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PolitikSerbien

Wahlen in Serbien: Für oder gegen das "System Vucic"?

16. Dezember 2023

Bei der Parlamentswahl kann der serbische Präsident Aleksandar Vucic mit einem erneuten Wahlsieg seiner Partei rechnen. Die Opposition hat wenig Chancen - außer in der Hauptstadt Belgrad.

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Ein Mann mit Anzug und Brille (Aleksandar Vucic) winkt, auf ihn fallen kleine Papierfähnchen in den Farben rot-blau-weiß (serbische Fahne) herab
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS). Laut Verfassung müsste der Präsident politisch neutral bleiben - doch er ist die Hauptfigur des WahlkampfesBild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

Ein Samstag Anfang Dezember: Hunderte Busse reihen sich entlang der breiten Straßen in Neu-Belgrad auf. Die Menschenmasse strömt zur Belgrader Arena, eine der größten Sporthallen Europas. Dort findet die zentrale Kundgebung der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) statt. Alleiniger Star: Serbiens alleinherrschender Präsident Aleksandar Vucic.

"Unser Dorfvorsteher hat die Reise nach Belgrad organisiert", sagt ein Mann, der auf einer Bank aus einer Bierdose trinkt. Er kommt aus einem Dorf in Nordserbien. "Natürlich unterstütze ich Vucic. Er hat uns allen Geld gegeben, zuletzt 10.000 Dinar, zusätzlich für Sozialhilfeempfänger."

Großes Bild eines Manns mit Brille, der die Faust reckt (Aleksandar Vucic), davor viele Menschen
Ein riesiges Bild des serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vucic auf einer Wahlkampfveranstaltng in Belgrad am 2.12.2023Bild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

Solche Wahlgeschenke sind üblich in Serbien. Auch dieses Mal entschied Vucic vor den Parlaments- und Lokalwahlen am 17. Dezember, an Rentner, Jugendliche oder Arbeitslose einmalige Zahlungen aus dem staatlichen Etat zu verteilen. Mal sind das 10.000 Dinar (umgerechnet 85 Euro), mal etwas mehr, mal auch weniger. Für viele in Serbien fast überlebenswichtig. Denn der Durchschnittsverdienst im Land beträgt nur 725 Euro netto monatlich. Und Rentner müssen im Schnitt mit lediglich 330 Euro zurechtkommen.

Vucic verspricht neue Rentenerhöhungen im Januar - natürlich nur, wenn seine Partei gewinnt. Der Präsident selbst steht nicht zur Wahl - sein zweites Mandat hat er erst im vergangenen Jahr gewonnen. Aber alles dreht sich um ihn. Jede Wahlliste der SNS, auch im kleinsten Dorf, trägt seinen Namen.

Schwere Vorwürfe

Das Belgrader Wochenmagazin Vreme beschreibt Vucic als "Bettlerkönig" - er präsentiere sich als ein Mann aus dem Volk, der das Geld verteile und ansonsten Straßen und Eisenbahnstrecken baue und Arbeitsplätze schaffe. Der Vorwurf der Opposition lautet, Vucic regiere das Balkanland mit eiserner Hand und taktiere zwischen EU, Russland und China. Das Regime des Präsidenten, so die Kritiker, pflege enge Verbindungen zur Mafia und sei durch und durch korrupt. Bei seinen fast täglichen Fernsehauftritten hält Vucic dagegen - seine Kritiker seien Verräter und Diebe, die nur an die Macht wollten.

Ein Mann mit Anzug und Brille (Aleksandar Vucic) steht hinter einem Rednerpult und hebt die ausgebreiteten Hände, um ihn herum Menschen
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic bei einer Wahlkampfveranstaltung in Belgrad am 2.12.2023Bild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

In der Belgrader Arena ruft Vucic an diesem Dezembersamstag unter tosendem Applaus: "Serbien ist heute eines der wenigen Länder in Europa, das eine eigenständige Politik verfolgt." Doch es sind bei weitem nicht alle, die aus eigenem Willen zur Kundgebung gekommen sind und aus Überzeugung jubeln. Ein junger Mann erzählt, wie es läuft. Er arbeite im Krankenhaus in einer kleinen Stadt. Um ihre Jobs zu behalten, müssen er und Kollegen mit zur Kundgebung nach Belgrad fahren und die SNS wählen. "Das ist katastrophal, aber was soll ich machen?", sagt er.

Über eine EU-Mitgliedschaft spricht niemand

Die Umfragen sehen die SNS vorne. Auch wenn es wahrscheinlich kein Erdrutschsieg sein wird - für eine Weiterführung der Koalition mit den Sozialisten und kleineren Partnern sollte es aber reichen.

Platz zwei will die breite pro-europäische Koalition "Serbien gegen Gewalt" erreichen. Sie hatte ihre Geburtsstunde während der Massenproteste nach zwei Amokläufen im Mai 2023, die das Land tief erschüttert hatten. Vucic und seine Medien, so ihr Vorwurf, säten durch unsägliche Reality-Shows inklusive Beschimpfung der Opposition eine Atmosphäre der Gewalt.

Serbische Fahnen auf einer Bühne, davor große Buchstaben ("Serbien gegen Gewalt")
Wahlkampfveranstaltung der serbischen Oppositionskoalition "Serbien gegen Gewalt" am 12.12.2023 in BelgradBild: Darko Vojinovic/AP Photo/dpa/picture alliance

Allgegenwärtige Gewalt und Machmissbrauch seien das wichtigste Thema, sagt auch der Politologe Srdan Cvijic. Der angestrebte EU-Beitritt ziehe für die Opposition als Wahlversprechen nicht mehr, und das nicht nur, weil der ganze Prozess zu lange dauere.

"Das Thema EU in den Vordergrund zu stellen, wäre politisches Kamikaze", sagt Cvijic der DW. "Denn alle regimetreuen Medien verbreiten antiwestliche Hetze. Was bringt es der Opposition, auch dafür an den Pranger gestellt zu werden?"

Thema Kosovo kocht wieder hoch

Die zunehmende Unpopularität der EU liegt auch am zweiten Dauerthema in Serbien: Kosovo. Serbien erkennt die Unabhängigkeit der ehemaligen Südprovinz nach wie vor nicht an, obwohl Berlin und Brüssel eine "faktische" Anerkennung offen verlangen.

Dies soll durch das sogenannte Brüsseler Abkommen umgesetzt werden. Serbien soll demnach die kosovarischen Dokumente anerkennen und Kosovos Weg zur UNO-Mitgliedschaft nicht verhindern. Prishtina soll hingegen einen serbischen Gemeindebund in Kosovo erlauben.

Die dritte wichtige Kraft in Serbien - rechtskonservative und nationalistische Splitterparteien - machen ausschließlich mit diesem Thema Wahlkampf. Vucic habe, so deren Vorwurf, durch verschiedene Abkommen eingelenkt und Kosovo praktisch aufgegeben.

Parlamentswahlen in Serbien: Die Jugend geht an die Urnen 

Vucics derzeit größte Probleme hängen jedoch eher mit dem Krieg in der Ukraine zusammen, meint der Belgrader Historiker und politische Beobachter Stefan Radojkovic. Zum einen durch die Energiepreise angetrieben, hat Serbien eine der höchsten Teuerungsraten in Europa, was Vucics Narrativ vom Wirtschaftserfolg des Landes gefährdet. Zum anderen wollten die EU und die USA wenigstens auf dem Balkan die Kontrolle behalten und Serbien zum endgültigen Kompromiss mit Kosovo zwingen, so der Historiker.

Wird ein Wahlbetrug vorbereitet?

Es sind vergleichsweise ruhige Tage in Belgrad, vom Wahlkampf sieht man wenig. Einige Billboards hier und da, für bezahlte Werbung im Fernsehen hat fast nur die SNS das nötige Geld. Eine Petition namens "ProGlas" sorgte aber für Wirbel. Dutzende Intellektuelle, Schauspieler oder Sportler rufen dazu auf, am 17. Dezember wählen zu gehen. Rund 170.000 Menschen unterstützten die Petition online. "Wir haben in Serbien keinen vernünftigen Staat", sagt der bekannte Professor Vladica Cvetkovic, einer der Erstunterzeichner der Petition. "Uns fehlen Demokratie, Gerechtigkeit und Gleichheit. Das können wir ändern, wenn wir die Stimme erheben."

Frauen mit Schildern stehen hinter einem Zaun
Anhängerinnen und Anhänger der serbischen Oppositionskoaltion "Serbien gegen Gewalt" am 12.12.2023 in BelgradBild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

Das Rennen dürfte vor allem in Belgrad knapp werden. Die Umfragen deuten auf einen Sieg der Opposition in der Hauptstadt hin, was als wichtiges Symbol angesehen wird. Denn auch der ehemalige Autokrat und Kriegsherr Slobodan Milosevic hatte 1996 Belgrad und andere große Städte verloren, bevor er 2000 selbst abgewählt wurde. Beide Male knickte Milosevic erst nach Dauerprotesten ein. Sein damaliger Informationsminister hieß Aleksandar Vucic.

Für eine Veränderung muss allerdings Vieles passen - etwa dass die proeuropäischen und prorussischen Kräfte eine Koalition gegen Vucic bilden. Die Erfahrung aus den Neunziger Jahre mahne zur Vorsicht, sagt die Juristin Sofija Mandic, die für die Opposition im Wahlausschuss sitzt.

Schon jetzt, sagt sie, gebe es genug Beweise, dass die Regierung einen Wahlbetrug vorbereite. "Die Wähler müssen sich frei äußern können", sagt sie. "Und sie müssen auch bereit sein, ihren politischen Willen abseits der Urnen zu verteidigen, wenn das nötig wird." Manche Oppositionspolitiker spekulieren schon über die Möglichkeit, die Proteste auszurufen, wenn die Regierung die Wahlen manipuliert. So könnten die kalten Dezembertage in Belgrad, kurz vor Silvester und dem orthodoxen Weihnachtsfest, noch einmal hitzig werden.