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PolitikTürkei

Wahlen in der Türkei: Wer sind Erdogans Verbündete?

24. März 2023

Trotz des verheerenden Erdbebens von Anfang Februar hält die Türkei daran fest, am 14. Mai Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Doch Präsident Erdogans Macht bröckelt. Wer steht ihm noch zur Seite?

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Türkei Ankara | Präsident Recep Tayyip Erdogan unterschreibt Dekret zum neuen Wahltermin im Mai
Will die Wahlen trotz Erdbebens nicht verschieben - der türkische Staatspräsident Recep Tayyip ErdoganBild: Burhan Ozbilici/AP Photo/picture alliance

Sie sind klein, könnten aber in einem engen Wahlrennen zum Zünglein an der Waage werden. Das wissen sie genau - und machen es sich zu Nutze. Islamistische Splitterparteien sehen sich in der Türkei im Aufwind - vor allem die "Neue Wohlfahrtspartei" und "HÜDA PAR". Umfragen zufolge liegen beide Parteien zusammen derzeit bei einem Stimmenanteil von rund zwei Prozent. Doch nun boten beide Erdogans Wahlbündnis ihre Unterstützung an - unter der Bedingung, dass er ihnen die Abschaffung des Gesetzes 6284 zusichert.

Eine Bedingung, die in der Türkei für einen Aufschrei der Empörung sorgte. Denn das Gesetz 6284 verpflichtet den Staat, Frauen vor Gewalt zu schützen, und ihnen notfalls auch Anonymität zuzusichern. Mindestens 234 Frauen wurden alleine im Jahr 2022 Opfer von Femiziden. Zudem zählte die Plattform "Wir werden Frauenmorde stoppen" 245 weitere Verdachtsfälle hinzu. Gewalt gegen Frauen – ein sehr ernsthaftes Problem im Land.

Im Bild ein Plakat der Frauenorganisation, darauf steht: Das Gesetz 6284 umsetzen!
Das Gesetz 6284 verpflichtet den Staat, Frauen vor Gewalt zu schützen.Bild: Serra Akcan

Unterstützung wäre teuer erkauft

Gesetze zum Schutz von Frauen sind vielen islamistischen Parteien und Gemeinden seit langem ein Dorn im Auge. Solche Gesetze, behaupten sie, führten zum Anstieg der Scheidungsraten in der Türkei und seien Ausdruck westlicher Einmischungen in muslimisch-türkische Familienstrukturen. Seit Jahren entfachen Islamisten immer wieder Kampagnen etwa gegen Unterhaltszahlungen an Frauen. Und bei jeder Gelegenheit erhöhen sie den Druck auf die AKP-Regierung, derartige bereits bestehende Gesetze rückgängig zu machen. Auf ihre Bedrängnis hin hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor zwei Jahren die internationale Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt aufgekündigt.

Nun wittern diese Parteien erneut Morgenluft. Denn kurz vor den Wahlen zeigen Meinungsumfragen, dass die Regierungsallianz an Zuspruch verliert. Auch Erdogan als Präsidentschaftskandidat liegt Umfragen zufolge hinter seinem Rivalen. Nun versucht er neue Verbündete zu gewinnen. Und die nutzen die Gunst der Stunde und stellen Forderungen wie die Abschaffung des Gesetzes 6284.

Aber die Empörung auch unter vielen weiblichen AKP-Mitgliedern war so groß, dass bisher keine Übereinkunft zustande kam. Vielleicht spielt auch die Angst, weibliche Wählerstimmen zu verlieren, eine Rolle. Denn gerade unter eher konservativen Frauen findet die AKP noch immer großen Zuspruch.

Wer sind Erdogans Verbündete?

Zu Erdogans Wahlbündnis gehören neben der islamisch-konservativen AKP bislang auch die ultranationalistischen Parteien MHP und BBP. Sie stammen beide aus der "Ülkücü-Bewegung", die in Deutschland besser bekannt ist als rechtsextreme Graue Wölfe.

Präsident Erdogan (li.) schüttelt die Hand von Devlet Bahceli, Chef der rechtsextremen Partei MHP, laut BfV Urorganisation der Grauen Wölfe
Präsident Erdogan mit Devlet Bahceli, dem Chef der rechtsextremen Partei MHPBild: DHA

Die Grauen Wölfe werden laut Verfassungsschutzbehörden als extrem nationalistisch, antisemitisch und rassistisch eingestuft. Zu ihren Feindbildern gehören vor allem Kurden, Juden, Armenier und Christen, denn sie sind fest von der Überlegenheit der türkischen Nation überzeugt. Daher verfolgen sie laut Behörden das Ziel, einen homogenen Staat aller Turkvölker unter der Führung von Türken vom Balkan bis Westchina einzurichten. "Dieses Weltbild der Grauen Wölfe verstößt gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz", teilt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf Anfrage der DW mit.

Laut BfV ist Erdogans größter Partner MHP die Urorganisation der Grauen Wölfe. Ihre Interessen vertrete die Föderation der Türkisch Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V., kurz ADÜTDF. Mit 7000 Mitgliedern sei er der größte Dachverband innerhalb der Grauen Wölfe. Seit Jahren wird er von Verfassungsschutzbehörden beobachtet.

Auch der andere Partner von Erdogan, die Partei der Großen Einheit, kurz BBP, stammt aus der Ideologie der Grauen Wölfe. Für sie ist der Islam ein wichtiges Element der türkischen Identität. Der BBP werden in der Türkei viele politischen Morde zugeschrieben. Ihre Mitglieder sollen unter anderem auch in die Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink verwickelt gewesen sein. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz ist die Föderation der Weltordnung in Europa (ANF) die Europaorganisation der BBP. Auch die ANF wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

Bei den Präsidentschaftswahlen, bislang aber noch nicht bei den Parlamentswahlen unterstützt wird Erdogan außerdem von der islamistischen Partei HÜDA PAR, die laut Landesamt für Verfassungsschutz NRW zur Türkischen Hizbullah (TH) nahesteht. Die Türkische Hizbullah hat vor allem in den 1990er Jahren in Anatolien viele Menschenrechtler, Geschäftsleute und Politiker ermordet. In Deutschland hat sie laut Behörden 400 Mitglieder und wird ebenfalls beobachtet.

Außerparlamentarische Unterstützung von Gemeinden

Die aktuellen Umfragen sagen nun ein knappes Rennen zwischen dem Regierungsbündnis und der Oppositionsallianz voraus. Während seiner Zeit hat Erdogan einen großen Machtapparat aufgebaut. Durch staatliche Aufträge, Vetternwirtschaft und Korruption hat er auch seine eigene Elite geschaffen. Den muslimischen Orden gewährte er zahlreiche Privilegien. Eine Niederlage bei den anstehen Wahlen bedeutet also für diese Verlust an Einfluss und Reichtum. Zuletzt gab daher auch Menzil, der mitgliederstärkste orthodoxe Sufi-Orden der Türkei, seine Unterstützung für Erdogans Bündnis bekannt.

Im Foto ist der Präsidentschaftskandidat der türkischen Oppositionsallianz Kemal Kilicdaroglu in der Mitte. Rechts und links von ihm die Oberbürgermeister von Istanbul und Ankara. Rechts die Ehefrau von Kilicdaroglu.
Kemal Kilicdaroglu ist der Präsidentschaftskandidat der Oppositionsallianz.Bild: Alp Eren Kaya/Republican People's Party/Handout/REUTERS

Für Türkei-Kenner Thomas Schmidinger ist diese Ankündigung keine Überraschung, denn Erdogans Wahlbündnis sei eine Kombination aus politischem Islam und Ultranationalismus. "Vor allem Menzil hat schon seit dem Putschversuch 2016 die Gülen-Bewegung als eines der wichtigsten religiösen Netzwerke der AKP abgelöst", sagt er. Seiner Meinung nach ist es nun logisch, dass der Orden nun versuche, seine neu gewonnenen Privilegien durch die AKP zu verteidigen.

Die türkische Regierung hatte 2016 die Gülen-Bewegung zur Terrororganisation erklärt. Erdogan vermutet den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen hinter dem Putschversuch am 15. Juli 2016. Zuvor war die Gülen-Bewegung seit Erdogans Machtübernahme 2002 immer eine wichtige Stütze der AKP gewesen. 

Kommt das Ende der Ära Erdogan?

Wenn Erdogan und sein Wahlbündnis noch einmal gewinnen sollten, erwartet der Wiener Politikwissenschaftler Schmidinger zunächst keine politischen Veränderungen. Erdogan werde weiterhin eine aggressive Außenpolitik zur Kompensation innenpolitischer Probleme verfolgen.

Allerdings hält auch Schmidinger einen Wahlsieg des Regierungswahlbündnisses nach heutiger Sicht für unwahrscheinlich. Wegen des Versagens in der Wirtschaftspolitik und des schlechten Krisenmanagements nach den großen Erdbeben im Februar habe das von der AKP geführte Bündnis keine Mehrheit mehr hinter sich. "Und Wahlen lassen sich auch in der Türkei nur bis zu einem bestimmten Grad fälschen", fügt er hinzu und erinnert an die Manipulationsvorwürfe aus den vergangenen Jahren.

Würde Erdogan bei einer Niederlage das Feld freiwillig räumen? Schmidinger hat seine Zweifel. Denn er sagt, dass der türkische Staat weitgehend von Gefolgsleuten von Erdogan kontrolliert wird. Außerdem gebe es seit dem Putschversuch sehr viele Waffen in den Händen seiner Anhänger, die auch bewaffnete Auseinandersetzungen möglich machen könnten. Völlig reibungslos, glaubt Schmidinger, würde ein Regimewechsel damit auch bei einer verlorenen Wahl nicht verlaufen.

Elmas Topcu | Journalistin
Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas