Waffenexporte vom Balkan nach Syrien
7. August 2016Das Kriegsland Syrien ist voller Waffen: Tausende Sturmgewehre des Typs AK-47, Maschinengewehre, Mörsergranaten, Raketenwerfer und Panzerabwehrwaffen, alternde T-55- und T-72-Panzer. Die meisten davon sollen aus diesen Ländern stammen: Bosnien, Bulgarien, Kroatien, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Montenegro, Serbien und Rumänien. Nach Syrien kommen sie über einen Umweg: Per Flugzeug oder Schiff zunächst nach Saudi-Arabien, Jordanien, in die Vereinigten Arabischen Emirate oder in die Türkei - und von dort ins Kriegsgebiet. Der finanzielle Umfang: 1,2 Milliarden Euro.
Jahrelang Beweise gesammelt
Um diese Waffentransportwege offenzulegen, recherchierten Journalisten des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) und des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) jahrelang. Sie werteten Exportdaten und Berichte der Vereinten Nationen aus. Sie sahen sich hunderte Videos und Fotos an, sie verfolgten Schiffs- und Flugbewegungen, lasen Waffenverträge und gingen zahlreichen Hinweisen aus Kreisen von Waffenhändlern nach.
Ein paar Beispiele: In einem vertraulichen Dokument aus dem Jahr 2013, das BIRN und OCCRP vorliegt, beschreibt ein hoher Beamter im serbischen Verteidigungsministerium, wie Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien von dort nach Syrien gelenkt werden. Und eine detaillierte Analyse von Luftfrachtträgern belegte über 70 Flugzeugbewegungen, die definitiv Waffen über Umwege in die Kriegsgebiete lieferten.
Robert Stephen Ford, US-Botschafter in Syrien von 2011 bis 2014, berichtete BIRN und OCCRP, dass der Handel vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA koordiniert und über die Türkei und die Golfstaaten abgewickelt werde. Mit zunächst scheinbar unverdächtigen Zielen würden alle eigentlich vorgeschriebenen Genehmigungsprozesse umgangen. Viele von BIRN recherchierte Flugpapiere enthalten tatsächlich über tausende Tonnen Fracht keine Angaben. Als "unidentified cargo", "unbekannte Fracht", wurden Waffenladungen aus Bulgarien und der Slowakei ausgeflogen.
Restbestände der Balkankriege
Viele dieser Waffen stammen aus der Zeit nach dem Ende der Balkankriege in den 1990er Jahren. "Die Leute haben ihre Waffen einfach behalten", erklärte Nils Duquet, Experte für illegalen Waffenhandel beim Flemish Peace Institute in Brüssel. Oft wären die Bestände aus der Not heraus verkauft worden. Im November 2015 fanden sich Spuren dieser Waffen auch in Deutschland. In Bayern wurde ein LKW aus Montenegro kontrolliert. Die Polizei fand eine große Sammlung an Sturmgewehren, Pistolen und Granaten.
Solche Waffen aus Osteuropa werden nicht nur von den Rebellen der Freien Syrischen Armee benutzt, sondern auch von islamistischen Kämpfern der Ansar al-Sham oder der bisher al-Kaida verbundenen al-Nusra-Front (jetzt Fatah al-Sham) sowie des sogenannten "Islamischen Staates". Das wollen die beiden Organisationen BIRN und OCCRP vor allem anhand von Fotos und Videos sowie Bildern in den sozialen Medien belegen.
Patrick Wilcken, Rüstungskontrollexperte bei Amnesty International, und Bodil Valero, im Europaparlament Berichterstatterin zum Thema Waffenhandel, sind sicher, dass viele dieser verschlungenen, undurchsichtigen Transfers sowohl gegen EU-Recht als auch gegen nationales und internationales Waffen- und Exportrecht verstoßen haben.
Kritik an Deutschlands Rolle
Im Bundestag engagieren sich vor allem Linke und Grüne gegen den Waffenexport in Krisen- und Kriegsgebiete. Auf Anfrage der Grünen erklärte die Bundesregierung, dass sie bereits mehrere Sammel- und Vernichtungsprogramme für Waffen und Munition aus Balkanstaaten finanziell unterstütze, mit rund einer Million Euro pro Jahr. Ein zu geringer Betrag, befanden die Oppositionsparteien.
Agnieszka Brugger von den Grünen ist die Sprecherin ihrer Fraktion für die Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Sie kritisiert die deutschen Waffenexporte nach Saudi-Arabien. Im Gespräch mit der DW sagte Brugger: "Äußerungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier klingen für mich sehr, sehr zynisch. Etwa, wenn er sagt, Saudi-Arabien sei ein Stabilitätsanker in der Region und wir müssten gute Beziehungen pflegen. In Saudi-Arabien hat sich die Menschenrechtslage verschlechtert, nicht verbessert."
Die Recherchen von BIRN und OCCRP begrüßt Brugger, weil sie nachwiesen, dass über den Umweg Saudi-Arabien Kriegswaffen nach Syrien gelangten. Der Bundesregierung wirft Brugger vor, zu zögerlich zu handeln.
Dem widerspricht Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Bei der Vorstellung des jüngsten Rüstungsexportberichts spricht Gabriel offen die Fälle an, in denen die Empfänger aus Deutschland importierte Waffen illegal weitergegeben haben. Sie tauchten auch in Kriegsgebieten auf. "Vor diesem Hintergrund haben wir Post-Shipment-Kontrollen eingeführt", betont Gabriel. "Das heisst, Empfänger von Exporten willigen ein, dass deutsche Beamte im Empfängerland kontrollieren, ob die Waffen dort sind, wo sie hingehören."
Noch seien diese Kontrollen aber nicht angelaufen, kritisiert Agnieszka Brugger. Gabriel erklärt, es habe noch keine Lieferungen gegeben, die das erforderlich gemacht hätten. Brugger wiederum bemängelt, dass es Gabriel noch nicht geschafft habe, das von ihm angekündigte Rüstungsexportgesetz umzusetzen. Der Wirtschaftsminister hatte angekündigt, eine Kommission zu ernennen, die die Genehmigungspraxis überprüft.