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Wachsende Strahlkraft des IS in Asien

Thomas Latschan9. September 2014

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekommt Zulauf von radikalisierten Muslimen aus aller Welt. Auch in vielen asiatischen Staaten fällt die Ideologie der radikalen Islamisten auf fruchtbaren Boden. Ein Überblick.

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Kundgebung von Anhängern des Islamischen Staats in Mossul/Irak (Foto:ap)
Bild: picture alliance / AP Photo

Wie viele Kämpfer die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien genau hat, ist nicht bekannt. Schätzungen der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte gehen von ungefähr 50.000 Mann aus, die für die Organisation in Syrien kämpfen. Im Irak sollen weitere rund 15.000 Mann unter Waffen stehen. Mindestens 12.000 von ihnen kommen aus dem Ausland, schätzt das US-State Department – vor allem aus dem arabischen Raum und aus Europa, zunehmend aber auch aus Asien.

Afghanistan und Pakistan

Vor allem im Grenzgebiet zwischen beiden Staaten wirbt der IS mittlerweile massiv mit Broschüren und Handzetteln um neue Mitglieder, berichtet DW-Korrespondent Faridullah Khan: "Die Flugblätter erscheinen in den Sprachen Dari, Paschtu und Urdu, und sie verkünden das Ziel, ein Kalifat zu errichten, das auch Teile Zentralasiens, Iran, Afghanistan und Pakistan umfassen soll." Einige Splittergruppen der afghanischen und pakistanischen Taliban überlegten bereits, ein formales Bündnis mit der IS-Miliz einzugehen, so Khan. Afghanistan-Experte Michael Kugelman vom Woodrow Wilson Center in Washington sieht zwar "ideologische Überschneidungen" zwischen dem IS und den Taliban. Einen Zusammenschluss auf breiter Front hält er dennoch für äußerst unwahrscheinlich. Es gebe enge Verbindungen zwischen den Taliban und Al Kaida, während die Milizen des IS in direkter Konkurrenz zu Al Kaida stehen. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Taliban als Ganzes sich ausgerechnet mit einer Organisation zusammenschließen, die sich von Al Kaida abgespalten hat", so Kugelman.

IS-Flugblatt aus Peshawar/Pakistan (Foto:DW/F. Khan)
Mit Flugblättern wie diesem wirbt der IS in Pakistan um neue AnhängerBild: DW/F. Khan

Doch vor allem in Pakistan haben US-amerikanische Drohnenangriffe die Kommandostruktur der Taliban schwer getroffen. Zudem führt die pakistanische Armee seit Monaten Krieg gegen sie in Nord-Waziristan. Das hat dazu geführt, dass die Extremisten in mehrere Einzelgruppen zerfallen sind, von denen wiederum einige offen mit dem IS sympathisieren.

Auch Al Kaida ist wegen der wachsenden Anziehungskraft des IS auf radikalisierte Muslime alarmiert. Jetzt versucht das von Osama bin Laden gegründete Terrornetzwerk dagegenzuhalten: In der vergangenen Woche hat Al-Kaida-Führer Aiwan az-Zawahiri die Gründung eines Ablegers in Südasien bekanntgegeben – mit dem Ziel, ein eigenes Kalifat in Myanmar, Bangladesch und in Teilen von Indien zu errichten.

Indien

Dort, in Indien, sind die Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft. Denn vor allem in der zwischen Indien und Pakistan umstrittenen Region Kaschmir ist der zunehmende Einfluss des IS zu spüren. Seit Ende Juni 2014 tauchen hier immer wieder Flaggen und Flugblätter des IS auf. In Srinagar, der Hauptstadt des indischen Teils von Kaschmir, wurden wiederholt Graffitis mit IS-Parolen auf Hauswände gesprayt. Die Rekrutierungen erfolgen vor allem über soziale Netzwerke. Mitte Juli tauchte das erste IS-Video in den Sprachen Hindi und Tamil auf, das sich explizit an Muslime in Indien wandte. Durchaus mit Erfolg: Rund 300 Inder sollen sich offiziellen Angaben zufolge dem IS in Irak und Syrien schon angeschlossen haben.

Al-Kaida-Führer Aiman az-Zawahiri verkündete die Gründung eines Al-Kaida-Ablegers in Südasien (Foto:REUTERS)
Al-Kaida-Führer Aiman az-Zawahiri verkündete die Gründung eines Al-Kaida-Ablegers in SüdasienBild: Reuters/SITE

In Indien selbst hat es zwar schon häufiger Terroranschläge mit radikalislamischem Hintergrund gegeben. Dennoch ist das Phänomen, dass Extremisten aus Indien einen Dschihad außerhalb der eigenen Landesgrenzen führen, neu. "Es gibt zwar schon eine ganze Reihe militanter Gruppen in der Region", sagt Gauri Khandekar, Asienexpertin bei der Stiftung FRIDE für Internationale Beziehungen in Madrid. "Aber jetzt zeigt sich, dass sich eine immer größer werdende Zahl junger radikalisierter Muslime in Indien entweder dem IS in Irak und Syrien oder aber militanten Gruppen in Afghanistan und Pakistan anschließen will", so die Expertin gegenüber der DW.

Und auch der Al-Kaida-Ableger auf dem indischen Subkontinent könnte ihrer Ansicht nach schnell an Zulauf gewinnen: "Es gab in der Region schon seit 1947 immer wieder aufbrechende Spannungen zwischen Hindus und Muslimen." Dass jetzt in Indien ausgerechnet der Hindu-Nationalist Narendra Modi an die Macht gekommen ist, könnte die Muslime im Land weiter radikalisieren, so Khandekar: "Schon während eines seiner Wahlkampfauftritte hatte es einen Terroranschlag auf Modi gegeben. Für Al Kaida und andere Extremisten wäre er sicherlich eines der Hauptziele."

Indonesien und Malaysia

Offiziellen Angaben zufolge sollen sich auch rund 50 bis 60 Islamisten aus Indonesien den IS-Milizen angeschlossen haben. Experten rechnen eher mit 100 bis 200 Kämpfern – Tendenz steigend. Für das mit rund 240 Millionen Menschen größte muslimische Land der Erde ist selbst das noch keine allzu große Zahl. Doch Indonesiens Behörden sind alarmiert, und das nicht erst seit der inhaftierte indonesische Terroristenführer Abu Bakhar Bashir im August 2014 zusammen mit 24 weiteren Häftlingen einen Treueeid auf den IS leistete. Bashir gilt als Kopf der islamistischen Terrorgruppe Jemaah Islamiyah und als Drahtzieher der Bombenanschläge auf Bali 2002. Nachdem darüber hinaus im Sommer erstmals ein indonesischer Dschihadist seine Landsleute in einem Youtube-Video aufforderte, sich den IS-Kämpfern im Irak und in Syrien anzuschließen, zog die Regierung in Jakarta die Reißleine. Auf den ausdrücklichen Rat einer Versammlung von hunderten geistlichen und Gelehrten des Landes verbot die Regierung jegliche Solidarisierung mit der Gruppe und blockierte den Zugang zur IS-Propaganda im Internet.

Demonstration von IS-Anhängern in der indonesischen Stadt Solo (Foto:afp)
Demonstration von IS-Anhängern in der indonesischen Stadt SoloBild: Anwar Mustafa/AFP/Getty Images

Im Kampf gegen den Terror hat Indonesien in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Erfolge erzielen können. Die Jemaah Islamiyah gilt faktisch als zerschlagen. Die Behörden warnen jedoch davor, dass gut ausgebildeten Rückkehrer aus dem Mittleren Osten das Terrornetzwerk wieder aufleben lassen und erneut Terroranschläge verüben könnten. Eine IS-motivierte Anschlagsdrohung gab es bereits gegen die weltberühmte Tempelanlage von Borobodur, den größten hinduistischen Tempel des Landes.

Einen solchen IS-motivierten Anschlag haben die malaysischen Sicherheitsbehörden eigenen Angaben zufolge im August verhindern können. Syrischen Angaben zufolge sollen bislang mindestens 15 malaysische Staatsbürger bei Kämpfen in Irak und Syrien getötet worden sein. Weitere 20 bis 25 Malaysier sollen derzeit in den Reihen des IS stehen. Darüber hinaus hat die malaysische Polizei bislang rund 20 junge Muslime vorsorglich festgenommen, die in die Kampfgebiete reisen wollten.