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Wahlen in Aserbaidschan: Alijew ohne Alternative

Nika Musavi
7. Februar 2024

In Aserbaidschan finden vorgezogene Präsidentschaftswahlen statt. Konkurrenz muss Langzeitherrscher Ilham Alijew nicht fürchten. Nach dem Sieg im Konflikt über Berg-Karabach sitzt er noch fester im Sattel als ohnehin.

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Präsident Ilham Alijew bei der Stimmabgabe in einem Wahllokal
Seit 20 Jahren an der Macht: Präsident Ilham Alijew bei der Stimmabgabe Bild: Azerbaijani presidency/AFP

In Aserbaidschan finden vorgezogene Präsidentschaftswahlen statt, bei denen der jetzige Präsident Ilham Alijew aller Voraussicht nach für eine fünfte Amtszeit bestätigt wird. Alijew selbst hatte die Vorverlegung des Wahltermins um eineinhalb Jahre verkündet. 20 Jahre, sagte er, sei er nun schon Staatschef seines Landes. Nun sei es Zeit für eine Bilanz. Mit der vollständigen Rückkehr Berg-Karabachs unter aserbaidschanische Kontrolle habe 2023 eine "neue Ära" begonnen.

Alijew kann den Wahlen gelassen entgegensehen. Konkurrenten gibt es praktisch keine. Außer ihm wurden lediglich sechs kaum bekannte, regierungsnahe Politiker als Kandidaten zugelassen, die bei allen bisherigen Wahlen nie mehr als sieben bis acht Prozent der Stimmen erhielten. Die Opposition boykottiert die Wahlen mit der Begründung, es bestehe keine Hoffnung, dass sie demokratisch ablaufen. Außerdem habe man zu wenig Zeit bekommen, um sich auf sie vorzubereiten.

Armenien Geflüchtete Berg-Karabach Aserbaidschan
Über 80.000 Bewohner Berg-Karabachs mussten 2023 vor den aserbaidschanischen Truppen nach Armenien fliehenBild: SIRANUSH ADAMYAN/AFP/Getty Images

Das aserbaidschanische "Zentrum für Wahlbeobachtung und Demokratiestudien" (Election Monitoring and Democracy Studies Center) bemängelte in einem Bericht, dass das Vorziehen der Wahlen interessierten Parteien eine Teilnahme erschwere. "Die Wahlkommissionen sind alle weiter unter der Kontrolle der Regierung", kritisiert der Leiter des Zentrums, der Menschenrechtsaktivist Anar Mammadli, obwohl auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereits eine Neuzusammensetzung angemahnt habe.

Wahl ohne Auswahl

Viele in Aserbaidschan und darüber hinaus glauben, dass schon der aserbaidschanische Sieg im Berg-Karabach-Krieg im Jahr 2020 Alijews Position erheblich gestärkt hat. "Das Karabach-Problem beherrschte 30 Jahre lang den politischen Diskurs Aserbaidschans und schien unlösbar. Aber Ilham Alijew hat es gelöst," sagt der aserbaidschanische Politikwissenschaftler Ilgar Welisade. "Dies wird als seinen historischen Verdienst betrachtet und wirkt sich auch auf das Wahlverhalten der Bürger aus." 

Dem Leiter des aserbaidschanischen "Instituts für politisches Management", Azer Gasimli, zufolge sei die Euphorie über den Sieg bereits verflogen. Soziale und ökonomische Probleme würden fortbestehen. "Es wurden Gesetze verabschiedet, die die Aktivitäten demokratischer Institutionen einschränken. Die Grenzen sind immer noch geschlossen, angeblich wegen COVID. 2023 war das Wirtschaftswachstum mit 0,5 Prozent das niedrigste im postsowjetischen Raum, und für 2024 sagen unabhängige Experten eine Rezession voraus. Zudem besteht eine große Diskrepanz zwischen der Hauptstadt und den Regionen, obwohl in den letzten zehn Jahren Dutzende Milliarden Petrodollars für regionale Entwicklungsprojekte ausgegeben wurden", sagt Gasimli.

Ihm zufolge gibt es in Aserbaidschan keine unabhängigen Institutionen, die mit Umfragen ein wahres Meinungsbild wiedergeben können. "Allein die Tatsache, dass vorgezogene Wahlen ohne einen echten Wettbewerb abgehalten werden, zeigt, dass sich an der politischen Selbsteinschätzung des Präsidenten nach dem Karabach-Krieg nicht viel geändert hat", so der Experte.

Imitation von Demokratie plus Unterdrückung

Gasimli beschreibt Alijews bisherige Herrschaft mit den Worten "Imitation und Unterdrückung": "Einerseits imitiert er eine Demokratie und laviert zwischen den Interessen des Westens und Russlands, andererseits verfolgt er eine harte, autoritäre und repressive Politik." Dabei habe sich Alijews Politikstil in den letzten 20 Jahren verändert, meint Ilgar Welisade: "Hörte er früher sorgfältig auf die Meinungen und Ratschläge verschiedener internationaler Organisationen, so handelt er jetzt entschlossener und eigenständiger. Er konzentriert sich auf die langfristigen strategischen Interessen des Landes."

Stimmabgabe bei der Präsidentschaftswahl in Aserbaidschan am 7. Februar: Ein Wähler wirft ein Wahlzettel in die Wahlurne
Über sechs Millionen Wahlberechtigte in Aserbaidschan sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.Bild: Vladimir Smirnov/TASS/IMAGO

Eine dieser Organisationen ist die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE). In einer Resolution vom Oktober 2023 verurteilte sie die Umsiedlung von Armeniern aus Berg-Karabach, was die Beziehungen zwischen der PACE und Aserbaidschan verschlechterte. Die PACE erklärte, sie habe "ernsthafte Bedenken", was die Fähigkeit Bakus angeht, freie und faire Wahlen abzuhalten. Dass Aserbaidschan der PACE keine Beobachtung der Wahlen gestattete, ist auch einer der Gründe, warum die aserbaidschanische Delegation mittlerweile aus dieser Organisation ausgeschlossen wurde. Deren Leiter Samed Seidow warf seinerseits dem Westen Einmischung und anti-aserbaidschanische Stimmungsmache vor. Daher werden die Wahlen nur von Vertretern der Organisation Türkischer Staaten (OTS), der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) beobachtet.

Annäherung oder Distanz zum Westen?

Ilgar Welisade rechnet damit, dass Baku wie bisher versuchen wird, ein Gleichgewicht in den Beziehungen zu Moskau und Teheran zu wahren, gleichzeitig aber engere Kontakte zu den Ländern Zentralasiens zu knüpfen, um ein Bindeglied zwischen ihnen und Europa zu werden. Und Europa selbst wird, wie Welisade hofft, irgendwann "Frieden" mit Aserbaidschan schließen, und sei es nur aus Gründen der regionalen Sicherheit.

Der im Exil lebende Politikexperte Rauf Mirkadyrow geht davon aus, dass Aserbaidschan nach den Wahlen eine Annäherung an den Westen anstreben und die ins Stocken geratenen Friedensverhandlungen mit Armenien wieder aufnehmen wird.

Azer Gasimli hingegen meint, Ilham Alijew habe seine geopolitische Entscheidung zugunsten Russlands bereits getroffen: "Ich erwarte in naher Zukunft eine Fortsetzung der Integrationsprozesse mit der Russischen Föderation und im Gegensatz dazu eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zum Westen." Gleichzeitig räumt Gasimli ein, dass die Lage im postsowjetischen Raum heute sehr instabil sei und beispielsweise Erfolge der Ukraine im Krieg mit Russland Alijews prorussische Politik beeinflussen könnten.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk