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Politik

Waffenkonzerne erwirtschaften erneut Milliarden

Anne Höhn
5. Dezember 2022

Die Waffenverkäufe der Top 100 Rüstungsfirmen steigen das siebte Jahr in Folge, obwohl die Corona-Pandemie der Weltwirtschaft auch 2021 zugesetzt hat. Spitzenreiter bleiben die USA, andere Weltregionen legen weiter zu.

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F-16 Kampfflugzeug auf einem Rollfeld
F-16 Kampfflugzeug des US-Konzerns Lockheed Martin Bild: Robert Ghement/EPA/dpa/picture alliance

2021 war kein gutes Jahr für die Wirtschaft: fehlende Arbeitskräfte, gestörte Lieferketten und Waren, die verspätet oder gar nicht ans Ziel kamen. Schuld war, wie im Vorjahr, hauptsächlich die Corona-Pandemie.

Der Schwierigkeiten zum Trotz haben die 100 größten Rüstungsproduzenten 2021 zusammen 592 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Das bedeutet einen Anstieg um knapp zwei Prozent im Vergleich zum letzten Jahr. Der Löwenanteil entfällt dabei noch immer auf die USA. Gut die Hälfte des weltweiten Umsatzes generieren US-amerikanische Rüstungshersteller. Sie führen die Liste seit deren Entstehung 2015 an. Allerdings ging der Umsatz auf dem nordamerikanischen Markt 2021 leicht zurück. 

Xiao Liang ist einer der Autoren des SIPRI-Berichts 2022. Er sieht den Grund für den Rückgang in einer Art ‘Long-COVID' der Wirtschaft, die sich noch immer nicht erholt habe. "Die Probleme durch unterbrochene Lieferketten haben die US-Unternehmen mit am härtesten getroffen”, erklärt er im Interview mit der DW. "Hinzu kommt die hohe Inflation in den USA im Jahr 2021. Das sind die beiden Hauptgründe."

Europa rüstet weiter auf

Zugelegt hat der Umsatz im vergangenen Jahr hingegen in Europa - um 4,2 Prozent. Das war vor der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022

Patriot-System beim Abschuss
Auch Flugabwehr-Raketensysteme werden verstärkt geordertBild: Sebastian Apel/U.S. Department of Defense/AP Photo/picture alliance

Laut SIPRI-Bericht 2022 hat der Angriffskrieg die Nachfrage nach Waffen in Europa und den Vereinigten Staaten in die Höhe schnellen lassen. "Bei all den Waffen, die in die Ukraine geschickt werden, haben die USA und Europa viel von ihren Beständen verbraucht. Die müssen sie wieder auffüllen", analysiert Liang. "Wir sind uns sicher, dass es mehr Aufträge geben wird, aber es ist noch zu früh, um mit Sicherheit sagen zu können, ob sich dies bereits 2022 in höheren Einnahmen niederschlagen wird."

Aktuell rechnet allerdings allein der deutsche Hersteller Rheinmetall für seine Verteidigungssparte mit einem sprunghaften Anstieg des Auftragseingangs um 30-40 Prozent im Jahr 2023. Diese Prognose beruht auf der Notwendigkeit, die Bestände an gepanzerten Fahrzeugen, die in die Ukraine geliefert wurden, wieder aufzufüllen. An künftigen Aufträgen mangelt es also nicht, sondern eher an einer anderen Ressource.

Kritische Ressource: Zeit

Exemplarisch zeigt das der Auftrag der USA für Javelin-Panzerabwehrraketen. Bis Ende Oktober 2022 haben die USA 8500 solcher Raketen an die Ukraine geliefert, was einer Produktion von drei bis vier Jahren entspricht.

Soldatenhände mit einem Munionsgürtel
Munition - begehrtes Gut nicht erst zur Verteidigung der UkraineBild: Orlando Barria/Agencia EFE/imago

"Für die Unternehmen ist es also eine Herausforderung: Sie bekommen zwar mehr Aufträge, aber können sie da tatsächlich mithalten und alle Aufträge ausliefern?", so Liang. Je länger der Krieg andauert, desto drängender wird die Frage, wie viele Waffen die westlichen Länder in die Ukraine schicken werden. "Wir sehen, dass einige Länder bereits versuchen, dieses Gleichgewicht zu finden", meint Liang. "Es geht um die Abwägung zwischen dem eigenen Bedarf und der Unterstützung der Ukraine, aber gleichzeitig wissen wir, dass die Vorräte zur Neige gehen und sie aufholen müssen, um sie wieder aufzufüllen.”

Einige EU-Länder rüsten als eine Antwort auf Putins Angriffskrieg massiv auf. Polen will die Zahl seiner Soldaten innerhalb von fünf Jahren verdoppeln, Finnland stärkt seine Luftabwehr. Griechenland, Frankreich und Italien kaufen für Milliarden Euro neue Waffen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte kurz nach Kriegsbeginn 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt. 

Russische Unternehmen stagnieren

Und Russland selbst? Die russische Rüstungsindustrie hat im Jahr 2021 nur minimal zugelegt, allerdings ist das keine neue Entwicklung, meint Lang. Ein Grund dafür sei laut SIPRI-Bericht die Anweisung der russischen Regierung aus dem Jahr 2016 an den militärisch-industriellen Komplex, die zivile Produktion zu erhöhen. 

Panzer- und Militärfahrzeugmodelle bei einer Ausstellung
Chinesische Waffentechnik als Modell beim Army-2022 International Military-Technical Forum in Kubinka, RusslandBild: Vitaliy Belousov/SNA/imago

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine werde diesen Trend wahrscheinlich umkehren, da die Rüstungsunternehmen die Kriegsanstrengungen unterstützen müssten.

Aktuell mangelt es vor allem an Bauteilen zur Waffenherstellung. Die Wirtschaftssanktionen westlicher Staaten verhindern, dass Russland uneingeschränkt Chips und Halbleiter importieren kann. Diese werden für die Produktion aber dringend benötigt, unter anderem für die Herstellung von Raketen oder Panzern.

Tempomacher China und Naher Osten

Mit Blick auf Asien und den Nahen Osten fällt auf, dass im Nahen Osten das rascheste Wachstum zu verzeichnen ist. Die fünf hier ansässigen Unternehmen verzeichneten 2021 die höchste Wachstumsrate aller in den Top 100 vertretenen Regionen.

Ein fortlaufender Trend im asiatischen Raum ist, dass besonders China an Tempo vorlegt. Das Land hat sich über die letzten Jahre zum zweitgrößten Waffenproduzenten der Welt entwickelt, nur die USA produzieren aktuell mehr. Der Anstieg der Waffenverkäufe spiegelt das Ausmaß der Modernisierung der chinesischen Militärausrüstung und das Ziel des Landes wider, bei der Produktion aller wichtigen Waffenkategorien unabhängig zu werden. Zwischen 2017 und 2021 hatte China, ebenso wie Indien, Ägypten und Algerien, seine Waffen vor allem aus Russland bezogen.

Wie genau der Angriffskrieg in der Ukraine den Markt in dieser Hinsicht verändert, könne jetzt noch nicht gesagt werden, so der Co-Autor des SIPRI-Berichts Liang. Es gelte, vor allem die kommenden Umsatzzahlen im Blick zu behalten, denn der Krieg werde die Dynamik in den kommenden Jahren weiterhin beeinflussen.