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Zur Not Macron

Julia Hitz
25. April 2022

In seiner zweiten und letzten Amtszeit muss Emmanuel Macron gegen Rechtsextremismus und Revolution ankämpfen. Bisher habe der französische Präsident seine Versprechen nicht eingelöst, sagen Kulturschaffende.

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Ein Wahlplakat zeigt ein abgerissenes Plakat, das für Macron als Frankreichs Präsidenten wirbt.
Angekratztes Image: Große Teile der französischen Bevölkerung fühlen sich von Macron nicht repräsentiertBild: Yves Herman/REUTERS

Das große Jubeln ist ausgeblieben, auch wenn die Seufzer der Erleichterung europaweit zu hören waren: Mit 58 Prozent hat sich Amtsinhaber Emmanuel Macron eine zweite - und letzte - Amtszeit als französischer Präsident gesichert. Doch in den nächsten fünf Jahren wird ihm ein rauer Wind entgegenwehen: von enttäuschten Mélanchon-Wählern, desillusionierten Jugendlichen und wütenden Le Pen-Befürwortern.

Macron: das kleinere Übel

Die großen Fragen der Zeit - Umweltschutz, Klimakrise, Bildungspolitik, Wohlstandsverteilung - halten viele für nicht beantwortet. Rund 500 Kulturschaffende hatten sich in der Stichwahl öffentlich dem Votum für Macron angeschlossen - dies aber in erster Linie, um eine Präsidentin Le Pen zu verhindern, die Frankreich politisch weit nach rechts gerückt hätte. Das kommentierte auch die satirische ZDF heute-Show auf Twitter:

Der Filmemacher Frank Cassenti, der im Süden Frankreichs wohnt, sieht das ähnlich. "Ich bin überhaupt nicht glücklich mit dem Wahlausgang", sagt Cassenti gegenüber der DW. "Das war keine echte Wahl für mich, weder für den einen, noch für die andere, auf keinen Fall für Le Pen". Er ist schockiert über den Zustand seines Heimatlandes, über die hohen Zahlen für den Rassemblement National. "Über 40 Prozent haben für solch rückständige Ideen votiert."

Macron als Wegbereiter Le Pens?

Cassenti hat als junger Mann den Algerienkrieg erlebt, er sieht Marine Le Pen in direkter Tradition ihres Vaters Jean-Marie Le Pen. Aus seiner Sicht haben vergangene - gemäßigte - Präsidentschaftskandidaten das "rechte Monster" selbst heraufbeschworen, indem sie es zwar als Schreckgespenst stilisiert, aber eben nicht entschieden dagegen agiert haben: "Der Stimmanteil der extremen Rechten steigt seit Jahren kontinuierlich. Wenn es so weitergeht, mathematisch gesehen, werden sie beim nächsten Mal gewinnen, wenn wir jetzt nichts tun."

Wahlplakat-Collage von Emmanuel Macron und Marine Le Pen
Frankreich ist im Jahr 2022 ein gespaltenes Land.Bild: Patrick Batard/abaca/picture alliance

Noch kritischer sieht die französische Soziologin und Autorin Kaoutar Harchi die letzten fünf Jahre des Präsidenten: "Die Politik von Emmanuel Macron war keine Sperre, sie war eher eine Art Rolltreppe für die Ideen der Rechtsextremen." Indem er auf ihre Debatten eingegangen sei, habe er sie legitimiert - sowohl die Positionen Marine Le Pens als auch die Haltungen des nationalistischen Lagers, argumentiert Harchi.

"Wir sind geteilt zwischen zwei Gefühlen: Auf der einen Seite ist die Wut, Erschöpfung und Müdigkeit über diese stetige Wiederkehr. Doch da ist auch eine gewisse Hoffnung und Erwartung: Dass eine andere Gesellschaft möglich ist, eine andere Gesellschaftsordnung, ein anderes Frankreich." Für Kaoutar Harchi ist diese andere Gesellschaft aber erst in einer Zeit nach Macron realisierbar.

Kritik an Macrons Kulturpolitik

Die kulturpolitischen Errungenschaften Macrons wurden im Wahlkampf vielerorts kritisiert - etwa der von ihm eingeführte "Pass Culturel", der seit Januar 2022 erhältlich ist: Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren bekommen, zeitlich begrenzt auf zwei Jahre, eine Art Gutschein in Höhe von 300 Euro für kulturelle Angebote.

Macron hält sich bei der Siegesfeier in Paris die Hände vors Gesicht.
Macron hat es geschafft - und sehr viel zu tun.Bild: Christophe Ena/AP Photo/picture alliance

"Diese Vermarktung ist genau das Problem, so etwas kann doch nur einem Banker einfallen", findet Frank Cassenti. "Gleichzeitig haben wir keine Musikinstrumente an den Schulen, nur diese kleinen Flöten. Er sollte stattdessen jede Schule wieder mit einem Klavier ausstatten. Man müsste die Schulen öffnen - für die Tanzschulen, für das Theater. Dann würden die jungen Menschen mit ihren Eltern auch wieder über Kultur sprechen."

Europäische Kulturschaffende feiern Niederlage Le Pens

Der lettische Drehbuchautor, Journalist und Schriftsteller Michael Idov, der unter anderem gemeinsam mit Kirill Serebrennikov das Skript zum Film "Leto" mitverfasste und heute in Berlin lebt, setzte einen Tweet über "Putins strategisches Genie" ab: 

"Muss schön sein, in einer Demokratie zu leben" kommentierte die amerikanisch-russische Journalistin Julia Loffe auf Twitter. Die Autorin des bald erscheinenden Buchs "Russia Girl: Memoirs of a Russian Soul" ist eine scharfe Kritikerin des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Auch deutsche Kommentatoren drücken ihre Erleichterung humoristisch aus:

Frank Cassenti hofft nun darauf, dass sich die linken Parteien in Frankreich zusammenraufen - und die Parlamentswahlen für sich entscheiden. Und vielleicht könne sich ja auch Macron noch ändern - jetzt, wo keine weitere Wiederwahl mehr ansteht.

Kultur als "Bastion gegen Aufklärungsfeindlichkeit"

Aus Sicht des Filmemachers ist die Kultur ein wichtiger Weg, um die gesellschaftlichen Gräben, die sich in den letzten Jahren immer deutlicher auftun, zu überwinden: "Die Kultur ist die erste und letzte Bastion gegen diese Aufklärungsfeindlichkeit. Daran glaube ich, dafür kämpfe ich." Allerdings sei das ein weiter Weg - und der müsse jetzt beginnen.