Wahlen in Rumänien: Aufwind für rechte Parteien
24. November 2024Im EU-Mitgliedsstaat Rumänien hat an diesem Sonntag die erste Runde einer womöglich richtungsweisenden Präsidentschaftswahl begonnen. Insgesamt 13 Kandidaten bewerben sich um die Nachfolge des deutschstämmigen Präsidenten Klaus Iohannis, der seit 2014 Staatschef in dem Nachbarland der Ukraine ist und eine weitgehend repräsentative Funktion eingenommen hat.
Favorit ist in den Umfragen Marcel Ciolacu, Regierungschef von der Sozialdemokratischen Partei, die 30 Jahre lang die Politik in dem Land dominierte. Der rechtspopulistische Kandidat George Simion, ein erklärter Anhänger des designierten US-Präsidenten Donald Trump, könnte angesichts der gesellschaftlichen Spannungen in dem Land einen Erfolg erzielen und in die Stichwahl einziehen.
EU-Außengrenze zur Ukraine
Um Rumänien war es in den vergangenen Jahren in Europa politisch immer stiller geworden. Dabei ist das Land, gemessen an seiner Bevölkerung, das sechstgrößte der Europäischen Union.
Und es hat, gelegen an der Südostflanke von EU und NATO, eine immense strategische Bedeutung. Beispiel Russland- und Ukraine-Politik: Rumänien hat mit Abstand die längste Grenze eines EU-Landes mit der angegriffenen Ukraine. Es ist zugleich der wichtigste Stützpunkt für US- und andere NATO-Streitkräfte in Südosteuropa.
Und es erlebt militärische Gefahren wie kein anderes EU-Land: Regelmäßig explodieren russische Shahed-Drohnen über oder auf rumänischem Territorium. Im Donaudelta ließ die Bukarester Regierung 2023 gar Luftschutzbunker für Anwohner bauen.
Schweigen und regieren
Doch anders als Polen oder die baltischen Staaten macht sich Rumänien in Debatten zum Umgang mit Russland und zur Unterstützung der Ukraine verbal kaum bemerkbar. Die weitgehende Stille in dieser wie auch in anderen wichtigen politischen Fragen geht auf den seit zehn Jahren amtierenden Staatspräsidenten Klaus Johanniszurück.
Johannis hat Schweigen und Abwesenheit in der Innen- wie der Außenpolitik zu seinem Markenzeichen gemacht - und dies in einem Land, in dem der Präsident qua Verfassung ein wichtiger außenpolitischer Akteur ist und innenpolitisch als wichtigste Stimme des Staates gilt.
Ausgerechnet vor dem Hintergrund dieses Vakuums finden in Rumänien nun Wahlen statt. Auftakt des Wahlmarathons bilden die erste Runde der Präsidentschaftswahlen an diesem Sonntag (24.11.). Es folgen Parlamentswahlen am 1. Dezember, und am 8. Dezember die Stichwahl um das Präsidentenamt, falls in der ersten Runde, wie erwartet, keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit erreicht.
Nationalistische Kräfte im Aufwind
Klaus Johannis darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren. Er genießt ohnehin kaum noch politische und gesellschaftliche Unterstützung. Vor zehn Jahren war er mit dem großen Versprechen angetreten, tiefgreifende Reformen anzustoßen und den Staat von Übeln wie Korruption zu befreien.
Doch der deutschstämmige Johannis, ehemals erfolgreicher Bürgermeister im beschaulichen siebenbürgischen Hermannstadt (Sibiu), fand sich im Präsidentenamt und im Bukarester Politdschungel nie zurecht und versank bald in Passivität. Es ist zu einem beträchtlichen Teil diese Bilanz, vor deren Hintergrund nun nationalistische und reformfeindliche Kräfte erstarkt sind.
Favorit in der Präsidentschaftswahl ist der amtierende Premierminister Marcel Ciolacu von der Sozialdemokratischen Partei (PSD). Die PSD war 1990, damals noch unter anderem Namen, ein Sammelbecken für die Kader des gestürzten Ceausescu-Regimes.
Die Partei dominiert Rumäniens politisches Leben seit dreieinhalb Jahrzehnten und ist damit die einzige Nachfolgepartei in den Ländern des ehemaligen Ostblocks, die nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist.
Premier mit Korruptionsaffären
Anders als ihr Name sagt, ist die PSD nicht sozialdemokratisch orientiert, sondern vertritt zumeist rechtspopulistische und nationalistische Positionen, die sich mit linker Sozialrethorik vermischen. Für viele urbane Rumänen ist die PSD der Inbegriff von Korruption und korrupter Netzwerke im postkommunistischen Staat. In ländlichen Regionen im Osten und Süden Rumäniens stellt die PSD jedoch ungebrochen die führende politische Kraft dar.
Der Premier Ciolacu, der in Umfragen für die Präsidentschaftswahl auf rund 24 Prozent kommt, ist selbst ein Urgestein der Partei und hat sich vom Provinzpolitiker Anfang der 1990er Jahre bis zu einem führenden PSD-Funktionär hochgearbeitet.
Ciolacu vertritt den konservativ-nationalistischen Flügel der Partei und machte mehrfach mit mutmaßlichen Korruptionsaffären von sich reden, aktuell unter anderem mit der Affäre um eine Luxusreise. Für viele Rumänen verkörpert er jedoch den Typ des berechenbaren, Stabilität und Ruhe garantierenden PSD-Durchschnittspolitikers, der trotz möglicher Korruptionsaffären auch die "kleinen Leute" nicht vergisst.
Sollte Ciolacu Präsident werden, ist nicht mit einer antieuropäischen Wende wie in Orbans Ungarn zu rechnen, sondern eher damit, dass Rumänien nach außen hin treuer Bündnispartner in der EU und der NATO bleibt, im Innern jedoch notwendige Justiz- und Antikorruptionsreformen gestoppt werden.
Kandidat Moskaus?
Anders sieht es im Fall eines Mannes aus, der in Umfragen rund 15 Prozent erreicht: George Simion, Chef der Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR). Simion ist Ultranationalist und Antieuropäer, allerdings hat er kaum etwas mit den vergangenen beiden Generationen rumänischer Nationalisten gemein, die stark in der Vergangenheit verhaftet waren.
Simion hat sich viel von Politikern wie Donald Trump und Viktor Orban abgeschaut und ist vor allem durch Social-Media-Aktivitäten zu Bekanntheit gelangt. In der Republik Moldau und der Ukraine hat er Einreiseverbot, weil er Teile der Territorien beider Länder für Rumänien beansprucht. Simion steht im Verdacht, Verbindungen zu russischen Geheimdiensten zu haben, Beweise gibt es dafür aber nicht.
Mit Simion um den zweiten Platz konkurriert Elena Lasconi, die Vorsitzende der liberalen Partei Union Rettet Rumänien (USR), die in Umfragen ebenfalls um die 15 Prozent erreicht. Die ehemalige Star-Journalistin und Moderatorin eines privaten TV-Senders stieg vor einigen Jahren in die Politik ein und wurde Bürgermeisterin der südrumänischen Kleinstadt Campulung.
Politischer Spagat und Familiendrama
Ihre Partei, die USR, etablierte sich vor rund einem Jahrzehnt als Anti-Korruptions- und Bürgerbewegung und stand für progressiv-liberale Politik. Seit einigen Jahren ist die USR jedoch in die Niederungen der Parteipolitik und wiederkehrende Richtungsstreits verstrickt. Eine nach der Wahl 2020 gebildete Regierungskoalition mit der Nationalliberalen Partei (PNL) und der Partei der ungarischen Minderheit UDMR verließ die USR im Streit um Justizreformen nach nur zehn Monaten.
Elena Lasconi spiegelt in ihrem Politikstil und ihrem Wahlkampf die Probleme der USR wider. Sie versucht, einen Spagat zwischen progressiver Politik und vermeintlicher Bürgernähe.
Vor einigen Jahren stimmte sie in einem von der orthodoxen Kirche initiierten Referendum gegen die Homoehe und provozierte damit einen öffentlich ausgetragenen Familienkonflikt, da ihre Tochter sich als "Teil der LGBTQ-Gemeinschaft" deklariert.
Inzwischen spricht sich Elena Lasconi für eingetragene Partnerschaften queerer Menschen aus, ist aber weiterhin gegen die Homoehe. Bei Auftritten trägt sie bevorzugt demonstrativ ein großes christliches Kreuz um den Hals und Kleidung, die vom Stil rumänischer Volkstrachten inspiriert ist.
Zwischen Reformen und Tradition
Für den amtierenden Premier Marcel Ciolacu wäre ein Szenario mit dem AUR-Chef George Simion in der Stichwahl das günstigere. So wie im Jahr 2000, als in der Stichwahl der Wendekommunist Ion Iliescu und der Ultranationalist Corneliu Vadim Tudor konkurrierten, würden sich viele Rumänen automatisch hinter das "kleinere Übel", also Marcel Ciolacu, stellen.
Schafft es hingegen Lasconi in die Stichwahl, dann stünden sich, wie so oft in den vergangenen drei Jahrzehnten, zwei Rumänien gegenüber - Land und Stadt, Tradition und Modernität, ein verharrender Apparat und Reformkräfte.
Ebenso uneindeutig fallen die Prognosen für die Parlamentswahl aus: Die Wendepartei PSD käme laut letzten Umfragen auf 25 bis 35 Prozent, die nationalistische AUR auf 15 bis 21 Prozent, die Nationalliberalen ebenfalls auf 15 bis 21 Prozent. Fest steht nur: Rumäniens Populisten und Nationalisten dürfen diesmal mit einem Rekordergebnis rechnen.