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"Eine Gelegenheit - mehr nicht"

Kersten Knipp10. September 2016

Ab Montag sollen in Syrien die Waffen schweigen. So sieht es ein zwischen den USA und Russland ausgehandelter Plan vor. Der zeigt zugleich die neuen Prioritäten der USA in dem Konflikt.

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US-Außenminister John Kerry und der russische Außenminister Sergej Lawrow in Genf (Foto: picture alliance/ZUMA Press/State Department)
Bild: picture alliance/ZUMA Press/State Department

Laufen die Dinge tatsächlich wie verabredet, wird es in Syrien ab Montag eine siebentägige Feuerpause geben. Keine der im Land auf Seiten der USA oder Russlands kämpfenden Parteien darf dann mehr zu den Waffen greifen - auch das syrische Militär nicht. Die Ruhe soll zunächst dazu genutzt werden, humanitäre Hilfe in den von den Rebellen gehaltenen Gebieten zu leisten. Anschließend wollen die russischen und amerikanischen Militärs und Geheimdienste den Kampf gegen dschihadistische Gruppierungen aufnehmen.

Wird der Plan umgesetzt, wäre damit womöglich die Grundlage für eine weitergehende, vielleicht sogar endgültige Waffenruhe gelegt. Der US-amerikanische Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow nahmen bereits das kühne Wort von einem "Wendepunkt" in den Mund - um dann umgehend wieder zu relativieren. "Das ist eine Gelegenheit und mehr nicht", erklärten sie auf der Pressekonferenz.

Gegenseitiges Misstrauen

Tatsächlich steht die Verabredung auf wackeligem Grund. "Wir haben unsere Vereinbarung nicht auf Vertrauen gegründet, sondern auf Analyse und Selbstverpflichtung." So umriss US-Außenminister Kerry die Vereinbarung - und damit zugleich die derzeit höchst schwierigen Beziehungen der beiden Länder. Mehrere Monate hatte man vergeblich miteinander gesprochen. Der letzte Versuch vom Februar dieses Jahres, die Waffen in dem kriegsgeplagten Land zum Schweigen zu bringen, war schon nach wenigen Tagen wieder gescheitert.

Auch die Gespräche der letzten Zeit waren lange Zeit kaum vorangekommen. Noch auf dem jüngsten G-20 Gipfel in China waren sich US-Präsident Obama und sein russischer Amtskollege Putin hinsichtlich Syrien nur darin einig, dass sie uneinig seien. Der Grund dafür, hatte US-Präsident Obama erklärt, liege im gegenseitigen "Misstrauen" der beiden Gesprächspartner.

Syrien Idlib - Zerstörung nach Luftangriff (Foto: dpa)
Zerstörungswerk: Idlib nach einem LuftangriffBild: picture-alliance/abaca/H. Kadour

Daraufhin hatten die Außenminister der beiden Länder sich in Genf zu einem weiteren Einigungsversuch aufgerafft - und nun, nach langen, über 13 Stunden sich ziehenden Verhandlungen, womöglich eine Lösung gefunden. Was sie verbinde und nun zur Einigung getrieben habe, schrieb die New York Times, sei die von beiden geteilte "Antipathie" gegen die in Syrien sich tummelnden Dschihadisten.

Ehrgeizige Ziele

Diese gemeinsame Abneigung hat zumindest auf dem Papier zu ehrgeizigen Zielen geführt: Russland und die USA wollen ein gemeinsames Zentrum aufbauen, in dem sie Daten über mögliche Ziele austauschen und die Bombardements von Stellungen der Nusra-Front und des so genannten "Islamischen Staates" (IS) koordinieren.

Diese Strategie ist aber insbesondere unter amerikanischen Militärs umstritten. Sie sehen die Zusammenarbeit auch mit Blick auf andere Konfliktfelder. "Vertreter des Pentagon", schreibt die New York Times, "sorgen sich etwa, dass Russland die Daten über mögliche Ziele auch als Gelegenheit nehmen könnte, mehr darüber zu erfahren, wie die Amerikaner Ziele identifizieren und angreifen - und das zu einem Zeitpunkt, da die Streitkräfte beider Staaten sich rund um Europa immer näher kommen."

Absprachen mit den Verbündeten

Dennoch drängt der Kampf gegen den IS. Der allerdings stellt die beiden Großmächte vor ein Dilemma: Jeder Angriff gegen von Dschihadisten oft und ganz bewusst in dicht besiedelten Wohnvierteln installierte Stellungen, bei dem auch Zivilisten sterben, birgt das Risiko, den Extremisten weitere Sympathisanten in die Arme zu treiben.

Ein Mann trägt ein Knind im zerstörten Aleppo (Foto: Reuters/A. Ismail)
Überlebenskampf: Zivilisten in AleppoBild: Reuters/A. Ismail

Auch aus diesem Grund sieht der Plan vor, dass die beiden Länder ihre jeweiligen Verbündeten davon abhalten sollten, ihrerseits weiter in den Krieg einzugreifen. So hat Russland das Regime von Präsident Baschar al-Assad davon überzeugt, keine Luftangriffe gegen von dschihadistischen und anderen oppositionellen Verbänden gehaltene Gebiete zu fliegen. Zwischen beiden, den religiös-extremistischen und den säkularen Gruppen, macht das Regime keinen Unterschied.

Umgekehrt versuchen die Amerikaner die mit ihnen verbündeten syrischen Gruppen dazu zu bewegen, sich von den dschihadistischen Gruppen zu distanzieren. Diese Maßnahme dient nicht zuletzt auch dazu, dem Assad-Regime die Legitimation für seine Angriffe weiter zu nehmen. Der Kampf gegen die von ihm unterschiedslos als "Terroristen" bezeichneten Gruppen hat viele syrische Zivilisten das Leben gekostet. Inzwischen gehen die USA von knapp einer halben Millionen Toten seit Beginn des Krieges aus.

"Wenn Gruppen innerhalb der Opposition ihre legitime Rolle beibehalten wollen", erklärte darum US-Außenminister Kerry, "dann müssen sie sich mit allen erdenklichen Mitteln von der Nusra-Front und auch dem IS distanzieren." Das heißt aber auch: Tun sie das nicht, müssen sie ihrerseits mit Angriffen Russlands und der USA rechnen.

Syrische Flüchtlinge kehren aus der Türkei in ihre Heimat zurück (Foto:picture-alliance/Abaca)
Hoffnung: Syrische Flüchtlinge kehren aus der Türkei in ihre Heimat zurückBild: picture-alliance/Abaca

Assads erfolgreiches Kalkül

Letztlich dokumentiert die nun vereinbarte Strategie den nun offenbar endgültigen Kurswechsel der USA: Vornehmstes Ziel ist für sie nicht mehr, Präsident Assad zum Rücktritt zu zwingen. Als bedeutender schätzen sie nun den Kampf gegen die Dschihadisten ein. Dies wohl auch unter dem Eindruck des Umstandes, dass einige der in Europa begangenen dschihadistischen Anschläge von Syrien aus geplant und koordiniert wurden. Dergleichen wollen Kerry und Lawrow für ihre Länder ganz offenbar unterbinden.

Das heißt aber auch: Assads Kalkül ist aufgegangen. Er entließ zu Beginn des Krieges die Dschihadisten aus den syrischen Gefängnissen - in der zutreffenden Annahme, sie würden im In- und Ausland einen solchen Terror entfachen, dass sich die Aufmerksamkeit der Welt zunehmend auf sie richten würde - und damit weg von seinem Regime. Das ist nun der Fall. Der Kampf geht weiter. Und Assad bleibt, jedenfalls fürs erste, weiter an der Macht.