlplakaten in allen Größen gesäumt – sie zeigen fast ausschließlich die Kandidaten der hier wie auf Bundesebene regierenden Partei APC von Präsident Muhammadu Buhari. Plakate anderer Parteien muss man mit der Lupe suchen. Immerhin, ein Konvoi mit Wahlkämpfern der "Green Party of Nigeria", die sich auf Agrarpolitik spezialisiert hat, bringt den Verkehrsfluss ins Stocken.

Die Hauptstadt des Bundesstaates Borno ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Ein Grund ist die anhaltende Bedrohung durch Boko Haram. Die islamistische Miliz hat in den vergangenen Monaten wieder verstärkt Dörfer in den Grenzregionen zu Niger und Kamerun angegriffen. Ein großer Teil der mehr als 2 Millionen geflohenen Nigerianer hat sich nach Maiduguri gerettet. Es gibt zahlreiche offizielle und inoffizielle Flüchtlingslager.

Eines, das von der Nothilfe-Organisation des Bundesstaates, der SEMA, geführt wird, heißt "Bakassi" und liegt nur wenige Autominuten vom Zentrum entfernt. 30.000 Menschen aus Orten nahe dem Tschadsee oder der Grenze zu Kamerun leben hier laut SEMA. Jeder Herkunftsort hat einen eigenen Bereich im Lager. Ein Teil des Lagers besteht aus festen Häusern, die einst für Regierungsmitarbeiter vorgesehen waren – doch dann kamen die Flüchtlinge. Mehrheitlich wohnen diese nun auf dem riesigen, staubigen Areal in Zelten, dazwischen Toilettenanlagen aus Wellblech und Wasserstellen.

Flüchtlingslager Bakassi in Maiduguri, Nigeria
Geflohen vor Boko Haram: Im Flüchtlingslager Bakassi in MaiduguriBild: DW/T. Mösch

Flüchtlinge hoffen auf Buhari

Während Frauen und Kinder an den Wasserstellen Kanister befüllen, sitzen viele Männer im Schatten der Dächer und dösen in den Tag hinein. Doch vor einem der Steingebäude hat sich eine Menschentraube gebildet. Hier gibt die Unabhängige Wahlkommission (INEC) Wählerausweise aus. Auch Zainab Mohammed Mustapha hat seit dem Morgen gewartet. Nun ist die junge Frau erleichtert, denn kurz vor Büroschluss hat sie doch noch ihren Wählerausweis bekommen: "Ich will Buhari wählen, denn ich weiß, dass er den einfachen Menschen hilft", erklärt sie bestimmt.

Auch Hadiza Safiyanu würde gerne für Buhari stimmen, doch sie hat heute vergeblich gewartet: "Ich bin sauer, denn ich habe meinen Ausweis wieder nicht bekommen. Jetzt bin ich schon zum dritten Mal hier und wieder nichts!"

Flüchtlingslager Bakassi in Maiduguri, Nigeria
Diese Frauen haben auch heute wieder vergeblich auf die Ausgabe ihrer Wählerausweise gewartetBild: DW/T. Mösch

Vertriebene wählen in den Lagern

Die Flüchtlinge hoffen, dass sie nach der Wahl endlich in ihre Heimatorte zurück können. Nach einer baldigen Rückkehr sieht es im Moment jedoch nicht aus. Sie sollen bei der auf den 23. Februar verschobenen Wahl direkt in den Flüchtlingslagern ihren Präsidenten und das nationale Parlament wählen. Für die Regionalwahlen am 2. März werden die Wahllokale dann noch einmal dort geöffnet.

Mehrere wegen des Terrors entvölkerte Gemeinden haben ihre Verwaltung provisorisch in die Lager verlegt. Auch die Wahlkommission INEC greift auf diese Strukturen zurück. Angesichts der Unsicherheit in weiten Teilen Nordostnigerias bewertet der renommierte Politikwissenschaftler Jibrin Ibrahim diese Entwicklung positiv: "Das erleichtert die Logistik", sagt er. "Die Wahlen können so auch in dieser Region weitgehend glaubwürdig sein." Ibrahim hat auch am Aufbau eines nationalen Wahlbeobachternetzwerkes der nigerianischen Zivilgesellschaft mitgewirkt - und verspricht: "Wir werden landesweit 30 Prozent der Wahllokale beobachten."

Sicherheitskräfte geben sich entschlossen

Nigeria Abdullahi Ibrahim
Abdullahi Ibrahim gibt sich zuversichtlichBild: DW/T. Mösch

An einer ordentlichen Durchführung der Wahlen im Bundesstaat Borno wollen auch die Sicherheitskräfte keinen Zweifel aufkommen lassen. Abdullahi Ibrahim, der in Borno das "Nigerianische Corps für Sicherheit und Zivilverteidigung" anführt, geht von knapp 4000 Wahllokalen aus, die seine Leute zusammen mit Polizei und Armee beschützen müssen: "INEC wird die Wahlen in allen Landkreisen durchführen können", gibt sich der Kommandant überzeugt.

Sicherheitsexperte Kabir Adamu ist da skeptischer. "In einigen nördlichen Landkreisen des Bundesstaats Borno ist es unwahrscheinlich, dass Wahlen abgehalten werden können. Da gibt es weiterhin Kämpfe", so Adamu. Selbst in einigen Kreisstädten ringe die Regierung noch mit den Terroristen um die Kontrolle. Wie gefährlich die Lage ist, zeigt der Angriff auf den Konvoi von Gouverneur Kashim Shettima am Mittwochabend, bei dem mehrere seiner Begleiter getötet oder entführt wurden. Shettima war in Richtung der kamerunischen Grenze unterwegs gewesen, in einem Gebiet, in dem Boko Haram in jüngster Zeit wiederholt massive Angriffe ausgeführt hat.

Zivilschutzkommandant Ibrahim verweist auf Nachfrage auf die Flüchtlingslager, in denen umkämpfte Landkreise wählen würden. Die Wahlen fänden also so oder so statt, unterstreicht Ibrahim.

Nigeria Bürgerrechtler Ahmed Shehu
Bürgerrechtler Ahmed Shehu wirbt für friedliche WahlenBild: DW/T. Mösch

Dem stimmt auch Ahmed Shehu vom „Netzwerk der zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Tschadseeregion" zu. Die Mitgliedsorganisationen wollen mit 40 Beobachtern die Glaubwürdigkeit der Wahlen sichern. Sie ergänzen damit die Aktivitäten der nationalen Netzwerke. Ahmed Shehu ist allerdings enttäuscht, dass von den 180 Organisationen in seinem regionalen Netzwerk nur eine einzige die Zulassung zur Wahlbeobachtung erhalten hat. Ausländische Hilfe würde nur an die nationalen Organisationen fließen, beklagt der Aktivist. "Dabei kennen unsere Mitglieder doch sogar diejenigen, die als Wahlfälscher in Betracht kommen. Wenn sie die in der Nähe der Wahllokale sehen, wissen sie, dass etwas im Busch ist."

Wählen im Schutz der Bürgerwehren

Am nächsten Morgen steht Ahmed Shehu in einem Saal, der mit rund 100 meist jungen Männern und einigen wenigen Frauen gefüllt ist. Shehu und andere Bürgerrechtler haben die Veranstaltung organisiert, um die Kämpfer der Bürgerwehr "Civilian Joint Task Force" über ihre Rechte und Pflichten während der Wahl aufzuklären, Motto: "Wähle in Frieden, Wähle den Frieden!" Die Bürgerwehren tragen vor Ort die Hauptlast des Kampfes gegen die Terroristen. Sie wollen auch die Wahlen vor Boko Haram schützen. Dabei müssten sie aber unbedingt politisch neutral bleiben, mahnen die Bürgerrechtler.

Nigeria Bürgerwehr Altine Mohammed Abdullahi
Altine Mohammed Abdullahi ist Mitglied einer BürgerwehrBild: DW/T. Mösch

Unter den Zuhörern ist eine entschlossen dreinschauende junge Frau. Sie habe sich der Bürgerwehr angeschlossen, weil die Dschihadisten ihren Ehemann und ihre jüngere Schwester ermordet hätten, sagt Altine Mohammed Abdullahi. Für die Zeit nach der Wahl wünscht sie sich zuallererst: "Buhari und unser neuer Gouverneur hier in Borno sollen helfen, die Boko-Haram-Krise ein für alle Mal zu beenden." Buhari muss Präsident bleiben und Boko Haram muss endlich weg – das hört man in Maiduguri überall. Und dann hat die Kämpferin noch einen speziellen Wunsch an die Politik: "Sie sollen etwas für uns Mitglieder der Bürgerwehren tun, schließlich haben wir für diese Sache unser Leben aufs Spiel gesetzt."

Mitarbeit: Uwaisu A. Idris, Al-Amin Suleiman Mohammed

Thomas Mösch
Thomas Mösch Afrika-Redakteur mit besonderem Blick auf Westafrika, Sicherheit und Ressourcenpolitik